Polizei stellt Fotos von Verdächtigen ins Netz:"Wir werden euch finden"

Überwachungskameras haben viele der Randalierer in London gefilmt. Nun veröffentlicht die Polizei ihre Bilder im Internet und ruft die Bevölkerung auf, die Verdächtigen zu identifizieren. Doch es gibt ein Problem: Nicht jede Aufnahme zeigt sicher eine Straftat.

Sebastian Gierke

"Shop a Moron" - Melde einen der Trottel. Vielleicht das Mädchen mit den streng zurückgebundenen Haaren und dem weißen Schal? Oder den Jungen in der dunklen Trainingsjacke, den Anglerhut tief ins Gesicht gezogen? Oder die drei Freundinnen, herausgeputzt, in schicken Jacken, die aussehen, als kämen sie gerade von einer Shopping-Tour?

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Kauf dir einen der Trottel: So titelt die Zeitung Sun nach den Plünderungen in London. (Screenshot: sueddeutsche.de)

Es ist auf dem Foto nicht zu erkennen, wo sich die drei gerade befinden, was sie gerade tun oder getan haben. Vielleicht haben sie sich tatsächlich gerade ein paar neue Jacken besorgt. Ohne dafür zu bezahlen. Vielleicht haben sie dafür das Schaufenster eines Ladens eingeschlagen.

Vielleicht aber auch nicht. Der Bildausschnitt verrät es uns nicht.

Die englische Boulevardzeitung Sun zeigt diese Bilder. "Shop a Moron" hat sie darüber geschrieben. Und: "Name and shame a rioter": Erkenne einen Randalierer und stelle ihn bloß. Es sind Fahndungsfotos, die die Londoner Polizei nach den Krawallen der vergangenen Tage auf dem Online-Fotodienst Flickr veröffentlicht hat. Doch auch an vielen anderen Stellen im Netz, bei fast allen englischen Medien, sind die Bilder mittlerweile abrufbar. Das gehört zum Kalkül der Polizeiaktion. Möglichst viele Menschen sollen diese Fotos sehen. Fotos, die der Gewalt Gesichter geben.

Für die Metropolitan Police war es ein Leichtes, an die Bilder zu kommen. Sie hat sie selbst geschossen. Kein anderes demokratisches Land der Welt verfügt über eine so hohe Dichte an Kameras im öffentlichen Raum wie Großbritannien. In der Innenstadt Londons ist es ohne weiteres möglich, den Weg eines Menschen durch die Stadt lückenlos nachzuvollziehen. Nach Schätzungen des britischen Innenministeriums wurden allein in London 600.000 Kameras installiert, im ganzen Land sind es mehr als vier Millionen. Die Menschen werden im Bus gefilmt, in der U-Bahn, in der Stadt, beim Betreten eines Restaurants, eines Geschäftes oder ihrer Firma. Durchschnittlich 300 Mal taucht jeder Brite pro Tag auf dem Monitor einer Überwachungskamera auf.

In Middlesbrough beispielsweise "blaffen" die Kameras die Bürger an. Wirft jemand seinen Müll einfach auf die Straße, kann es sein, dass jemand in der Videoüberwachungszentrale den Übeltäter per Lautsprecher auffordert, den Müll doch bitteschön dorthin zu tun, wo er hingehört.

Müll liegt auf den Straßen Middlesbroughs tatsächlich weniger herum. Die Jugendkriminalität dagegen hat die Polizei auch durch Tausende Kameras in den vergangenen Jahren nicht in den Griff bekommen, wie Statistiken beweisen. Vor allem Straftaten, die mit Waffen begangen wurden, nahmen sogar zu. Die elektronischen Augen des Gesetzes, die CCTV-Überwachungskameras, konnten das nicht verhindern.

"Das zeigt doch: Zehn Kameras können den Bobby an der Ecke nicht ersetzen", erklärt der Bundesbeauftragte für Datenschutz, Peter Schaar, im Gespräch mit sueddeutsche.de. Das ist einer der Gründe, weshalb er gegen die flächendeckende Überwachung der Bevölkerung mit Kameras ist. "Einige Täter, das sieht man auch im Moment wieder, nutzen die Bilder sogar, um sich in der Öffentlichkeit zu produzieren, posieren regelrecht vor den Objektiven."

CCTV ist die Abkürzung für Closed Circuit Television. Dieser Name wurde von der britischen Polizei gewählt, weil nur ein geschlossener Kreis von Beamten die aufgenommenen Bilder sehen darf. Eigentlich.

"So wäre das bei uns nicht möglich"

Nach den Krawallen der vergangenen Tage zeigt die Metropolitan Police (Met) nun CCTV-Bilder von vermeintlichen Plünderern der ganzen Welt. Es sind Fahndungsfotos. Doch sie wirken wie ein moderner Pranger. Bislang wurden fünfzehn Bilder veröffentlicht, es sollen noch mehr werden. Viele mehr.

Polizei stellt Fotos von Verdächtigen ins Netz: Der Hinweis auf Videoüberwachung hat viele Randalierer nicht daran gehindert, Geschäfte zu plündern.

Der Hinweis auf Videoüberwachung hat viele Randalierer nicht daran gehindert, Geschäfte zu plündern.

(Foto: AP)

"Wir haben Fotos und Beweise"

Polizeikommandant Simon Foy, der die "Operation Withern" - die "Operation Trockenlegen" - leitet, erklärte: "All jene, die schon Gewalttaten und Verbrechen begangen haben oder das noch vor haben, seien gewarnt: (...) Wir haben Fotos und Beweise, die wir dazu nutzen, euch zu identifizieren und der Gerechtigkeit zuzuführen. Bereits heute veröffentlichen wir die ersten von vielen, vielen Bildern der Personen, mit denen wir im Zusammenhang mit den Szenen der Gewalt ein Wörtchen zu reden haben." Die Botschaft ist eindeutig: "Wir werden euch finden."

Wer glaubt, jemanden auf den Bildern zu erkennen, kann eine spezielle Telefonnummer wählen, zusätzlich kann man auch über Twitter Personen melden. Die Polizei selbst hat für den Online-Kurznachrichtendienst den Hashtag #tweetalooter vorgeschlagen. Es sind also nicht mehr die Behörden allein, die nach den Randalierern sucht, ganz England soll mithelfen.

Bei Google hat sich die Gruppe "London Riots Facial Recognition" zusammengefunden, die versucht, Gesichtserkennungsprogramme einzusetzen. Twitter-Nutzer posten Bilder und sogar Nutzernamen von ihnen bekannten Plünderern. Sie veröffentlichen inkriminierende Beweise - etwa Screenshots von den Nutzerseiten derjenigen, die sich auf Twitter mit ihren Taten brüsten.

Auch einen Tumblr-Blog gibt es, Catch A Looter genannt, der Fotos Verdächtiger zeigt. Eine ähnliche Internetseite, LondonRioters.co.uk, ist immer wieder nur schwer zu erreichen - sie bricht unter dem Ansturm der Neugierigen ständig zusammen. Die Facebook-Seite "Supporting the Met Police against the London rioters" hat weit über 900.000 Mitglieder.

Hunderte Bilder sind also im Internet abrufbar - und das Netz vergisst nichts. Peter Schaar ist sich zwar sicher, dass die britische Polizei die Fotos nach dem Ende der Ermittlungen wieder aus dem Netz nehmen wird, "doch man kann natürlich nicht verhindern, dass diese Bilder an anderen Stellen im Netz wieder auftauchen. Die Fahndung über Fotos im Internet hat deshalb eine andere Qualität, als das früher der Fall war", erklärt der Datenschützer. "Als die Bilder in Zeitungen oder auf Plakaten veröffentlicht wurden."

Auch in Deutschland sei die Öffentlichkeitsfahndung in einer ähnlichen Form rechtlich möglich, sagt Schaar. "Allerdings müssen die gesetzlichen Bestimmungen eingehalten werden." Die Verhältnismäßigkeit müsse strikt gewahrt werden, eine Straftat von erheblicher Bedeutung und ein Anfangsverdacht konkret gegen die abgebildete Person müssen vorliegen. "Außerdem muss die Feststellung der Identität eines Verdächtigen durch die Polizei auf eine andere Weise erheblich erschwert sein." Wichtig sei, dass aus der Präsentation der Bilder deutlich wird, ob der Gezeigte als Beschuldigter oder als Zeuge gesucht wird. "Auf einzelnen Fotos aus England, die ich im Internet gesehen habe, war diese Differenzierung für mich jedoch nicht zu erkennen. So wäre das bei uns nicht möglich."

Tatsächlich zeigen die Bilder aus London zwar überwiegend Jugendliche, die gerade einen Laden ausräumen oder die Gitter vor Schaufenstern zerstören. Doch auf anderen Aufnahmen ist nicht zu erkennen, ob jemand gerade eine Straftat "von erheblicher Bedeutung" begangen hat oder möglicherweise nur daneben stand, ohne sich beteiligt zu haben. Vielleicht handelt es sich bei einigen nur um Zeugen einer Straftat. Doch auch ihre Bilder befinden sich jetzt im Internet. Wahrscheinlich für sehr, sehr lange.

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