Präfektur Fukui in Japan:Glück, zerlegt in Atome

In der kleinen Präfektur Fukui stehen bereits 15 Atommeiler - ein halbes Jahr nach Fukushima plant Tokio dort weitere Anlagen. Die Bedenken der wenigen Kritiker neutralisieren Regierung und Atomkonzerne mit Geld und sanfter Repression.

Christoph Neidhart, Tokio

Yuka und Kaho gehen in die fünfte Klasse. Die Mädchen spielen in der Eingangshalle des "Aquatom", ein Propaganda-Palast der japanischen Atomindustrie im Hafenstädtchen Tsuruga in der Präfektur Fukui. "Aber nicht jeden Tag", sagt Kaho. "In den Sommerferien schon", korrigiert Yuka. Die Atomlobby nennt das Aquatom "Wissenschaftsmuseum". Denn die Betreiber wollten der Jugend von Tsuruga das Vertrauen in ihre Meiler schon früh einflößen. Im Eingang des Aquatoms hängt zum Beispiel eine Satelliten-Aufnahme der Tsuruga-Halbinsel. Yuka und Kaho drücken Knöpfchen, Lichter leuchten auf - jedes steht für ein Atomkraftwerk.

To match Feature JAPAN-NUCLEAR/ARCADE

Die Menschen in der japanischen Präfektur Fukui haben gelernt, mit den Atommeilern zu leben - trotz all der schweren Unfälle.

(Foto: Reuters)

In 20 Kilometer Entfernung stehen dort drei Atomkraftwerke, die kommerziellen Tsuruga und Mihama sowie der schnelle Brüter Monju. In allen drei AKWs kam es schon zu schweren Unfällen. Etwa 50 Kilometer weiter westlich stehen in Oi und Takahama noch zwei Kraftwerke.

Fukui, mit nur 800.000 Einwohnern eine der kleinsten Präfekturen Japans, zählt 15 kommerzielle Reaktoren. Die Region verbraucht weniger als ein Prozent des Stroms, den sie produziert. Und weiterer Ausbau ist geplant. Die Präfektur wird deshalb das "nukleare Ginza" genannt - nach der noblen Einkaufsmeile in Tokio. Neuerdings auch das "westliche nukleare Ginza", denn Fukushima ist das "östliche nukleare Ginza". "Fuku" bedeutet in beiden Namen "Glück". Fukushima ist die Insel der Glücks, Fukui die Quelle des Glücks.

Man hat die Ausstellung geringfügig verändert

Im Aquatom ist von der Atom-Propaganda allerdings nicht mehr viel zu sehen. An einer Wand erklären verblasste Bilder die Relativitätstheorie. Die Räume dahinter sind geschlossen. Der Hauswart kann nicht sagen warum, die Dame an der Information meint, man habe die Ausstellung "geringfügig" verändert, die Leute haben sie "missverstehen" können.

Die zehnjährigen Schülerinnen Yuko und Kaho sind gesprächiger. Am Modell eines AKWs habe man auf Knöpfe drücken und sehen können, wie Strom entsteht, sagt Kaho. Wie denn? "Aus Uran." Warum ist das Modell nicht mehr da? "Wegen des Atomunfalls", antwortet Yuka. Sind Atomkraftwerke denn gefährlich? "In Tsuruga nicht, Monju ist ja abgeschaltet."

Monju ist ein Forschungsreaktor für die Bruttechnologie: Dieser Reaktortyp soll Strom produzieren und das Brennmaterial dazu selbst erzeugen. Die Regierung preist diese Technik seit einem halben Jahrhundert als Energie der Zukunft. Ursprünglich wollte sie ab 1970 schnelle Brüter kommerziell nutzen. Jetzt spricht man vom Jahre 2050.

Aber die Atomlobby glaubt anscheinend selber nicht mehr daran. Der Unterhalt von Monju kostet jährlich etwa 180 Millionen Euro. Der Reaktor lief zuletzt von Mai bis August 2010, dann musste er wegen einer Panne gestoppt werden. Zuvor war er nach einem schweren Unfall 15 Jahre abgeschaltet. Beide Fälle wurden von den Betreibern anfänglich vertuscht. Zu den schwersten Unfällen der konventionellen Meiler auf der Tsuruga-Halbinsel gehört ein Leck von Reaktor I, der inzwischen 41 Jahre alt ist. 1981 liefen 16 Tonnen radioaktives Wasser ins Meer. Die Protokolle wurden gefälscht; die Kontaminierung wurde erst 40 Tage später bekannt.

Am 2. Mai dieses Jahres musste Reaktor II heruntergefahren werden, weil sein Kühlwasser radioaktiv war. Bei den Unfällen im AKW Tsuruga sind bereits mehr als 200 Personen unzulässigen Strahlendosen ausgesetzt worden. Im Nachbar-AKW Mihama tötete heißer Wasserdampf aus einem geborstenen Rohr vier Arbeiter, sieben wurden verletzt. Dazu stehe Mihama auf einer Erdbeben-Bruchlinie, wie der bekannte Seismologe Katsuhiko Ishibashi warnt.

Trotz der vielen Unfälle wurde in Fukui bisher nie Kritik an der Kernenergie laut. Die Lokalzeitung weiß auch warum: Die effektivste Methode, die Zustimmung der Bevölkerung zu gewinnen, sei die großzügige Bezuschussung lokaler Gemeinde-Budgets für Straßen und Kulturzentren, schrieb sie vor einigen Jahren. Das Aquatom ist ein solches "Geschenk", ein Museum ein weiteres. 1,7 Milliarden Euro hätten der Staat und die Atomwirtschaft zusätzlich zu den Steuern der Betreiberfirmen bisher jährlich an die Standortregionen überwiesen, wissen die "Bürger für Nuklearinformation", eine Sozialinitiative. Dem Gouverneur von Fukui versuchte Tokio die Zustimmung zum Wiederanfahren von Monju mit der Anbindung seiner Präfektur ans Shinkansen-Netz abzukaufen. Die Überzeugungsarbeit mit Yen-Milliarden war im armen Fukui so erfolgreich, dass weniger als ein Prozent der Japaner nun 15 Reaktoren vor ihren Haustüren stehen haben.

Fukui hat sich billig verkauft. Niigata, eine andere Präfektur an der See von Japan, erhielt für "nur" sieben Reaktoren schon 1980 den Shinkansen- und Autobahn-Anschluss. Die 15 Reaktoren von Fukui versorgen den Großraum Osaka auf der Pazifikseite Japans, also auf der anderen Seite der Insel, als habe Kepco, der Stromversorger von Osaka, die AKWs hinter den Bergen versteckt. Der Transport von Elektrizität ist teuer. Wenn die Atomkraft so sicher sei, fragen die Kritiker, warum baut Kepco ihre Meiler dann nicht an der Stadtgrenze von Osaka?

Fährt man von Tsuruga durch die schroffe Idylle hinter der Küste nach Westen, so kommt man, bevor man die Halbinseln Oshimahanto und Kazeshima mit den Kernkraftwerken Oi und Takahama erreicht, ins Hafenstädtchen Obama. Der Name bedeutet kleiner Strand, er ist hier nichts besonderes. Dennoch ist Obama in Fukui eine große Ausnahme. Als einziges Städtchen hat es sich seit 1968 immer wieder gegen den Bau eines Kernkraftwerks gewehrt.

Ein Priester gegen die Atomkraft

Der Kopf hinter diesem Widerstand ist Tetsuen Nakajima, der Priester des 1200 Jahre alten Myotsu-Tempels im Wald hinter dem Städtchen. Es sei "fast ein Wunder", dass die Leute von Obama sich nicht kaufen ließen, sagt er. Andrerseits ist Obama zwar AKW-frei, aber das Kraftwerk Oi steht am Eingang der Bucht. Käme es dort zu einem Unfall, müsste Obama evakuiert werden. Nakajima hat den Begriff des "nuklearen Ginza" geprägt. Er warnte stets vor einem Unfall. "Heute Fukushima, morgen Wakasa", sagt er. Vor Jahren gründete er eine Gewerkschaft für AKW-Arbeiter und rang den Betreibern das Versprechen ab, die Strahlendosis ihrer Tagelöhner künftig nicht mehr zu fälschen. Fast neun von zehn Arbeitern in Japans Atomkraftwerken sind Zeitarbeiter. Aber die Gewerkschafter wurden schikaniert, die Polizei besuchte sie abends zu Hause - bloß zur Einschüchterung, ohne sie eines Vergehens zu beschuldigen.

Mit Geld und solch "sanfter" Repression hat Japan die Kritik an der Atomwirtschaft stets unterdrückt. Nakajima nennt das "Geld-Faschismus". Zu ihm selbst seien sie nie gekommen, sagt er im Empfangsraum seines Tempels. Vielleicht hätten sie doch Respekt vor einem Geistlichen. Aber er konnte seine AKW-Kritik nie in einer Zeitung publizieren. Erst seit Fukushima hätten einige Blätter seine Beiträge abgedruckt.

Nakajima bezweifelt, dass sich die Haltung der Menschen in Fukui geändert habe. "Angst hatten sie immer", sagt er. "Aber der finanzielle Nutzen war so groß, dass sie rational zu sein versuchten und ihre Angst unterdrückten. Seit Fukushima erlauben sie sich diese Angst eher."

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