Politik und Militär in der Türkei:General hinter Gittern

Eine Verhaftung wie ein Paukenschlag: Die türkische Justiz wirft Ex-Armeechef Basbug Umsturzpläne vor und nimmt ihn fest. Wird erstmals Putschisten und Möchtegern-Putschisten in der Türkei der Prozess gemacht? Das wäre ein großer Schritt für die Demokratie. Doch unter den liberalen Intellektuellen gibt es Unbehagen.

Kai Strittmatter, Istanbul

Der Mann, der am Freitag kurz nach Mitternacht vom 12. Istanbuler Strafgericht verhaftet wurde, kam sich vor wie im falschen Film. "Tragikomisch" nannte Ilker Basbug den Vorwurf der Staatsanwälte, er habe mitgewirkt "an der Leitung einer bewaffneten terroristischen Organisation". Einer bewaffneten Organisation stand der Angeklagte tatsächlich vor, der größten im Lande sogar: Basbug war von 2008 bis 2010 Generalstabschef der türkischen Armee. Offiziere vor Gericht, daran haben sich die Türken mittlerweile gewöhnt, aber einen leibhaftigen Armeechef hinter Gittern, das haben sie hier noch nie gesehen. Basbugs Verhaftung war ein Paukenschlag.

Former Chief of General Staff Gen. Ilker Basbug testified as a su

Verhaftung von Ilker Basbug: "Tragikomisch" nennt der Ex-Generalstaabschef den Vorwurf, er habe mitgewirkt "an der Leitung einer bewaffneten terroristischen Organisation"

(Foto: dpa)

Und es war nicht der einzige. Die Justiz knöpfte sich diese Woche noch einen zweiten pensionierten Armeechef vor - den heute 94-jährigen Kenan Evren, Anführer der Putschisten vom 12. September 1980. Jenes blutigen Umsturzes, der durch flächendeckende Folter die Kurden in den bewaffneten Kampf trieb. Wenn das Gericht in Ankara die nun eingereichte Anklage zulässt, dann wird erstmals in der Türkei Putschisten der Prozess gemacht. Das wäre ein großer Schritt für die Demokratie.

Der 68-jährige Viersterne-General Ilker Basbug wiederum wird beschuldigt, er stecke hinter Dutzenden Propaganda-Webseiten, die die Armee im vergangenen Jahrzehnt verdeckt betrieb. Auf diesen "patriotischen" Seiten wurde vor allem gegen islamische Gruppen, aber auch gegen Griechen, Armenier oder eine Invasion Anatoliens durch christliche Missionare gehetzt. So hätten die Generäle die Regierung von Premier Tayyip Erdogan sabotieren und einen Umsturz vorbereiten wollen, sagt die Anklage.

Unbehagen unter den Liberalen

Für beide Schritte gab es Applaus von liberalen Intellektuellen. Dass auch die einst Unantastbaren zur Verantwortung gezogen werden, "das hätten wir vor fünf Jahren noch nicht zu träumen gewagt", schreibt Ahmet Altan, Chefredakteur der linksliberalen Taraf. Und fügt an: "Es genügt aber nicht." Der Staat müsse endlich "transparent" werden.

Es gibt ein großes Unbehagen unter den Liberalen in der Türkei, die lange Premier Erdogans Wegbegleiter waren in seinem Ringen mit den alten Kräften der autoritären Republik: Je mehr Machtkämpfe Erdogan gewinnt, desto mehr scheint er in seinem Tun und Reden eben jenen alten Kräften zu ähneln. So sehr er den Staat erobert hat, so sehr scheint er sich von ihm verschlucken zu lassen. Je mehr er die Kontrolle über die Armee gewinnt, desto mehr übt er auch den komplizenhaften Schulterschluss mit ihr. Als die Luftwaffe vergangene Woche auf der Jagd nach kurdischen Rebellen irrtümlich 35 arme kurdische Schmuggler massakrierte, da sprach Erdogan den Armeeführern hinterher gar seinen "Dank für ihre Feinfühligkeit" aus.

Und es werden nicht nur Generäle vorgeführt. Die beiden prominenten linken Journalisten Ahmet Sik und Nedim Sener - seit 310 Tagen zum Entsetzen von Kollegen in Haft wegen angeblicher Verschwörung gegen die Regierung - trugen am Donnerstag ihre Verteidigung vor. "Hier steht der Journalismus vor Gericht", sagte Sik. Die schmutzigen Methoden des alten Staates festigten weiter die Macht. "Nur die Inhaber der Macht haben sich geändert." Erdogan hat es in der Hand, Ahmet Sik zu widerlegen. Die Türken wappnen sich für ein weiteres aufregendes Jahr.

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