Polen und der EU-Gipfel:Austauschbar, aber unverwechselbar

Bis zuletzt machen es die Polen spannend, ob Präsident Lech Kaczynski oder sein Bruder, der Premierminister, zum EU-Gipfel reist - aber eigentlich ist es egal.

Thomas Urban

Selbst die Pressesprecher der Kaczynski-Zwillinge, der beiden starken Männer an der Weichsel, kennen sich nicht mehr aus. Noch Anfang der Woche hatten sie bekanntzugeben, dass Lech Kaczynski, der Staatspräsident Polens, zum EU-Gipfel nach Brüssel fliegt, und nicht Jaroslaw Kaczynski, der Premierminister. Dieser selbst hatte in den vergangenen Tagen damit kokettiert, dass er der "Unruhestifter" sei, während sein Bruder eher das Zeug zum "Friedensstifter" habe.

Polen und der EU-Gipfel: Lech Kaczynski und Jaroslaw Kaczynski, President und Premierminister.

Lech Kaczynski und Jaroslaw Kaczynski, President und Premierminister.

(Foto: Foto: AP)

So sieht es auch die Warschauer Presse: Jaroslaw, der hartnäckige Junggeselle, der auch mit 58 Jahren bei der Mutter lebt, versteht Politik als ständige Konfrontation.

Dagegen gilt Lech als umgänglich, nicht zuletzt dank des Einflusses seiner Frau Maria, die als klug und pragmatisch gelobt wird. Sie hatte sogar die Stirn, beim Streit um ein Naturschutzgebiet ihrem Schwager öffentlich zu widersprechen.

Doch am Mittwochmorgen, 24 Stunden vor Beginn des Gipfels, haben die Pressesprecher bekanntgegeben, es werde erst im letzten Moment entschieden, wer die Regierungsmaschine nach Brüssel besteigt.

Die von der Regierung kontrollierte Tageszeitung Rzeczpospolita brachte dazu die Schlagzeile: "Der Präsident ist genauso hart wie der Premier."

Eine Art Zutrauen

Für deutsche Diplomaten macht es daher keinen Unterschied, ob Jaroslaw oder Lech in Brüssel auftritt. Immerhin gehört Bundeskanzlerin Angela Merkel zu den wenigen europäischen Spitzenpolitikern, die beide voneinander unterscheiden können - nicht nur aufgrund des Muttermals, das die Nase Lechs ziert. Dieser reagiert nämlich im Gegensatz zu seinem Bruder freundlich auf sie, scheint sogar eine Art Zutrauen zu ihr gefasst zu haben.

Als er vergangenes Wochenende von einem Treffen mit der Kanzlerin in Meseberg bei Berlin zurückflog, erklärte er zwar, dass beide Seiten ihre Positionen im Streit um die Stimmenverteilung im Europäischen Rat nicht angenähert hätten. Doch fügte er mit dem Anflug von Lächeln hinzu: "Ich muss anerkennen, dass sie in keiner Weise versucht hat, auf uns Druck auszuüben oder uns zu drohen."

Sollte er es sein, der nach Brüssel reist, so rechnen die deutschen Diplomaten dennoch nicht damit, dass er entspannt kommt. Bei bisherigen internationalen Treffen war Lech Kaczynski immer anzusehen, wie unwohl er sich fühlt. Er spricht keine Fremdsprachen, kann sich also mit keinem anderen Spitzenpolitiker spontan unterhalten.

Instrument, alter Großmachtbestrebungen

Überdies meidet er ganz offenbar den direkten Kontakt mit Menschen, die deutlich größer sind als seine 1,62 Meter. Kapselt sich Lech Kaczynski also eher ab, wenn seine Umgebung ihn nervös macht, so scheint sich Jaroslaw dadurch angespornt zu fühlen. Ein Teil der Warschauer Zeitungen nennt ihn "Wadenbeißer". Falls also der Premier nach Brüssel kommt, so rechnen EU-Diplomaten mit Radau.

Die liberale Presse in Warschau wirft den Zwillingen vor, dem Palastsyndrom verfallen zu sein: Sie hätten sich nur mit Ja-Sagern umgeben, die ihnen aus Angst um die eigene Position nur das berichteten, was dem Weltbild der Vorgesetzten entspreche.

Dazu gehört das Bild von den Deutschen, die im Grund ihres Herzens ewig Nazis blieben und nun sogar die Unverschämtheit besäßen, sich selbst als Opfer des Krieges darzustellen. Die EU sei für die Deutschen nur ein Instrument, ihre alten Großmachtbestrebungen zu verwirklichen. Deshalb muss, so verkünden die Berater der Brüder, die Position Berlins in der EU geschwächt werden.

Um den Landsleuten klarzumachen, worum es für Polen angeblich geht, hielt Lech Kaczynski, der Präsident, eine große Rede vor einem monumentalen Schlachtengemälde im Nationalmuseum. Das Bild zeigt, wie ein polnisches Heer den Deutschen Orden besiegt. Das war 1410, vor 597 Jahren. Die Warschauer Opposition hält Jaroslaw, dem Premier, zudem einen "bolschewistischen Stil" vor, er handle nach dem Motto "zwei Schritte vor, nur einen Schritt zurück!"

Immer grimmig

Er greife politische Gegner stets frontal an, die von der Regierung kontrollierten Medien feuerten aus allen Rohren und diskreditierten die andere Seite. Dann verkaufe er ein geringfügiges Zugeständnis als Kompromiss. Die Entwicklungen der letzten Wochen sprechen dafür, dass der Premier dies auch gegenüber Brüssel und Berlin versucht. So hat Außenministerin Anna Fotyga, treue Erfüllungsgehilfin Jaroslaw Kaczynskis, unverblümt erklärt, Warschau wolle die Position Berlins in der EU schwächen.

Fotyga selbst, die immer grimmig daherkommt, hat eine ganze Reihe bewährter EU- und Deutschlandexperten im diplomatischen Dienst kaltgestellt, weil sie nicht aus dem Kaczynski-Lager kommen. Einige von diesen hatten ihr vor einem Jahr geraten, eine Satire in der Berliner tageszeitung über den Präsidenten zu ignorieren.

Verstörte Diplomaten

Sie aber forderte öffentlich von der Bundesregierung eine Rüge für die taz - was Berlin mit Hinweis auf die Pressefreiheit kühl ablehnte. Diese Abfuhr habe sie den Deutschen nicht verziehen, meinen Warschauer Diplomaten. Überdies ließ sie ein ganzes Jahr lang den Posten des polnischen EU-Botschafters unbesetzt, was ihr in Brüssel als Zeichen der Geringschätzung angekreidet wurde.

Vor allem die Diplomaten in Brüssel verstört das Gepolter von der Weichsel, die sich über Jahre hinweg an ein austariertes System des vorsichtigen Abtastens und leiser Kompromisse gewöhnt haben. Allerdings hatten die Experten nicht die merkwürdige Nizza-Regel verhindern können, welche der Grund allen heutigen Haders ist.

Auf dem EU-Gipfel von Nizza im Dezember 2000 gelang es Frankreichs Präsident Jacques Chirac, Kanzler Gerhard Schröder über den Tisch zu ziehen. Nach zwei Verhandlungsnächten völlig ermattet, stimmte der Deutsche der Regelung zu, nach der alle großen EU-Staaten 29 und die mittleren 27 Stimmen im Europäischen Rat bekommen sollten. Zu Letzteren sollte auch Polen gehören, das erst vier Jahre später der EU beitrat.

Nicht mal Streicheln zieht

Man einigte sich zwar darauf, dass diese für die Deutschen überaus nachteilige Regelung nur vorübergehend gelten solle, hatte aber die Rechnung ohne die Polen gemacht, die in Nizza gar nicht dabei waren: Diese waren der Meinung, dass ihnen diese unverhältnismäßig große Stimmenzahl durchaus zustehe - als Entschädigung für vergangenes Unrecht: Die Deutschen hätten sie 1939 überfallen, Briten und Franzosen hätten sie im Stich gelassen und nach dem Krieg erlaubt, dass sie zum Ostblock gehörten.

Hätte Polen sich normal entwickeln können wie der Westen, so argumentiert man in Warschau, wäre es nun ebenfalls ein hochentwickeltes, reiches Land und müsste nicht in Brüssel als Bittsteller auftreten. Chirac aber empfahl den Polen damals arrogant, als EU-Neulinge "erst mal still zu sitzen".

Nun muss also die Kanzlerin mit dem Ballast zurechtkommen, den Schröder und Chirac zurückgelassen haben. Seit Monaten versucht sie es mit einer Charmeoffensive. Fast alle polnischen Medien druckten ein Bild ab, wie sie Lech Kaczynski den Arm streichelt. Dessen Bruder Jaroslaw aber knurrte dazu nur: "Sie behandeln uns wie kleine Kinder!"

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