Posthume Anklage gegen Franco:Spaniens späte Sühne

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Ein Richter will den verstorbenen Diktator Franco wegen seiner unvorstellbaren Verbrechen anklagen. Das Projekt wühlt Spaniens Gesellschaft auf - denn die Zeit der Diktatur wurde nie aufgearbeitet.

Javier Cáceres

Zu der Absicht, der Franco-Diktatur jetzt mit jahrzehntelanger Verspätung den Prozess zu machen, hat Spaniens sozialistischer Ministerpräsident José Luis Rodríguez Zapatero einen unumstößlich wirkenden Satz gesagt: "Die Geschichte hat ihr Urteil über den Franquismus längst gesprochen." In der Tat. Niemand zweifelt den verbrecherischen Charakter der Diktatur des Generals Francisco Franco an. Weder in Spanien noch sonst wo auf der Welt. Historiker aus aller Herren Länder haben enorme Leistungen erbracht, um jene blutigen, so verfehlungs- und facettenreichen Jahre einzuordnen.

Im März 2005 wird die letzte Statue des Diktators Francisco Franco aus Madrid entfernt. (Foto: Foto: AFP)

Prozess nach 72 Jahren

Nun aber erklärt Baltasar Garzón, Untersuchungsrichter an Spaniens Nationalem Gerichtshof, seine feste Absicht, Francisco Franco sowie 34 seiner Schergen zumindest symbolisch wegen "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" auf die Anklagebank zu setzen - rund 72 Jahre nach ihrem gemeinsamen Putsch gegen die Republik, knapp 33 Jahre, nachdem Franco auf dem Sterbebett die letzte Ölung erfuhr. Ist es wirklich ein notwendiges und legitimes Anliegen der Strafjustiz, ein gesellschaftlich bereits gefälltes Urteil gegen längst verstorbene Schurken der Weltgeschichte nun mit einem amtlichen Stempel zu versehen?

Die Frage rührt an Spaniens Seele, nicht zuletzt, weil sie an einem über Jahrzehnte hinweg gewachsenen Selbstverständnis kratzt. Ihre transición - den Übergang zur Demokratie nach dem Exitus des Despoten - haben die Spanier stets noch kategorisch als vorbildhaft betrachtet. Und war sie das nicht auch? Wer sich nur ansatzweise mit der Brutalität des Bürgerkriegs der Jahre 1936 bis 1939 beschäftigt, oder mit den Gräueln der siegreichen Franquisten nach dem Ende der Kampfhandlungen, der kann sich ein Bild davon machen, wie groß die Leistung der Spanier war, sich auf ein friedliches Miteinander zu verständigen.

Diktatur ohne Aufarbeitung

Was Spanien jedoch von anderen Ländern unterscheidet, die sich nach der Erfahrung einer Diktatur zum demokratischen Gemeinwesen wandelten, war der Verzicht auf eine öffentliche Aufarbeitung der Verbrechen der Gewaltherrschaft. Nicht einmal eine Wahrheitskommission hat es gegeben. Das verlangte den Angehörigen und Hinterbliebenen von Opfern der Franco-Diktatur eine enorme Großzügigkeit ab. Gefordert war die Verdrängung des Verlangens nach Gerechtigkeit und Gewissheit, die stillschweigende Hinnahme der Unzulänglichkeiten der transición.

Aber das Verlangen blieb, und es bricht sich nun Bahn, nicht zuletzt deshalb, weil die Verbrechen von kaum vorstellbarem Ausmaß und ebensolcher Brutalität waren. Verbände von Opfern und Hinterbliebenen haben mehr als 140 000 Namen von Personen zusammengetragen, die von den Franquisten getötet und meist in Massengräbern verscharrt wurden. Weil der spanische Staat nie Licht in dieses dunkle Kapitel der Geschichte warf, nicht einmal ein Register der Opfer erstellte, kommt die Debatte über das Gestern nun seit Jahren nicht zur Ruhe.

Spaniens Rechte fühlt sich von den Versuchen, die Vergangenheit zu beleuchten, diffamiert. Vor allem, weil sie nicht gewürdigt sieht, dass das Parlament 2002 unter der Regierung des konservativen Ministerpräsidenten José María Aznar 2002 den Franquismus bereits einhellig verurteilt hat. Es ist tragisch, dass die beiden großen Volksparteien des Landes sich in den vergangenen Jahren nicht dazu aufraffen konnten, auf diesem Weg der Vergangenheitsbewältigung gemeinsam weiterzugehen.

Spaniens Rechte schreit auf

Immer wieder hat sich Spaniens Rechte darauf berufen, dass während des Bürgerkrieges auch auf der linken Seiten Gräuel begangen wurden. Wahr ist: Die Epoche ist zu komplex, als dass ihr mit Schwarz-Weiß-Mustern beizukommen wäre. Die Verbrechen der linken Bürgerkriegs-Verlierer wurden einst von den Siegern in einem "Generalprozess" untersucht. Die Racheakte der Franquisten hingegen wurden nie von einem Gericht behandelt. Nun sollen Gräber geöffnet, aber nicht Gräben neu aufgerissen werden. Dies mag Spaniens Rechte nicht begreifen. Sie schreit auf, weil nun alte Wunden wieder geöffnet würden. Das Gegenteil aber ist der Fall: Es werden nie verheilte Wunden geschlossen.

Garzóns Gegner haben längst ihren Stab über den Untersuchungsrichter gebrochen. Schon vor zehn Jahren, als er den früheren chilenischen Diktator Augusto Pinochet in London verhaften ließ, warfen sie dem umtriebigen Juristen Eitelkeit, Egozentrik und Geltungssucht vor. Auch jetzt unterstellen sie ihm wieder niedrige Beweggründe. Sie glauben, er wolle bloß an jenem Massengrab posieren, in dem die Gebeine des weltberühmten, 1936 von den Faschisten ermordeten Poeten und Dramaturgen Federico García Lorca vermutet werden. Möglich, dass dies auch eine Rolle spielt. Möglich ist ebenso, dass Garzóns Ermittlungen juristisch in einer Sackgasse enden.

Doch die Anerkennung dafür, die bislang herrschende Straflosigkeit für die Verbrechen der Diktatur beenden zu wollen, gebührt ihm allemal - auch wenn das ehrenwerte Unterfangen ein symbolisches bleiben sollte. Für viele Menschen in Spanien ist dies ein wichtiges, überfälliges Signal. Und ein Akt der Versöhnung mit dem eigenen Land, das seine Dämonen viel zu lange unangetastet ließ.

© SZ vom 21.10.2008/jkr - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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