Polizei:Voll daneben

Verlernen Deutschlands Beamte das Schießen? Die Klagen häufen sich, dass viele schlecht trainiert sind.

Von Joachim Käppner

Einmal pro Jahr dürfen Berlins Polizisten dienstlich Playstation spielen. So jedenfalls nennt die Gewerkschaft der Polizei (GdP) das Laserschießen, mit dem viele Beamte bis auf Weiteres ihr Training an der Waffe simulieren müssen. Nach Angaben der GdP sind derzeit für den Einsatz echter Munition nur elf von 73 Schießbahnen betriebsbereit, für circa 17 000 Träger von Dienstwaffen. "Laserschießen ist richtiger Quatsch", ärgert sich Benjamin Jendro von der Berliner GdP: "Schießen ist eben nicht so einfach wie auf der Playstation, wo es keinen Rückstoß gibt, keinen Lärm, keinen Rauch." Früher sollten Polizisten in der Hauptstadt dreimal pro Jahr mit der Waffe trainieren, heute reiche einmal, bei vielen sogar Laserschießen. Jendro: "Wir profitieren noch von gut ausgebildeten Kollegen. Auf lange Sicht aber ist es problematisch. Die Kollegen dürfen nicht einmal mit ihrer Dienstwaffe in einem Schützenverein üben."

Berlin dürfte - wie so oft - der krasseste Fall sein, aber in den meisten Bundesländern gibt es ähnliche Klagen. Etliche Beamte lassen sich das ganze Jahr nicht am Schießstand sehen. Entweder sind die Anlagen marode, wie in Berlin, wo die Bahnen noch aus alliierter Zeit stammen, der Rauch nicht abzieht und Glaswolle und Asbest die Luft verpesten. Oder der Personalmangel ist so groß, dass Beamte kaum noch zu den vorgeschriebenen Mindeststunden kommen. Mehrere umstrittene Todesschüsse durch die Schutzpolizei in den vergangenen Monaten haben Experten zweifeln lassen, ob wirklich alle Uniformierten vernünftig mit einer Schusswaffe umgehen können. Volker Huß vom Landesvorstand der GdP in Nordrhein-Westfalen war selber Ausbildungsleiter und hat jungen Polizisten beigebracht: Man zieht die Pistole wirklich nur im Notfall - "aber dann müssen Sie die Waffe beherrschen." Wer panisch abdrückt, riskiert leichter ein Menschenleben. Ein gut trainierter Beamter schafft es eher, einem Angreifer nur ins Bein zu feuern.

Ohnehin wird sich das Training drastisch verändern, auch wegen der Terrorszenarien wie in Paris, bei denen schwerbewaffnete Täter möglichst viele Menschen töten wollen - eine Extremsituation, die von der Polizei alles verlangt. Nordrhein-Westfalen hat interaktive Schießkinos eingerichtet, in denen nicht mehr einfach die vorgeschriebenen paar Schüsse pro Jahr auf Pappfiguren und Zielscheiben abgefeuert werden. Die Szenarien wirken echt, auch mit Maschinenpistolen wird geübt. Sogar Wohnungen und Kneipen sind hier nachgebaut, um ein realistisches Szenario für Übungen zu bieten, bei denen dann Farbkugeln wie beim Paintball verschossen werden. Das Polizeipräsidium Mittelfranken lässt die Beamten in verlassenen Gebäuden üben - ebenfalls auf diese Weise, um, wie eine Sprecherin sagt, "lebensbedrohliche Einsatzlagen" zu simulieren, bei denen viel mehr Munition verschossen wird als früher.

Wen das alles beunruhigt, für den hat Volker Huß wenigstens den Trost parat, dass amerikanische Verhältnisse mit schießwütigen Cops, die erst feuern und dann fragen, nicht zu befürchten seien: "Deutsche Polizisten greifen weit seltener zur Waffe, als es ihnen rechtlich erlaubt wäre."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: