Politische Stimmung in Israel:Brüchige Meinungsfront

Lesezeit: 3 min

Die israelische Bevölkerung steht nicht mehr geschlossen hinter der Offensive im Libanon. Linke und Friedensaktivisten sprechen von einem "unverhältnismäßigen Krieg" und einer "verfehlten Strategie".

Thorsten Schmitz

Die Zeit arbeitet gegen die israelische Regierung. In den ersten Tagen der Militär-Offensive gegen die Hisbollah im Libanon stand das Volk noch relativ vereint hinter Premier Ehud Olmert.

Israelische Soldaten bestatten einen gefallenen Kollegen. (Foto: Foto: AFP)

Der Versuch, das Waffenarsenal der Hisbollah zu zerstören und ihre Führer auszuschalten, wurde in Umfragen, Zeitungskommentaren und Talkshows als legitim betrachtet.

Mit jedem Tag jedoch, an dem die Zahl der libanesischen und israelischen Opfer steigt, bröckelt die Meinungsfront, und erste kritische Stimmen werden laut. Seit Mittwoch gibt es sogar einen ersten Armeedienst-Verweigerer.

Der 28 Jahre alte Reservist Itzik Schabbat weigerte sich, einem Einberufungsbefehl nachzukommen und den Dienst im Westjordanland anzutreten, damit die dort stationierten Truppen an die Front in den Libanon entsandt werden können.

"Stop that shit" fordern Friedensdemos

Schabbat lebt in der südisraelischen Stadt Sderot, die seit dem Abzug Israels aus dem Gaza-Streifen von palästinensischen Terroristen fast täglich mit Kassam-Raketen beschossen wird.

"Ich weiß, dass die Leute mich fragen werden, wie ich verweigern kann, wenn meine Heimatstadt und der Norden Israels mit Raketen beschossen werden", sagte Schabbat der Zeitung Haaretz. Doch das sei ihm egal.

Zum einen wolle er deutlich machen, dass er den Krieg im Libanon für "überflüssig und verrückt" halte. Zum anderen wolle er die "angeblich einheitliche Unterstützer-Front" brechen. Einer müsse den Anfang machen.

Bereits in der vergangenen Woche hatten Mitglieder der linken israelischen Friedensgruppe "Gusch Schalom" eine spontane Demonstration im Zentrum Tel Avivs organisiert, an der immerhin tausend Menschen teilgenommen hatten.

Für den morgigen Samstagabend plant die Gruppe um ihren Anführer Uri Avneri in der Mittelmeer-Metropole eine große "Anti-Kriegs-Kundgebung" auf dem Rabin-Platz. Zur selben Zeit will Gusch Schalom in Amsterdam eine Demonstration gegen den Libanon-Krieg veranstalten.

Die beiden Demonstrationen stehen unter dem Motto "Stop that shit" - in Anspielung an die versehentlich aufgenommenen Worte von US-Präsident George W. Bush auf dem G8-Gipfel in Sankt Petersburg - der damit allerdings die Unterstützung der Hisbollah durch Syrien gemeint hatte und nicht Israels Offensive.

Auch die linke Vereinigung "Frauen in Schwarz" will am Freitag an mehreren Orten in Israel gegen den Einsatz der Armee protestieren und die Regierung zu Verhandlungen auffordern. Mit wem Israel verhandeln soll, lässt die Vereinigung, mit der auch Olmerts Ehefrau Alica sympathisiert, offen.

Inzwischen melden auch die Journalisten unverblümt Kritik an der Kriegsführung an, die vergangene Woche noch die Offensive mit Verständnis kommentiert hatten, etwa der renommierte Militärexperte Zeev Schiff von der Haaretz.

Unverhältnismäßige Reaktionen Israels

Angesichts der Asymmetrie bei den Opferzahlen - bislang etwa 250 getötete Libanesen, fast alles Zivilisten, und 25 getötete Israelis, darunter die Hälfte Soldaten - und der Bombardierung ziviler Ziele wie Elektrizitätswerke, Brücken, Straßen und Flughäfen wirft Schiff dem Verteidigungsminister Amir Peretz eine "verfehlte Strategie" vor.

Dass zehntausende Libanesen auf der Flucht seien, könne ein Beleg sein für den weltweit von vielen Staaten erhobenen Vorwurf, Israels Reaktion auf die Tötung und Entführung von zehn Soldaten sei unverhältnismäßig.

"Die israelische Regierung hat zu Beginn der Offensive erklärt, es handle sich um keinen Krieg gegen das libanesische Volk. Wenn aber", so Schiff in einem Leitartikel am Mittwoch, "die Massenflucht der Zivilbevölkerung anhält, wird die Welt die Offensive als Bestrafung der Libanesen betrachten und der Hass auf Israel zunehmen."

"Nutznießer sind die jüdischen Siedler"

Außenministerin Tzipi Livni konterte dieser Tage diesen Vorwurf mit einem Vergleich: Die Offensive könne nicht mit dem Angriff der Hisbollah von letzter Woche in Verhältnis gesetzt werden, sondern "zu der Bedrohung, die von ihr ausgeht". Diese sei "weiter und größer" als die zwei entführten Soldaten.

Der Politikwissenschaftler Schlomo Avneri von der Hebräischen Universität in Jerusalem beschreibt die Zwickmühle, in der sich die Regierung befinde: "Wenn Israel nicht reagiert, wird das als Schwäche ausgelegt. Wenn es reagiert, dann stärkt das die Extremisten."

Nutznießer der Offensive seien die jüdischen Siedler im Westjordanland und ihre Führer. Sie müssten der Hisbollah geradezu dankbar sein, denn Regierungschef Olmert werde es jetzt schwer haben, den Plan vom Teilrückzug aus dem Westjordanland bei der Bevölkerung durchzusetzen. Die Siedler könnten argumentieren, Rückzüge führten automatisch zu Angriffen auf Israel.

Besonders hart ins Gericht mit Olmert ging das Massenblatt Jediot Achronot. Es veröffentlichte eine Kolumne von Susie Becher, die der linken Meretz-Jachad-Partei angehört. Darin wirft sie der Regierung mangelnde Weitsicht vor.

Warum, fragt sie, habe Olmert nicht die Freilassung von 300 weiblichen und jugendlichen palästinensischen Gefangenen erwogen, wie von den Entführern des in den Gaza-Streifen verschleppten Soldaten Gilad Schalit verlangt?

Weshalb rechtfertige die Regierung den Libanon-Einsatz als Abschreckung, wo doch über die Stärke der Armee kein Zweifel bestehe, sehr wohl aber über ihre Effektivität. Die Armee habe nicht verhindern können, dass aus den Steinewerfern der ersten Intifada Selbstmordattentäter und Raketen-Werfer geworden seien.

© SZ vom 21.07.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: