Polen:Urteilsverweigerung

Warum Polens Oberstes Gericht wieder vor der Regierungspartei kuscht.

Von Florian Hassel

Polens Oberstes Gericht hat eine wichtige Gelegenheit vergeben, den Rechtsstaat zu verteidigen: Es hat die Entscheidung darüber verweigert, ob die umstrittene Verfassungsgerichtspräsidentin Julia Przyłębska rechtmäßig ernannt wurde oder nicht. In einer Zeit, in der ihre eigene Unabhängigkeit bedroht ist, wollen die Richter offenbar nicht auf volle Konfrontation zur nationalpopulistischen Regierungspartei Pis gehen. Genau dies hätte eine Entscheidung zum Nachteil der Präsidentin bedeutet.

Das Oberste Gericht entscheidet auch über die Rechtmäßigkeit von Parlamentswahlen oder der Wahl des Präsidenten. Es könnte theoretisch später über mutmaßlich rechtswidrig ernannte Pis-Verfassungsrichter entscheiden. In der Praxis aber wird die Regierung alles daran setzen, auch das Oberste Gericht schnell mit Gefolgsleuten zu besetzen - an der juristischen Handhabe wird bereits gearbeitet.

Die Verweigerung einer Entscheidung im Fall Przyłębska bedeutet freilich nicht, dass Polens Verfassungsgericht rechtlich rehabilitiert ist. Im Gegenteil: Es ist zum Parteigericht herabgewürdigt. Etliche Richter weigern sich, in Streitfragen überhaupt noch die Verfassungsrichter anzurufen. Und viele Polen dürften künftig gegen Urteile des Verfassungsgerichts vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte klagen, weil ein unrechtmäßig besetztes Gericht ihr Recht auf einen fairen Prozess verletzt.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: