Positiver Einfluss auf Weltgemeinschaft:Deutschland - das beliebteste Land der Erde?

World Cup 2014 - Fanmeile Berlin

Fanmeile im Berliner Tiergarten während der Fußball-Weltmeisterschaft

(Foto: dpa)

Was ist nur passiert, dass die Menschen hierzulande plötzlich so beliebt sind? Mit Spott, Angst und dem Vorwurf der Humorlosigkeit ließ es sich doch so gut leben. Und auf einmal das: Anerkennung, ja Zuneigung!

Von Johan Schloemann

Langsam wird es ein wenig unheimlich. Die Welt mag Deutschland, immer mehr. Respekt, Spott, Angst, das kannten wir ja schon.

Aber ausgerechnet die Deutschen, in der Welt vor allem dafür berühmt, zuverlässige Autos zu bauen und Liegestühle am Swimmingpool mit ihren Handtüchern zu reservieren, diese Deutschen sollen jetzt beliebt sein?

Das ist doch ungefähr so, als würde der Junge mit dem Aktenkoffer und der zu großen Brille, der Klassenbester in Mathe ist und immer eine Tupperwurstdose dabei hat, plötzlich zum Klassensprecher gewählt.

Berlin, eine der coolsten Städte auf dem Globus

Aber so ist es. In dem weltpolitisch unruhigen Jahr, das jetzt zu Ende geht, kulminierte allerorten die Zuneigung zu "uns". Im Frühjahr veröffentlichte die BBC eine repräsentative Umfrage mit 25 000 Teilnehmern aus aller Welt, die Deutschland zum wiederholten Mal zum "Land mit dem größten positiven Einfluss auf die Weltgemeinschaft" erklärte.

Zur Erinnerung: Es gibt 193 Länder zur Auswahl, die Mitglieder der Vereinten Nationen sind. Deutschland steht an Platz eins. Eine ähnlich groß angelegte Erhebung der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) kam im November zum selben Ergebnis.

Die deutsche Hauptstadt gilt, selbst wenn sich ein paar amerikanische Hipster schon wieder enttäuscht zurückgezogen haben, weiter als eine der coolsten Städte auf dem Globus.

Millionen Touristen strömen nach Berlin, jedes Jahr mehr, und dass sie in Tegel und Schönefeld durch Baracken hineingeschleust werden müssen, weil der bereits zu klein kalkulierte große Flughafen immer noch nicht fertig ist, das hält sie nicht ab.

Selbst die Briten interessieren sich für Deutschland

Als die deutsche Nationalmannschaft im Sommer die Fußball-WM gewann und auf dem Weg dorthin die gastgebenden Brasilianer so leichtfüßig ausspielte, dass es ihr selbst fast schon peinlich war, da jubelte die internationale Presse: Das sei keineswegs bloß ein sportlicher Erfolg. Nein, die Art und Weise, wie die Deutschen da spielten und siegten, sei vielmehr Ausdruck ihres Gesellschafts- und Wirtschaftsmodells.

Lange vergessen die Ära der Brechstange: Die Deutschen hätten nämlich längst eine bestimmte magische Mischung aus Bescheidenheit und Effizienz, aus Stabilität und Kreativität, aus Präzision und Offenheit gefunden, welche auch ihr Zusammenleben, ihre Ökonomie sowie auch den Regierungsstil von Bundeskanzlerin Angela Merkel auszeichne. So lauteten die sehr gewagten, aber stets wohlwollenden Analysen.

In diesem Jahr erreichte auch das Interesse an Deutschland in dem Land seinen bisherigen Höhepunkt, wo man es lange Zeit am wenigsten erwartet hatte: in Großbritannien. Während der konservative Premierminister Cameron, von Rechtspopulisten getrieben, mit der Drohung des EU-Austritts herumfuchtelte, feierten Londons Museen einen deutschen Herbst. In London haben für die Berlin-Fans auch schon erste Currywurstbuden aufgemacht. Eine heißt "Herman ze German".

Ein Cambridge-Historiker, der aus Australien stammt, Christopher Clark, ging in seinem Bestseller "Die Schlafwandler" über die Entstehung des Ersten Weltkriegs gnädig mit den Deutschen um - zu gnädig, fanden manche -, und inzwischen fährt Professor Clark für eine ZDF-Serie in einem alten Käfer-Cabrio in milder Abendsonne durch die Täler von Rhein und Mosel und erzählt seine "Deutschland-Saga".

Der Direktor des Britischen Museums wiederum, Neil MacGregor, stellte ein riesiges Deutschland-Projekt auf die Beine, als Ausstellung in London, als Buch und als BBC-Radiosendung in dreißig Folgen: "Germany - Memories of a Nation", vom Mittelalter bis heute. Kundig, gewitzt und mitunter auch ein bisschen pathetisch versucht MacGregor, die deutsche Kultur wieder ins Herz der englischen Mittelklasse hineinzuplaudern, wo sie schon früher einmal, vor dem Zweiten Weltkrieg, einen Platz hatte.

Bemerkenswert ist, dass dabei Hitler und der Holocaust zwar weiter eine zentrale Rolle spielen, aber längst nicht mehr, wie sonst oft in der englischen Wahrnehmung, alles andere ausblenden.

Nun werden sicher nicht alle im Ausland, bei denen Deutschland neuerdings populär ist, dies wie Neil MacGregor mit ihrer Begeisterung für Albrecht Dürer, Immanuel Kant oder Paul Klee begründen. Trotzdem passt solche Zuwendung gut in die Zeit. Die einen schenken sie deutschen Techno-DJs oder Küchenherstellern, die anderen eben doch vor allem den Autos, dem Bier und den Fußballern. Manche gehen jetzt sogar so weit, die Deutschen nicht mehr für völlig humorlos zu halten.

Wann sich die Deutschen selbst großartig finden

Hauptgrund der neuen Wertschätzung aber ist die ökonomische Stabilität, die Deutschland seit den Unruhen der Finanz- und Euro-Krise ausstrahlt. Von außen gesehen ist Deutschland eine Bank: unaufgeregt geführt, mit solider industrieller Basis.

Vieles, was man früher langweilig fand an der Bundesrepublik, wird jetzt mit Interesse studiert: Mittelstand, duales Ausbildungssystem, Föderalismus. Und der solide Ruf hat auch Auswirkungen auf die außenpolitische Stellung des Landes, von dem nunmehr sogar gefordert wird, endlich noch mehr Führung zu übernehmen.

Aber steht all das nicht im Gegensatz zur neuen Deutschenfeindlichkeit in den Krisenländern Südeuropas? Zur wachsenden Euro-Skepsis und zum Rechtspopulismus rundherum? Nein, es ist vielmehr die andere Seite derselben Medaille.

Deutschland, das ist auch "Pegida"

Was die einen an Deutschlands Kurs in Europa zu hartherzig finden, ist genau das, was das Land in den Augen der anderen vorbildlich macht oder die Bedingungen dafür schafft. Und dies ist auch ein guter Grund, die neue Germanophilie wenn nicht gleich unheimlich zu finden, so doch mit gesunder Vorsicht zu genießen. Das Blatt kann sich leicht auch wieder wenden.

Die Deutschen selbst finden sich ohnehin nur großartig, wenn sie ihr Land anderen Nationen erklären sollen. Nach innen fällt ihnen schnell wieder auf: Deutschland, das ist auch Helene Fischer, die Steuererklärung und das "Traumschiff".

Deutschland, das ist auch "Pegida" - selbst wenn es bis heute noch keine rechtspopulistische Partei in den Bundestag geschafft hat. Deutschland verpulvert gerade das Geld zulasten seiner künftigen Generationen, ist reformmüde, und der berühmte Erfindungsreichtum des Landes scheint sich in der digitalen Ära abzuschwächen. Bei all dem können uns Partytouristen und Ausstellungen in London auch nicht helfen.

Immerhin: Ein bisschen Liebe von außen kann sicher nicht schaden.

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