Porträt:Frank-Walter Steinmeier alias der Mann ohne Bremse

Steinmeier reist nach Marrakesch

New York, Warschau, Niedersachsen: Ständig unterwegs zu sein, gehört zum Job eines Außenministers, Frank-Walter Steinmeier scheint prächtig damit zu leben.

(Foto: Lukas Schulze/dpa)

Seine Tage sind durchgetaktet wie ein überdrehtes Speed-Dating. Aber was bringt das dem Außenminister? Hat Steinmeier etwa ein anderes Amt im Blick?

Porträt von Stefan Braun und Christoph Hickmann, Berlin

Neulich in New York. Es ist fünf Uhr am Morgen; die Stadt, die niemals schläft, schläft dann doch noch. Nur in der deutschen Vertretung bei den Vereinten Nationen brennen die Lichter. Der Chef ist da und will gleich auftreten. Also machen und tun seine Leute alles, damit es passt für den deutschen Außenminister. Noch geht es nicht um einen seiner Kollegen, die hier gern mal zum Frühstück vorbeischauen. Noch ruft kein Krisenstab zu Syrien und keine Vorbereitungssitzung für neue Ukraine-Gespräche.

Gut sechstausend Kilometer entfernt warten einige Hundert Experten der deutschen Geschichte. Und weil Frank-Walter Steinmeier in diesen Wochen wirklich alles macht, was reingepresst werden kann in den Kalender, steht er zu früher Stunde vor Kamera und Mikrofon, um live den Deutschen Historikertag in Hamburg zu eröffnen. Während vor der Tür die Straßenkehrer den Müll der Nacht von Manhattan wegräumen, spricht Steinmeier über große Geschichte und den Westfälischen Frieden. Zufrieden wirkt er und erntet den erhofften Beifall.

Politiker haben oft lange Tage; Steinmeiers Tage haben oft keinen richtigen Anfang mehr und kein richtiges Ende. Schaden tut ihm das bis jetzt nicht; nur seine Mitarbeiter hängen immer häufiger in den Seilen. Er aber, der dieses Amt zum zweiten Mal inne hat, kennt keine Bremse und keine Pause. Leute, die schon 1998 dabei waren, als er Gerhard Schröders wichtigster Mann im Kanzleramt wurde, behaupten, er sei immer so gewesen. Aber wer ihn in diesen Wochen erlebt, hat den Eindruck, so viel wie derzeit habe er noch nie gewirbelt. Und so drängt sich langsam aber sicher die Frage auf, wo der Mann noch hin möchte.

Noch mal eben nach Warschau

Es ist nur ein paar Stunden her, da landete er an der amerikanischen Ostküste, quälte sich stundenlang durch eine einzige lange Baustelle und startete so in eine Woche bei den Vereinten Nationen, die er später als "die schlimmste" bezeichnen wird, "die ich je erlebt habe". Gemeint waren keineswegs die gefühlt tausend Termine, die er am East-River stets in seine Tage packt. Sein Frust bezog sich auf die gescheiterten Versuche, dem syrischen Krieg endlich ein Ende zu setzen.

Das Speed-Dating dagegen, diese Treffen im Halbstundentakt, ist Grundnahrungsmittel für einen Minister, der den Eindruck erweckt, er könne gar nicht mehr anders leben, als von einem Termin zum nächsten zu hetzen. Vor seiner Abreise war er noch mal eben in Warschau gewesen. Nach seiner Rückkehr ging's sofort ab in den Wahlkreis.

So ist das seit Wochen, seit Monaten, seit Jahren. Und gemessen an den Umfragen lebt Steinmeier damit prächtig. Sein Ansehen ist hoch, schon lange rangiert er ganz oben in der Beliebtheitstabelle. Dabei ist das Leben als Außenminister innenpolitisch komplizierter geworden. Immer häufiger kann er nur mühsam die Balance halten zwischen der Kanzlerin und seinem Parteichef. Das gilt besonders im so schwierigen wie wichtigen Verhältnis zu Russland. Während Angela Merkel jeden seiner Schritte kritisch beäugt, weil sie die SPD für zu milde hält gegenüber Moskau, lässt Sigmar Gabriel kaum eine Gelegenheit aus, um - absichtlich oder nicht - zu zeigen, dass seine Lust auf gute Beziehungen für Wladimir Putin fast mehr gilt als für den eigenen Außenminister.

Bislang ist das kein Schaden; so stabil hat er sich noch nie an der Spitze gehalten. Das zeugt von einer erheblichen Unabhängigkeit. Nur: Was bringt all das, wenn im Frühjahr der Wahlkampf ausbricht und im Herbst sehr viele Politiker versuchen werden, eine neue große Koalition zu verhindern. Sollten die Erfolg haben, wird es für einen Außenminister Steinmeier eng werden.

Steinmeier ist nicht umsonst der populärste Politiker Deutschlands

Was bedeutet das? Wo kann es ihn stattdessen hin führen? Fragen sind das, die sich in der SPD wie im Auswärtigen Amt immer mehr Leute stellen. Stürzt er sich in ein Schlusstremolo, weil er ahnt, wie schwer es nächstes Jahr werden dürfte? Oder speist sich seine Energie aus der Hoffnung, dass man bei so viel Präsenz und Beliebtheit an ihm nicht vorbei kann?

In der SPD, so viel ist sicher, hat er noch immer eine beträchtliche Zahl an Fans und Verehrern. Zu ihnen gehört Hubertus Heil, stellvertretender Chef der SPD-Bundestagsfraktion. Er hat Steinmeier kürzlich in seiner Heimatstadt Peine erlebt. In Niedersachsen war Kommunalwahlkampf, Steinmeier trat als prominenter Gast auf. "Da kamen zwischen 800 und 1000 Leute, das ist für Peine schon eine Menge", erzählt Heil. "Und es war mucksmäuschenstill auf dem Platz, als Frank-Walter über Außenpolitik geredet hat."

Steinmeier gebe "Orientierung in einer aus den Fugen geratenen Welt", sagt Heil und klingt wie sein Außenminister. "Er ist nicht umsonst der populärste Politiker Deutschlands. Die Leute bringen ihm sehr viel Vertrauen entgegen. Das ist eine harte Währung in diesen Zeiten." Obendrein habe er, der als Kanzlerkandidat 2009 stets zu dröhnend rüberkam, "inzwischen seinen Stil gefunden".

Eine weitere Kanzlerkandidatur mag er sich nicht antun

Das Problem dabei: Steinmeier hat in den vergangenen Jahren intern immer wieder klargemacht, dass er für eine weitere Kanzlerkandidatur keinesfalls zur Verfügung stehe. Er will sich und seiner Frau das Drama nach der Kampagne 2009, an deren Ende die SPD auf 23 Prozent abstürzte, nicht noch mal antun. Schon gar nicht unter einem Parteivorsitzenden Gabriel, dessen Sprunghaftigkeit ihm fremd ist.

Daraus entsteht für die SPD eine geradezu absurde Situation: Der unbeliebte Gabriel, der in Deutschland noch nicht sehr populäre Europapolitiker Martin Schulz und der außerhalb Hamburgs womöglich auch nicht mehr so strahlkräftige Bürgermeister Olaf Scholz gelten als Aspiranten auf die Kandidatur - während der beliebteste Genosse dabei nicht stattfindet. Allerdings gibt es unter seinen Fans auch Realisten, die eines wissen: Sollte für die Union wieder Merkel antreten, wäre Steinmeier der falsche, weil er ihr mit seiner ruhigen, bedächtigen Art wie 2009 zu ähnlich wäre.

Bliebe das Amt des Bundespräsidenten. Hier freilich gäbe es bei jetzigem Stand nur eine Möglichkeit: dass er selbst laut ruft und antritt. Dass sich Gabriel dann gegen ihn stellen würde, ist so gut wie ausgeschlossen. Fast ebenso ausgeschlossen ist es freilich, dass sich Steinmeier zu einem derart offensiven Akt aufrafft. Auf die Rolle als Kandidat der großen Koalition kann er kaum hoffen; Merkel soll ihn bereits abgelehnt haben. Und als rot-rot-grüner Kandidat kommt er nicht infrage, weil viel zu viele Linke ihn bis heute mit der verhassten Agenda-Politik verbinden.

Tutzing, Evangelische Akademie, es ist Abend. Steinmeier wird gleich den Toleranzpreis erhalten. Er hat 36 Stunden Ostukraine in den Knochen. Eigentlich müsste er hundemüde sein; seine Leute können sich kaum noch auf den Beinen halten. Doch Steinmeier hat Anzug, Hemd, Krawatte gewechselt, stellt sich lächelnd vor 200 Gäste und warnt vor den Spannungen in der Gesellschaft. Es folgen: Applaus, Preisverleihung, erneut Applaus, dann Händeschütteln. Erst 30 Minuten lang, dann eine Stunde, dann zwei.

Schließlich ruft einer vom Flughafen an: Der Airport werde bald schließen. Ende ist halt erst, wenn einer Schluss! ruft.

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