Fall Timoschenko:EU-Kommission will EM in der Ukraine fernbleiben

Kommissionspräsident Barroso hat sein Fernbleiben bereits angekündigt, nun ziehen die restlichen 26 EU-Kommissare nach: Um ein Zeichen gegen den Umgang der ukrainischen Behörden mit Julia Timoschenko zu setzen, haben sie erklärt, nicht zur Fußball-EM in dem Land zu reisen. Wladimir Putin will die erkrankte Oppositionsführerin in Russland behandeln lassen.

Die EU-Kommission unterstützt ihren Präsidenten José Manuel Barroso in seiner Entscheidung, der Fußball-EM in der Ukraine fernzubleiben. Das geht aus einer Erklärung hervor, die von der EU-Delegation in der ukrainischen Hauptstadt Kiew veröffentlicht wurde. Die Erklärung war zunächst als offizielle Absage der Kommissare gewertet worden. Der Sprecher der EU-Delegation in Kiew sagte der Nachrichtenagentur dapd jedoch, es habe sich nicht um eine offizielle Absage gehandelt. Die EU-Kommission sei sich jedoch einig, die Situation in der Ukraine weiter genau zu beobachten und gegebenenfalls zu reagieren.

Zeltstadt und Hungerstreik neben der EURO 2012-Fanmeile

Ein Bild der inhaftierten und schwer erkrankten Politikerin Julia Timoschenko hängt in einem Camp ihrer Unterstützer in der ukrainischen Hauptstadt Kiew.

(Foto: dapd)

"EU-Kommissionspräsident Barroso hat nicht die Absicht, in die Ukraine zu reisen oder an den Veranstaltungen im Zusammenhang mit der Euro 2012 teilzunehmen", hieß es in der auf der Facebook-Seite der EU-Vertretung veröffentlichten Erklärung. "Diese Haltung wird von allen EU-Kommissaren geteilt." Barroso selbst hatte bereits zuvor angekündigt, dass er nicht in die Ukraine reisen werde.

Wegen des Umgangs der ukrainischen Behörden mit der inhaftierten Oppositionspolitikerin Julia Timoschenko forderten in den vergangenen Wochen bereits zahlreiche Politiker einen Boykott der Fußball-EM in der Ukraine. Das Land veranstaltet das Sportereignis gemeinsam mit Polen.

Polen uneins über EM-Boykott der Ukraine

Das jüngste Bekenntnis lieferte der polnische Oppositionsführer Jaroslaw Kaczynski, er sprach sich klar für einen Boykott der Ukraine während der Fußball-Europameisterschaft aus. Der Druck auf das Nachbarland müsse verstärkt werden, schrieb Kaczynski in einem Beitrag für die polnische Nachrichtenagentur PAP.

Das Vorgehen der ukrainischen Führung gegen die Opposition, vor allem gegen die inhaftierte Timoschenko, erfordere eine harte Haltung der polnischen Politiker. "Auch die polnische Regierung sollte mit dem Boykott des ukrainischen Teils der EM drohen", forderte Kaczynski. Seine Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) begrüße die bisherigen Boykottforderungen westlicher Politiker.

Der polnische Staatspräsident Bronislaw Komorowski hatte dagegen am Mittwochabend in einem Fernsehinterview einen EM-Boykott der Ukraine als unangemessene Reaktion bezeichnet. Er warnte davor, dass eine Isolation des Landes die Westintegration der Ukraine gefährde.

"Die EM ist nicht das Eigentum von diesem oder jenem Politiker", sagte Komorowski dem polnischen Fernsehsender TVP1. "Sie ist eine Chance für die Ukraine, sich selbst von ihrer besten Seite zu zeigen." In Polen verstehe man das sehr gut. "Wir fühlen, dass sich die Ukraine irgendwo zwischen der Wahl einer Integration in die westliche Welt oder der Chance zur Teilhabe an einer von Russland angebotenen Zollunion befindet."

Deutschland erwägt parteiübergreifend politischen Boykott

Auch in Deutschland war zuletzt parteiübergreifend ein politischer Boykott der Fußball-Europameisterschaft in der Ukraine erwogen worden. Zuletzt hatte Bayerns Kultus- und Sportminister Ludwig Spaenle (CSU) gefordert, dass Politiker keine dort stattfindenden Spiele besuchen. "Regierungsmitglieder aus europäischen Ländern sollten mit ihrem Boykott der Spiele in der Ukraine für Demokratie und Rechtsstaat in der ehemaligen Sowjetrepublik eintreten", sagte Spaenle der Passauer Neuen Presse. Österreich erklärte am Mittwoch, aus Protest blieben Regierungsvertreter des Landes der EM in der Ukraine fern.

Putin bietet medizinische Hilfe für Timoschenko an

Der ehemalige Manager von Werder Bremen und UN-Sonderberater für Sport, Willi Lemke, warnt dagegen vor einem politischen Boykott. "Ich finde es viel besser, wenn man dort hinfährt und die Möglichkeit des Dialogs in allen Feldern - mit den Fans, mit den Offiziellen - versucht hinzubekommen. Natürlich auch mit Vertretern der Opposition", sagte Lemke im Deutschlandfunk mit Blick auf die Menschenrechtssituation. Mit einem Boykott der EM-Spiele bestrafe man den Sport "und diejenigen, die sich jetzt sehr darauf freuen". Lemke forderte, die deutschen Nationalspieler über die politische Lage in der Ukraine aufzuklären, bevor sie zur EM reisen.

Nach Angaben der Tochter von Julia Timoschenko verschlechtert sich der Gesundheitszustand der ukrainischen Oppositionsführerin von Tag zu Tag. Die Lage sei lebensbedrohlich, sagte Jewgenija Timoschenko am Donnerstag im ZDF-Morgenmagazin. Dazu beigetragen habe die brutale Behandlung bei der Verlegung in eine neue Klinik. Durch ihren mittlerweile zweiwöchigen Hungerstreik sei die Inhaftierte stark geschwächt. Im Krankenhaus habe man von Zwangsernährung gesprochen.

Der ebenfalls in der Demokratiebewegung engagierte ukrainische Box-Weltmeister Vitali Klitschko hatte an Timoschenko appelliert, den Hungerstreik abzubrechen. Diese will damit jedoch weiter ein Zeichen gegen ihre Haftbedingungen setzen.

Der gewählte russische Präsident Wladimir Putin sprach sich an diesem Donnerstag für eine Behandlung Timoschenkos in Russland aus. Moskau übernehme die erkrankte Oppositionsführerin "gerne", falls sie selbst dies wünsche und die Führung in Kiew zustimme, sagte Putin nach Angaben der Agentur Interfax. Er kritisierte erneut die Verurteilung Timoschenkos zu sieben Jahren Haft wegen eines angeblichen fehlerhaften Gasvertrags. Das Abkommen sei rechtens, betonte Putin.

Einen Boykott der Fußball-Europameisterschaft in der Ukraine hält der designierte russische Präsident dagegen für falsch, er kritisierte die westlichen Politiker für ihr geplantes Fernbleiben.

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