Politikwissenschaftler Herz:"Politiker benutzen Feindbilder gezielt für ihre Zwecke"

In der Vorstellung der meisten Deutschen verkörpert Bush alle negativen Eigenschaften Amerikas. Der Politikwissenschaftler Dietmar Herz über die Entstehung von Feindbildern und ihre positiven Auswirkungen auf eine Gesellschaft.

Interviews von S. Schneider und D. Wichmann

Dietmar Herz, 45, ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Erfurt. Er studierte und unterrichtete an zahlreichen amerikanischen Hochschulen, u. a. in Harvard, Stanford und Vanderbilt. Herz schrieb mehrere Bücher über das politische System der Vereinigten Staaten. Demnächst erscheint bei WWG "Amerika verstehen".

SZ-Magazin: Herr Herz, kann man George W. Bush als das derzeit größte Feindbild der Deutschen bezeichnen?

Dietmar Herz: Daran gibt es wohl keinen Zweifel.

SZ-Magazin: Ein noch größeres als die so gefürchteten "Islamisten"?

Dietmar Herz: Sagen wir mal so: ein präsenteres Feindbild, solange al-Qaida oder andere Terrororganisationen in Deutschland kein Attentat verüben. Aktuelle Umfragen belegen, dass weit über neunzig Prozent der Europäer George W. Bush abwählen würden - wenn sie denn den amerikanischen Präsidenten wählen dürften. Noch nie ist ein amerikanischer Politiker in Deutschland und Europa auf eine derart breite Ablehnung gestoßen wie George W. Bush.

SZ-Magazin: Wie wurde er zum Feindbild?

Dietmar Herz: In der Vorstellung der meisten Deutschen verkörpert Bush alle negativen Eigenschaften, die sie schon immer mit den Amerikanern verbunden haben: Bush steht für religiöse Bigotterie, ein imperiales außenpolitisches Auftreten, für Korruption, dubiose Ölgeschäfte, Arroganz im Auftreten und Kulturlosigkeit. In den USA wird das weit gehend anders empfunden: Vieles, wofür die Europäer Bush ablehnen, gehört dort zum politischen Alltag.

SZ-Magazin: Was denn zum Beispiel?

Dietmar Herz: Insbesondere die religiöse Rhetorik und die Einteilung der politischen Welt in Gut und Böse. In der amerikanischen Politik spielen Feindbilder im Inneren und Äußeren eine noch viel größere Rolle als derzeit bei uns in Deutschland.

SZ-Magazin: Warum?

Dietmar Herz:Schon einfach deshalb, weil Feindbilder auch positive Auswirkungen haben können: Sie helfen zum Beispiel, eine Gemeinschaft zu bilden und zu festigen. Die amerikanische Unabhängigkeitserklärung ist zu großen Teilen ganz explizit gegen George III. von England geschrieben worden. Dieses Feindbild wirkt bis in die populäre Kultur der Gegenwart: Es gibt Countrysongs von Johnny Cash, in denen er auf George III. schimpft.

Und auch sonst wimmelte es in der amerikanischen Politik immer von Feindbildern: die Mexikaner, die Sklavenstaaten des Südens gegen die Yankees, die Nazis, später der Kommunismus, heute ist es der politische Islam. Immer diente den Mächtigen ein Feindbild dazu, die Nation zusammenzuführen und eine oft unpopuläre Politik durchzusetzen.

SZ-Magazin: Der Psychoanalytiker Arno Gruen sieht das anders: Er behauptet, Feindbilder entstünden zumeist aus inneren Konflikten der Menschen.

Dietmar Herz: Daran glaube ich für den politischen Bereich nicht: Feindbilder sind hier meiner Ansicht nach nichts Abstraktes und Unterbewusstes. Politiker kreieren Feindbilder und benutzen sie gezielt für ihre Zwecke. Sie manipulieren damit die Bevölkerung, denn mit Feindbildern lässt es sich leichter regieren.

Feindbilder erklären in einfachen Worten politische Entwicklungen und rechtfertigen Handlungen, auch wenn dabei die so genannte Wahrheit auf der Strecke bleibt. So werden heute alle möglichen Gruppen dem "radikalen Islam" zugeordnet, obwohl das in vielen Fällen absoluter Quatsch ist. Außerdem helfen Feindbilder, zweifelhafte und umstrittene Entscheidungen zu rechtfertigen.

SZ-Magazin: Wenn Feindbilder dazu dienen, Gruppen zusammenzuführen: Hilft dann die Abneigung gegen George Bush dem Zusammenwachsen der Europäischen Union?

Dietmar Herz: In gewisser Weise ja, denn dieses Feindbild ist in Europa länderübergreifend. Es führt die Europäer in ihrer Abneigung zusammen.

SZ-Magazin: Wenn der Hass auf Bush das Zusammenwachsen Europas beschleunigt, was ist dann eigentlich so schlimm an Feindbildern?

Dietmar Herz: Vereinfachungen können zwar weiterhelfen, reichen aber für eine weit reichende Politik nicht aus. Eine negative Begründung einer politischen Idee ist gefährlich - was tun, wenn das Feindbild plötzlich wegfällt? Ich gebe aber zu, dass Feindbilder oft eine positive Wirkung haben können. "Der Geist, der stets das Böse will und stets das Gute schafft."

SZ-Magazin: Das Ressentiment gebiert Werte, sagt Nietzsche. Hat er Recht?

Dietmar Herz: Natürlich fördern Feindbilder eine Besinnung auf eigene Stärken und Grundsätze. Aber gerade in Europa gibt es in allen politischen Lagern ohnehin schon einen starken verdeckten Antiamerikanismus. Den sollte man nicht noch fördern.

SZ-Magazin: Was wird passieren, wenn Bush zum zweiten Mal zum Präsidenten gewählt wird?

Dietmar Herz: Ich befürchte, dass sich die Abneigung gegen Bush auf "die Amerikaner" insgesamt ausweiten könnte. In Europa wird sich die Kritik an der Politik des Präsidenten dann immer mehr auf das gesamte amerikanische System beziehen. Nach dem Motto: Die Amerikaner hätten ihren Fehler ja korrigieren und wenigstens John Kerry wählen können.

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