Polizeiausbildung in Afghanistan:"Eine dreiste Lüge"

Die Regierung rühmt sich, in Afghanistan 22.000 Polizisten ausgebildet zu haben. Bernhard Gertz, Vorsitzender des Bundeswehrverbandes, hält nur "einige Hunderte" für realistisch.

Laura Weißmüller

Bernhard Gertz wählt nicht gerade versöhnliche Worte, wenn er die deutsche Polizeiausbildung in Afghanistan kommentiert. Regelmäßig kritisiert der Vorsitzende des deutschen Bundeswehrverbandes das dortige Vorgehen der Bundesregierung: Ihr Engagement in der Polizeiausbildung sei "unzureichend", das Ergebnis nach etwa vier Jahren, in denen Deutschland die führende Rolle in der Schulung der dortigen Polizisten inne hatte, "ein erbärmliches Versagen der Bundesregierung" und überhaupt sei es unverantwortlich, diesen Part des Engagements am Hindukusch der Bundeswehr zu überlassen.

Polizeiausbildung in Afghanistan: Feldjaeger der Bundeswehr trainieren in den noerdlichen Provinzen Afghanistans Polizisten der afghanischen Nationalpolizei.

Feldjaeger der Bundeswehr trainieren in den noerdlichen Provinzen Afghanistans Polizisten der afghanischen Nationalpolizei.

(Foto: Foto: ddp)

Jetzt setzt Gertz noch eins drauf: In einem Interview mit der SPD-Parteizeitung Vorwärts bezeichnete er die Behauptung des Bundesinnenministeriums, seit 2002 seien 22.000 Polizisten durch 40 deutsche Ausbilder am Hindukusch geschult worden, als "dreiste Lüge".

"Wenn man daran denkt, dass Afghanistan sieben Mal so groß ist wie Deutschland, aber 700 Mal schlechter durch Straßen erschlossen, kann man sich vorstellen, was 40 Polizeibeamten ausrichten können", sagte Gertz sueddeutsche.de. Die Zahlen der Bundesregierung seien getürkt.

Selbst wenn tatsächlich aktuell 60 deutsche Beamten in Afghanistan seien, was Gertz stark bezweifelt, könnte dieses Ausbildungsergebnis nach seiner Einschätzung nicht erzielt werden. Statt 22.000 hält er "einige Hunderte" für realistisch. Diese seien überwiegend in Kabul und nicht auf dem Land ausgebildet worden.

Das Innenministerium reagierte auf den Vorwurf von Gertz und wies diesen umgehend scharf zurück. Das sei "reine Wahlpropaganda, die mit der Realität nichts zu tun hat", sagte ein Sprecher des Ministeriums. Er unterstrich, dass die Zahl von 22.000 aus- und fortgebildeten Polizisten im offiziellen Bericht der Bundesregierung genannt wurde. Dieser war erst vergangene Woche verabschiedet worden. Auch wenn Gertz ständig seine Kritik wiederhole, würde sie nicht richtig werden.

Der Vorwurf, Wahlpropaganda zu betreiben, lässt Gertz kalt: "Ich bin parteipolitisch nicht gebunden und nichts und niemandem Rechenschaft schuldig." Er wolle nur klar stellen, dass der dringend nötige zivilgesellschaftliche Aufbau in Afghanistan nicht stattfinde. Zumal sei nicht die Zahl der möglicherweise ausgebildeten Polizisten entscheidend, sondern die Frage, wie viele man anschließend "auch bei der Stange hält". Die staatliche Bezahlung sei schlecht, die Moral dementsprechend und die vielen Warlords im Land würden genug Geld haben, um die Regierung zu überbieten.

Der Verbandschef der Bundeswehr stellte nicht nur die Zahlen der ausgebildeten Polizisten in Frage, sondern auch die Berichte, wonach es zu wenig Freiwillige für die Polizistenausbildung gebe. Gertz habe mit betroffenen Polizeistellen und Gewerkschaften gesprochen. "Es hat immer mehr Freiwillige gegeben, als das deutsche Innenministerium bereit gewesen wäre, nach Afghanistan zu schicken. Es wurde ihnen einfach keine Chance gegeben", sagt er.

Neben den Vorwürfen an die Bundesregierung richtete sich Gertz' Kritik auch speziell an Bayern: Das Bundesland habe sich bis jetzt geweigert, auch nur einen einzigen Beamten nach Afghanistan zu schicken. Das widerspreche nicht nur der offiziellen Linie, den deutschen Einsatz am Hindukusch zu befürworten, sondern sei auch "ausgesprochen unfair gegenüber den eigenen bayerischen Soldaten". Diese seien dadurch stärker durch Angriffe gefährdet. Außerdem gebe es ohne einen zivilgesellschaftlichen Aufbau keine Perspektive für eine Sicherung des Landes. Ein Abzug der Truppen würde dadurch in weite Ferne rücken.

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