Politische Reality-Show:Premier per Fernbedienung

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Per Castingshows wird alles gesucht: Superstars, Comedians, Eiskunstläufer - das muss doch auch in der Politik funktionieren. Das dachte sich die BBC und sucht nun den nächsten großen Leader.

Wolfgang Koydl

"Politikverdrossenheit, Wählermüdigkeit, schrumpfende Wahlbeteiligung - die Klagen sind in den meisten westlichen Demokratien gleich. Nun aber ist Abhilfe in Sicht - und die Rettung könnte ausgerechnet von Leuten wie Dieter Bohlen und Hape Kerkeling inspiriert sein.

Wählen per Fernbedienung? Die BBC sucht Großbritanniens größtes politisches Talent. (Foto: Foto: ddp)

Schließlich leiden "Deutschland sucht den Superstar" und "Let's Dance" bestimmt nicht unter kümmerlicher Wählerbeteiligung. Deshalb liegt es nahe, auch künftige Regierungschefs ähnlich bestimmen zu lassen wie einen Schlagerstar - von der Couch aus per Fernbedienung oder Telefon.

"Der nächste große Leader" heißt die Reality-Show, in der vielversprechende politische Talente ermittelt werden sollen. Als erster europäischer Fernsehsender hat die britische BBC die Rechte von der kanadischen Canadian Broadcasting Corporation erworben.

Hier lief die Sendung unter dem Titel "Canada's Next Great Prime Minister" und war ein ebenso überraschender wie absoluter Zuschauer-Hit. In England soll der TV-Premier erstmals parallel zur nächsten Unterhauswahl bestimmt werden, die 2009 oder 2010 stattfinden wird.

Das Format ist populären Gesangs-, Tanz- und Eislauf-Wettbewerben nachempfunden, nur dass die 18 bis 25 Jahren alten Kandidaten nicht singen oder tanzen können müssen. Stattdessen sollen sie ein Wahlkampf-Video produzieren, sattelfest in wirtschaftlichen, sozialen und außenpolitischen Fragen sein, und "eine moralische Komponente" besitzen.

Die letzten vier Kandidaten treten in einer Fernsehdebatte gegeneinander an, wie man sie aus amerikanischen Präsidentschaftswahlkämpfen kennt. Ach ja, auch Charme und Charisma sind Kriterien, nach denen die Möchtegern-Führer ausgewählt werden. Wie beim "Superstar" begleiten Juroren den Weg der Kandidaten hin zum Finale.

Ob diese Experten-Jury in Großbritannien ähnlich hochkarätig besetzt sein wird wie in Kanada, ist freilich unwahrscheinlich. Jenseits des Atlantiks urteilten gleich vier ehemalige Ministerpräsidenten über die Bewerber. In London ist das allein schon deshalb nicht nachzuempfinden, weil es nur noch drei lebende Ex-Premierminister gibt. Derweil man sich John Major und vor allem Tony Blair recht gut in einer solchen Sendung vorstellen kann, dürfte Margaret Thatcher das Programm vermutlich noch nicht einmal sehen wollen, geschweige denn daran teilnehmen.

In Kanada gewann in der letzten Staffel 2007 der Politik-Student Joseph Lavoie. Sein Preis: 50 000 kanadische Dollar (etwa 34 000 Euro) und ein sechsmonatiges bezahltes Politik-Praktikum. Als das Zuschauervotum verlesen wurde, reagierte er schon wie ein Profi - mit einer Mischung aus gespielter Demut und kaum verhohlenem Hochmut über ein Ergebnis, an dem es in seinen Augen offenbar nie einen Zweifel gab.

Für die britische Version dürfte eines sicher sein: Das Engagement junger Menschen wird beim TV-Duell wohl deutlich über der Wahlbeteiligung an den Urnen liegen. Bei der ersten Staffel des Schlagerwettbewerbs "Pop Idol" jedenfalls machten dreimal so viele 18 bis 24jährige Briten von ihrem Stimmrecht Gebrauch wie bei der letzten Unterhauswahl.

© SZ vom 02.02.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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