Polen:Warum rechtsextreme Ideen bei jungen Polen Anklang finden

Polen: Eine gespenstische Atmosphäre verbreiteten die Teilnehmer des "Marsches der Unabhängigkeit" in der Warschauer Innenstadt - viele von ihnen vermummte Radikale.

Eine gespenstische Atmosphäre verbreiteten die Teilnehmer des "Marsches der Unabhängigkeit" in der Warschauer Innenstadt - viele von ihnen vermummte Radikale.

(Foto: Janek Skarzynski/AFP)
  • Am polnischen Unabhängigkeitstag sind Zehntausende Ultranationalisten, Rechtsradikale und Neofaschisten durch Warschau marschiert.
  • Regierungsmitglieder lobten den "Marsch der Patrioten" als "schönen Anblick".
  • Dass sich ultrarechte Ideen ausgerechnet im vom Nationalsozialismus gebeutelten Polen ausbreiten, ist kein Zufall.

Von Florian Hassel, Warschau

Es waren mehr als ein halbes Dutzend Veranstaltungen, mit denen die Polen am Samstag ihrer wiedererlangten Unabhängigkeit am 11. November 1918 gedachten. Doch eine Kundgebung stach besonders heraus: der "Marsch der Unabhängigkeit" von Ultranationalisten, Rechtsradikalen und Neofaschisten. Mindestens 60 000 Menschen - viele von ihnen vermummte junge Männer, aber auch ältere Polen und Familien - versammelten sich unter Symbolen wie der an ein Hakenkreuz erinnernden "Falanga" aus den Dreißigerjahren. Dazu zeigten sie Banner mit Slogans wie "Ein weißes Europa brüderlicher Nationen!", "Kein islamisches, kein laizistisches - nur ein katholisches Polen!" oder "Tod den Feinden des Vaterlandes!".

Mit rotem Rauch aus Feuerwerkskörpern und Handfackeln schufen die Radikalen im Zentrum von Warschau an diesem ohnehin trüben Novembernachmittag eine gespenstische Atmosphäre, bevor sie zum Nationalen Fußballstadion zogen. Das von der Regierung kontrollierte Fernsehen feierte einen "großen Marsch der Patrioten". Der offizielle Segen für Polens Rechtsradikale kam von Polens Innenminister. "Es war ein schöner Anblick. Wir sind stolz, dass sich so viele Polen entschlossen haben, an einer Feier teilzunehmen, die mit dem Unabhängigkeitstag verbunden ist", sagte Mariusz Błaszczak.

Dass Rechtsradikale ausgerechnet in Polen, das so stark wie wenig andere Länder unter dem deutschen Faschismus zu leiden hatte, im Aufwind sind, erklärt die polnische Geschichte zwischen den Weltkriegen ebenso wie ein einflussreicher, nationalistisch-fremdenfeindlicher Flügel der katholischen Kirche Polens - und die Förderung von Nationalismus einschließlich von Ultrarechten durch die rechtspopulistische Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS).

Gegen EU, Nato, Gleichberechtigung und Islam

Ultranationalisten, Rechtsradikale und Rassisten vereinigen sich im Volksradikalen Lager (ONR), der Allpolnischen Jugend (MW) oder der Nationalen Bewegung (RN). Die ONR, nach 2000 als Skinhead-Vereinigung entstanden, sieht sich als Nachfolgerin der gleichnamigen ONR im autoritär-diktatorischen Polen der Dreißigerjahre: einer gegen Juden, Sozialisten und Demokraten hetzenden Organisation.

Auch die MW, von 2001 an Jugendorganisation der ultranationalistischen Liga polnischer Familien (LPR), hatte eine Vorläuferin in der Zwischenkriegszeit, die etwa für Angriffe auf jüdische Studenten verantwortlich war. Im demokratischen Polen feierte die MW schon einmal einen großen Erfolg: Als die PiS 2006/2007 die Regierung führte, wurde der MW-Gründer und LPR-Vorsitzende Roman Giertych Vize-Ministerpräsident und Bildungsminister. Die Ultrarechten stehen zudem in enger Allianz mit den einflussreichen Medien des fremdenfeindlichen und ultranationalistischen Paters Tadeusz Rydzyk.

Politisch stehen Polens Ultrarechte wie andere europäische Rechtsradikale und Neofaschisten gegen EU und Nato, gegen die Anerkennung von Homosexualität oder Feminismus - und nun vor allem auch gegen Muslime und den Islam: So war ein Hauptmotiv der Kundgebung am Samstag ein riesiges Banner, auf dem ein vermummter Rechtsradikaler einen Molotowcocktail auf ein trojanisches Pferd mit der Aufschrift "Islam" wirft, in dem sich ein Flüchtling scheinbar auf die Unterwanderung Europas vorbereitet. Auch andere europäische Rechtsradikale und Neofaschisten kamen zur Kundgebung.

Unerklärte Bündnisgenossen der Regierungspartei PiS

Polens Rechtsradikale sitzen heute nicht mit einer eigenen Partei im Parlament, doch finden sie mit ihren Ideen vor allem bei Polen unter 30 Anklang. Und ihr Einfluss reicht bereits weit über Märsche hinaus: Die drittstärkste Fraktion im Parlament, die oft mit der Regierung stimmende Gruppe "Kukiz '15" des Rocksängers und Populisten Paweł Kukiz, zählte bei ihrer Wahl ins Parlament im Herbst 2015 gleich fünf Mitglieder der "Nationalen Bewegung". In einem Anfang 2016 veröffentlichten Gesprächsmitschnitt beschwerte sich Kukiz, die NR-Führer seien "Psychopaten, die sagen, dass Juden getötet und Schwarze erschossen werden sollten".

NR-Chef Robert Winnicki verließ schließlich die Fraktion, blieb aber Abgeordneter und führte Ende Juli einen Protest gegen die angebliche "ausländische Unterwanderung" Polens durch Bürgergruppen, die EU oder den ungarischstämmigen Milliardär George Soros an. Winnicki kündigte einen Gesetzentwurf gegen angeblich ausländisch unterwanderte Bürgergruppen wie die Anti-Rassismus-Gruppe "Nie wieder" an. Ähnliche Thesen und Ideen gibt es auch in der Regierung.

Die regierende PiS, deren Chef Jarosław Kaczńyski selbst schon vor Muslimen als Gefahr für Europa und Polen warnte, sieht die Rechtsradikalen als unerklärte Bündnisgenossen. Im November 2016 schickte Präsident Andrzej Duda zum rechtsradikalen Marsch unter dem Titel "Polen, die Bastion Europas!" einen Vertreter, der das "schöne" Ereignis lobte, das "Identität stifte". Statt etwa die rechtsradikale ONR zu verbieten, wie von Bürgerrechtlern wiederholt gefordert, gestanden die Behörden dem Neofaschisten-Marsch den Status einer "zyklischen Kundgebung" zu: Das bedeutet, dass Gegendemonstrationen an dieser Stelle illegal sind. Die Polizei nahm am Samstag Dutzende Gegendemonstranten fest, die gegen Faschismus und rechtsradikale Ideen demonstrieren wollten.

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