Porträt:Die hinreißend Schwierige

Unbekannt wie Horst Köhler, erfolgreich als Professorin, unbequem in der SPD - Gesine Schwan ist eine politische Intellektuelle, die in keine Schublade passt. Sie will für die rot-grüne Koalition die erste Bundespräsidentin werden:"Ich kann dieses Amt gut ausfüllen".

Von Cathrin Kahlweit

Wer Fragebögen für Zeitschriften ausfüllen darf, in denen nach Lieblingsbüchern und Lieblingshelden gefragt wird, der ist gewiss unter den Prominenten dieser Republik angekommen. Allerdings ist Gesine Schwan nicht mit dem nötigen sittlichen Ernst bei der Sache: "Mein Gott, was die alles wissen wollen", ruft sie und lacht laut.

Sie lacht nicht sehr damenhaft, ein wenig dreckig, mit tiefer Stimme, was so gar nicht zu ihrer eleganten Erscheinung passt, zu dem goldfarbenen Rock und den Seidenstrümpfen, dem Tweedjackett und dem Seidentuch.

Ihr Lachen entspricht auch nicht unbedingt dem Stil der Wohnung im schicken Berlin-Zehlendorf mit den brokatbestickten Vorhängen, den Trockenblumengestecken, den Stilmöbeln, dem knarzenden Parkett. "Herr Bussemer, welches ist mein Lieblingsbuch?", fragt sie ihren persönlichen Referenten und lacht wieder.

Antworten für spätere Generationen

Sie lacht viel und gern. Ihr Referent schlägt ein Werk von Robert Putnam vor, einem amerikanischen Sozialwissenschaftler, der über das Funktionieren von Demokratien geschrieben hat. "Und was treibt mich an?"

Ihr Referent ist für intellektuelle Neugier, bei der Frage nach dem Lieblingsgericht entscheidet man sich für Tafelspitz. Die Frage, wem sie einen Orden verleihen würde, beantwortet sie gern selbst: "Meiner Sekretärin."

Fragen wie diese sind das Material, aus dem spätere Generationen das gewisse Etwas herausfiltern, mit dem sie sich ein Bild über Personen der Zeitgeschichte machen können. Zur Zeit zählt Gesine Schwan natürlich dazu, immerhin ist sie die rot-grüne Kandidatin für das Amt der Bundespräsidentin.

Ein kluger Schachzug

Ihre Chancen stehen allerdings nicht sonderlich gut, sie müsste in der Bundesversammlung etwa 20 Stimmen von der Gegenseite bekommen. Also wird sie doch eher in die Geschichte eingehen als Präsidentin der Viadrina-Universität in Frankfurt an der Oder, aber eben nicht als erste Bundespräsidentin Deutschlands, deren "schönster Lustkauf ein langlebiger Morgenmantel" war und die am liebsten Kanons singt, wie zu lesen sein wird.

Derzeit hätte die Sechzigjährige wohl kaum genug Zeit für Lustkäufe; sie befindet sich im Wahlkampf. Auf einer Tagung zum 200. Todestag von Immanuel Kant am vergangenen Wochenende, auf dem sie einen Vortrag über ihr Lieblingsthema "Politik und Vertrauen" hält, zitiert sie Macchiavelli und schaut dabei sehr vergnügt über ihre halbe Brille: "Man wird äußerst selten beobachten, dass das Volk, wenn es zwei gleich gute Redner hört, nicht dem besseren Vorschlag folgt."

Das Volk, da folgt sie dem Italiener, lasse sich "nicht täuschen". Das Volk - das wären in ihrem besonderen Fall die 1206 Wahlmänner und -frauen der Bundesversammlung, und die will sie überzeugen.

Gute Chancen hätte sie bei einer Direktwahl

Ihrem Gegenkandidaten Horst Köhler hat sie daher ein Rededuell angeboten, mit den Abgeordneten der FDP will sie sich treffen. Gäbe es eine Direktwahl des Bundespräsidenten, sie hätte recht gute Chancen. Nach einer Forsa-Umfrage im Großraum Berlin würde sie mehr Stimmen bekommen als der CDU-Mann.

Der Kanzler hat also einen klugen Schachzug gemacht, als er sich für die blonde Professorin von der deutsch-polnischen Grenze entschied. Er wollte "diesmal eine Frau". Die Namen Jutta Limbach und Renate Schmidt kursierten, doch dann überraschte er sie alle: Gesine Schwan sei "unbedingt erste Wahl".

Übrigens: Dem Kanzler sind zuerst ihre Haare aufgefallen. Als sie vor ein paar Jahren Schröder persönlich vorgestellt wurde, da habe er, erzählt sie, spontan ausgerufen: "Du bist also Gesine Schwan. Du hattest doch früher immer so strenge Haare!" Dann habe er sich zu ihr hinüber gebeugt und grinsend gesagt: "Ich glaube, du hast dich weniger ändern müssen als ich."

"Glaubst Du, die kann die Frisur so lassen?"

Sie weiß natürlich, dass Politikerinnen in Deutschland erstmal an ihren Haaren gemessen werden: Kann eine wie Angela Merkel mit ihrer Topffrisur überhaupt CDU-Chefin sein? Sagt der wilde Rotschopf der Grünen Claudia Roth nicht schon alles über diese Partei? Und nun kommt sie daher mit ihrer hochgesteckten Löwenmähne, über die selbst zwei Zuhörer während des Kant-Vortrages lästern.

"Glaubst du, die kann das so lassen?", fragt ein Professor den anderen. Da lacht sie - und fragt: "Also gehöre ich doch jetzt zu einem illustrem Kreis, oder?"

Haare, Kleider, Stil: Die rot-grüne Kandidatin bewegt sich lange genug im politischen Raum, um zu wissen, dass auch Äußerlichkeiten eine Rolle spielen in der Diskussion um die Befähigung einer Frau für einen Posten. Wie sieht sie aus, wie tritt sie auf, wie präsentiert sie sich, macht sie auch etwas her?

Also spielt Gesine Schwan selbst auf der Klaviatur der Rollenbilder und sagt: "Ich kandidiere bewusst als Frau." Klar sagt sie das, sie spekuliert ja auch auf die Stimmen der Frauen von Union und FDP, wenn sie am 23. Mai antritt.

Kaum bekannt, bevor Schröder sie aus dem Hut zauberte

Diese Kandidatin also hat sich die SPD ausgesucht: eine 60-jährige Politikwissenschaftlerin, die lange Jahre das Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin (FU) geleitet hat. Sie kann ohne Vorbereitung über Philosophen wie David Hume und John Locke dozieren, hat ein wichtiges Buch über das schwierige Thema "Politik und Schuld" geschrieben, ihren Doktor mit einer Arbeit über den polnischen Philosophen und Antikommunisten Leszek Kolakowski gemacht - und die wenigsten Deutschen kannten sie, bevor Schröder sie aus dem Hut zauberte.

Andererseits: Wer kannte schon Horst Köhler? Beide sind in gewissem Sinne Seiteneinsteiger, beide sind keine Parteisoldaten. Und vielleicht sagt das ja einiges aus über den inneren Zustand der Republik, wenn die Parteigranden es nicht mehr wagen, für das Bundespräsidialamt altgediente Schlachtrösser vorzuschlagen, sondern eine Frau und einen Mann, die von außen auf die enge Welt parteipolitischer Zwänge schauen.

Sie selbst sei nicht sonderlich überrascht gewesen, als der Kanzler während ihrer USA-Reise anrief, behauptet sie, immerhin habe sie seit längerer Zeit intensive Kontakte ins Kanzleramt: "Ich habe ja immer wieder an die Tür geklopft, um Geld für die Viadrina zu sammeln."

Aber das ist vielleicht ein wenig geschönt. Immerhin erzählt ihre Freundin Helga Haftendorn, emeritierte Politikprofessorin aus Berlin, "haben wir einige Tage vorher telefoniert, und da wollte sie unbedingt schnell aus den USA nach Hause, weil sie dringende Termine in Frankfurt hatte. Da war keine Rede von irgendeiner bevorstehenden Veränderung in ihrem Leben."

Zu wenig Zeit

Insgeheim, das soll hier verraten sein, findet Gesine Schwan, dass es durchaus auch Vorteile haben könnte, wenn diese Veränderung nicht zustande kommt. Sie ist privat glücklich mit Peter Eigen, dem Gründer der Organisation"Transparency International", die sich weltweit gegen Korruption engagiert.

Eigen, der lange Jahre für die Weltbank gearbeitet hat, wohnt zwei Straßen von ihrem Haus entfernt, derzeit machen die beiden Ferien in Ägypten. Ihr Lebenspartner, berichtet Gesine Schwan, fände es zwar toll, wenn sie Bundespräsidentin würde und sei sehr stolz auf sie - "aber wir hätten doch viel weniger Zeit für einander".

Zu wenig Zeit: Das war die Tragik ihrer Ehe mit Alexander Schwan. Sie lebte als junge Studentin in Freiburg, als sie den zwölf Jahre älteren Hochschulassistenten kennen lernte, der ihr ausredete, Lehrerin für Französisch und Geschichte werden zu wollen und ihr riet, an der Universität zu bleiben.

In den Wirren der Revolte

Kurz nach der Hochzeit bekam Schwan Hodenkrebs und konnte keine Kinder mehr zeugen. Das Paar adoptierte ein Mädchen und einen Jungen. Die beiden waren zwölf und 14, da starb Alexander Schwan an einer anderen Krebsart. Als sie ihm kurz vor seinem Tod sagen musste, dass er sterben würde, erzählt sie, da habe er gesagt: "Ich kann sagen, ich war und bin ein glücklicher Mensch." Die Kinder hat sie dann allein groß gezogen - und bis vor kurzem keinen anderen Mann geliebt.

Aber es ist nicht nur das Privatleben, das Alexander Schwan für sie so wichtig machte. Das Paar geriet in Berlin in die Wirren der Studentenrevolte. Ihr Mann war zwar als Universitätslehrer - auch er leitete zeitweilig das Otto-Suhr-Institut - durchaus ein Reformer und wollte mehr Mitbestimmung für Studenten.

Aber er stellte sich gegen die marxistischen Gruppen und galt bei den Linken bald als "professioneller Konterrevolutionär". Der Sozialdemokrat Peter Glotz erzählt schaudernd, wie Studenten einmal eine "Schweinejagd" auf Schwan veranstaltet hätten, um ihn aus dem Fenster zu werfen.

"Zum Glück konnte man das Fenster nicht öffnen", merkt Gesine Schwan dazu heute an - und lacht endlich wieder. Alexander Schwan trat später in die CDU ein. "Das habe ich allerdings nie verstanden", sagt seine Witwe. Sie selbst war und blieb aktives SPD-Mitglied und saß für die Partei sieben Jahre in der Grundwertekommission.

"Sie war immer die Stärkere"

Peter Glotz, damals SPD-Bundesgeschäftsführer, ließ die Genossin Schwan allerdings 1984 wegen Rechtsabweichung aus der Kommission werfen. Sie hatte der SPD/FDP-Regierung vorgehalten, sich mit ihrer Entspannungspolitik bei den Kommunisten anzubiedern. Glotz sagt heute, sie habe damals sehr unter dem Einfluss ihres Mannes gestanden. Ihre Freundin Helga Haftendorn hingegen findet: "Sie war immer die Stärkere."

Jedenfalls blieb sie - vielleicht auch wegen dieser Erfahrungen - immer eine kritische, eine schwierige Sozialdemokratin. Während die Deutschen sich für die Ostpolitik von Willy Brandt begeisterten, kritisierte sie immer wieder die Regierung.

Das hat natürlich auch der jetzige Kanzler nicht vergessen. Bei dem ersten Treffen, als er sie auf ihre Frisur ansprach, hat sie ihm gleich mal gesagt, er solle nicht den Fehler seiner Vorgänger machen: "Rede du nicht auch mehr mit den Regierungen als mit der Opposition." Schröder, sagt sie, habe gelacht.

Thierse: "Mischung aus Spontanität, Charme und Intelligenz"

Der Sozialdemokrat und Bundestagspräsident Wolfgang Thierse wird nach der Wahl vom 23.Mai den Sieger oder die Siegerin vereidigen, deshalb will er sich keine Bewertung über die beiden Bewerber entlocken lassen. Immerhin verweist er darauf, dass er Gesine Schwan ja 1996 in die Grundwertekommission zurückgeholt habe, weil sie eben doch "gut zur SPD passt".

Und dann lässt er sich doch hinreißen: Ihre Mischung aus "Spontanität, Charme und Intelligenz" sei selten zu finden. Wollte man einen männlichen Kandidaten loben, würden vermutlich erst einmal andere Begriffe fallen.

Aber: Frau gegen Mann, neues Rollenbild gegen überkommene Lösungen - auch darum geht es bei dieser Bundespräsidentenkür. Gerade erst haben zwei junge Wissenschaftler, Alexandra Albrecht-Baba und Karsten Rudolph, in der FAZ einen Aufsatz darüber veröffentlich, dass der Bundespräsident eigentlich überflüssig sei.

Ich könnte dieses Amt gut ausfüllen

"Die Sympathie für den konstitutionellen Ersatzmonarchen, der sich als eine Art weltlicher Oberpriester betätigt und die politische Klasse zu tugendhaftem Handeln ermahnt, ist in der Bevölkerung weitgehend verflogen", schreiben sie.

Natürlich ist Gesine Schwan ganz anderer Meinung. Sie findet, gerade in diesem Amt und gerade mit dem speziellen Zugang einer Frau könne man "die Suche nach Lösungen durch den Austausch von Argumenten" befördern. "Ich könnte dieses Amt gut ausfüllen."

Also kritisiert sie auch jetzt die Reformpolitik der SPD, die Gefahr laufe, einzelne Gruppen auf dem Weg zu verlieren - nur wenn es eine Grundsolidarität in der Gesellschaft gebe, könne man umfassende Reformen durchsetzen.

Uni-Präsidentin an der Grenze zu Polen

Letztlich sind also ihre Positionen zur aktuellen Politik gar nicht so verschieden von denen des Finanzfachmanns Köhler. Allerdings, merkt sie selbstbewusst an, habe sie "einen ganzheitlicheren Ansatz". Was heißen soll: Es gibt mehr als die Ökonomie.

Neulich hat sie das auch dem Wirtschaftslobbyisten Hans Olaf Henkel geschrieben: Wenn alles über den Wettbewerb definiert werde, dann habe Solidarität keine Chance. Ach, übrigens, fügt sie dann schnell und spitz hinzu: Henkel habe durch einen Assistenten antworten lassen, sie habe ihn sicher falsch verstanden.

Wie man sich wehrt, sich durchsetzt, sich nicht beiseite schieben lässt - das hat sie vermutlich schon daheim gelernt. Ihre Eltern, alte Sozialdemokraten, engagierten sich im Widerstand gegen das Dritte Reich. Durch die Vermittlung des Gefängnispfarrers von Tegel, Harald Poelchau, nahm die Familie gegen Ende des Krieges ein jüdisches Mädchen auf.

"Ich will weitergeben, womit ich aufgewachsen bin"

"Erst kürzlich hat mir der Sohn einer einstigen Haushaltshilfe ein Foto geschickt, auf dem das Mädchen mit uns im Garten zu sehen ist", berichtet Gesine Schwan. "Ich erinnerte gar nicht mehr, dass sie offen bei uns wohnte. Wir haben sie damals unter falschem Namen als Flüchtlingskind ausgegeben."

Daheim habe sie gelernt, dass Wiedergutmachung nicht an persönliche Schuld gekoppelt sein müsse und was Verantwortung heiße. Ihre Mutter hat ihr das intensiv vorgelebt und nach dem Krieg eine Friedenspartei gegründet.

Auch deshalb leitet die Tochter heute eine Universität an der Grenze zum einstigen Ostblock, und deshalb ist sie Hochschullehrerin geworden:" Ich will etwas von dem weitergeben, mit dem ich aufgewachsen bin."

Symbolhafte Kandidatur

Anna Tucholski, Studentin der Kulturwissenschaften an der Viadrina, erzählt, wie sich die Uni-Präsidentin Schwan bei einem festlichen Abendessen zu den Mitgliedern des Studentenorchesters setzte, zu denen auch Anna mit ihrer Querflöte gehört. Von ihrem katholischen Glauben habe "die Schwänin", wie sie an der Viadrina von den Studenten genannt wird, erzählt, von ihrer Zuversicht - "total persönlich und unprätentiös. Das hat man nicht oft."

Dass im Jahr der EU-Osterweiterung eine Frau für das Bundespräsidentenamt nominiert ist, die schon in den Sechzigerjahren hinter dem eisernen Vorhang in Polen studierte und in Osteuropa zu Hause ist, auch das mag symbolhaft sein. Wenn es nicht klappt, bleibt sie eben an der Oder. Aber ein schönes Geschenk wäre die Wahl für sie schon. Gesine Schwan hat nämlich am 22. Mai Geburtstag.

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