Pränataldiagnostik:Behinderte bereichern

Sollte der Bluttest auf das Downsyndrom zum Standard für alle Schwangeren werden, wird es künftig kaum noch Menschen mit Trisomie 21 geben. Sie würden unserer Gesellschaft sehr fehlen.

Von Kia Vahland

Wer einmal erlebt hat, wie ein Kind mit Downsyndrom, der Genvariante Trisomie 21, eine Runde miteinander fremdelnder Erwachsener mit einer unverblümten Liebeserklärung zum Schwingen bringt, wie es ein bisschen Anarchie und carpe diem in ihr sonst so reibungsloses Leben trägt - der fragt sich, warum diese Kinder das "Risiko" sind, vor dem Schwangere so intensiv gewarnt werden.

Jetzt schon wird Frauen über 35 Jahren, solchen mit Mehrlingen im Bauch oder bei auffälligen Voruntersuchungen angeboten, das Fruchtwasser kontrollieren zu lassen, um ein Downsyndrom beim Fötus zu ermitteln. Das ist nicht behandelbar, die Frau kann also nur für oder gegen eine Abtreibung entscheiden. Gerade wird beraten, ob das Verfahren durch einen von den Krankenkassen bezahlten Bluttest ersetzt werden soll. Den Test bieten Ärzte bereits jetzt als käufliche Zusatzleistung an, er kommt früh zu recht klaren Ergebnissen und hat den Vorteil gegenüber bisherigen Untersuchungen, keine Fehlgeburten mit sich zu bringen.

Nun ist eine nicht invasive Methode immer einer riskanten vorzuziehen. Deswegen plädiert ein vom Gemeinsamen Bundesausschuss in Auftrag gegebenes Gutachten für den Bluttest. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass der Test zumindest den "Risikoschwangeren", wenn nicht sogar allen, bald von der Krankenkasse angeboten wird. Die ethische Frage, wohin die Entwicklung führt, ist damit aber nicht beantwortet.

Erfahrungen aus Dänemark und Belgien zeigen, dass kaum noch Babys mit Trisomie 21 geboren werden, wenn sich der Bluttest flächendeckend durchsetzt. Es gehört viel Mut dazu, sich für ein Kind mit Downsyndrom zu entscheiden, wenn diese Menschen selten werden, wenn sie nicht mehr sichtbar im Alltag sind und Eltern sich fragen lassen müssen, ob das denn nicht zu verhindern gewesen wäre.

Sollte der Test allen Schwangeren von den Kassen bezahlt werden, auch den jungen und medizinisch unauffälligen, sollte er also zum Standard werden, dann könnte die Bevölkerungsgruppe mit Downsyndrom in Deutschland bald vom Aussterben bedroht sein, ohne dass es irgendjemand, weder die Regierung noch die Ärzteschaft oder die einzelne Schwangere, gewollt hätte. Dies wäre fatal. Denn dann - und bisweilen schon jetzt - setzt ein Prozess der Normierung ein. Der Druck, den Leistungsvorgaben der Gesellschaft zu entsprechen, ihrem Effizienzdenken und ihrem Ideal eines eigenständigen Lebens unbedingt Folge zu leisten, kann so groß werden, dass die jeweilige Frau, das jeweilige Paar es nicht mehr wagt, dagegen auf das eigene Bauchgefühl zu hören.

Und das ist dann ein Gewaltakt nicht nur gegen das Leben des Fötus, sondern auch gegen das Selbstbestimmungsrecht der Frau. Sie - wer sonst? - muss, im Rahmen des geltenden Abtreibungsrechts, frei und gut informiert entscheiden können, ob sie ein Kind austrägt oder nicht. Den Schwangeren deswegen aber allein die größere Frage aufzubürden, wie die gesamte Gesellschaft der Zukunft aussehen soll, ist falsch. Denn ein Leben ohne Behinderte ist unmenschlich, und es macht auch jene ärmer, die sich für gesund halten. So ist es Aufgabe aller, darauf zu achten, dass der medizinische Fortschritt dem Heilen und dem Wohlbefinden dient und nicht dazu beiträgt, eine Monokultur herzustellen, in der jede vermeintliche Abweichung aussortiert wird.

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