Polen: Spitzel-Vorwürfe gegen Walesa:Eine Marionette namens Bolek

Ein Buch über Lech Walesa Buch sorgt in Polen für mächtig Furore: Denn darin wird der Vorwurf erhoben, der Friedensnobelpreisträger habe in den 70er Jahren als Spitzel des kommunistischen Regimes gearbeitet.

Thomas Urban, Warschau

Wer war Bolek, der TW mit der Nummer I14713 des SB? Über diese Frage streiten sich seit Wochen polnische Politiker und Publizisten. TW lautet die polnische Abkürzung für "geheimer Mitarbeiter", entsprechend dem IM (Informeller Mitarbeiter) der Stasi der DDR. Und deren polnisches Gegenstück war der Sicherheitsdienst, abgekürzt SB. Nach Meinung des konservativen und nationalpatriotischen Lagers verbarg sich hinter "Bolek" kein Geringerer als der früherere Arbeiterführer und Staatspräsident Lech Walesa, 1983 ausgezeichnet mit dem Friendsnobelpreis.

Polen: Spitzel-Vorwürfe gegen Walesa: Spitzel oder Opfer einer Verschwörung? Friedensnobelpreisträger Lech Walesa bestreitet die Vorwürfe, in den 70er Jahren als Spitzel gearbeitet zu haben.

Spitzel oder Opfer einer Verschwörung? Friedensnobelpreisträger Lech Walesa bestreitet die Vorwürfe, in den 70er Jahren als Spitzel gearbeitet zu haben.

(Foto: Foto: dpa)

In der anderen Hälfte des politischen Spektrums aber, von den Liberalen bis zu den Linken, verteidigt man Walesa. Dies ist durchaus ein politisches Kuriosum, denn genau diese Kreise haben Walesa in der ersten Hälfte der neunziger Jahre, als er Präsident war, vorgeworfen, das Land dem "schwarzen Klerus" auszuliefern. Damals war die "Bolek"-Geschichte erstmals aufgekommen, doch verliefen alle Ermittlungen im Sande.

Anlass für die neuerliche Aufregung ist das Erscheinen des Buches "Walesa und der SB", das das Institut für das Nationale Gedächtnis (IPN), das polnische Pendant zur deutschen Gauck/Birthler-Behörde, herausgegeben hat. Die Autoren, die beiden jungen Historiker Slawomir Cenckiewicz und Piotr Gontarczyk, sind folglich für die einen Helden, weil sie unerschrocken eine unbequeme Wahrheit aufdecken und auch vor einer politischen Ikone nicht zurückschrecken. Für die anderen aber manipulieren sie, weil sie in ihrem Drang, überall kommunistische Machenschaften aufzudecken, verblendet seien.

Gestritten wird nicht über die Kernthese des Buches, dass Walesa 1971 als TW registriert worden sei, wobei allerdings keinerlei Verpflichtungserklärung vorliegt. Vielmehr tobt der Streit über die Schlussfolgerungen, die aus dem Buch gezogen werden, es geht um nichts Geringeres als die Bewertung der polnischen Demokratie der Gegenwart.

Die Verteidiger der Publikation, unter ihnen Staatspräsident Lech Kaczynski und dessen Zwillingsbruder Jaroslaw, der Führer der nationalkonservativen Partei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS), sind der Meinung, in der gesamten Gesellschaft, vor allem in der Wirtschaft und den Medien, spielten postkommunistische Seilschaften eine große Rolle, auf sie sei das hohe Maß an Korruption zurückzuführen.

Postkommunistische Intrige?

Diese Seilschaften hätten sich halten können, weil es nie eine Abrechnung mit dem Regime gegeben habe. Vielmehr habe Walesa, als er von 1990 bis 1995 Präsident gewesen sei, diese blockiert - weil er wegen seiner alten SB-Akten erpressbar gewesen sei. Aus demselben Grunde habe er auch den "historischen Kompromiss" beim legendären runden Tisch vom Frühjahr 1989 herbeigeführt: Damals haben die das Land repressiv regierende Arbeiterpartei und die noch verbotene Gewerkschaft Solidarität die Teilung der Macht vereinbart.

Manche der Walesa-Gegner gehen noch weiter: Sie meinen, dass er von Anfang an eine Marionette des SB gewesen sei. Er habe durch seine Appelle zur Mäßigung verhindert, dass es 1980, im "Sommer der Solidarität", zum Massenaufstand gekommen sei. Allerdings wenden hier die Verteidiger Walesas ein, dass derartige Appelle zwar im Interesse der Parteiführung gelegen hätten. Doch zum konsequenten Gewaltverzicht habe vor allem der polnische Papst Johannes Paul II. aufgerufen, auf den sich der Führer der Solidarnosc ja auch immer berief.

Das IPN-Buch legt ausführlich dar, dass Walesa im Jahr 1992 seine SB-Akte angefordert und auch bekommen habe. Die Protokolle der Archive und eine dienstliche Notiz des damaligen Innenministers, der sich persönlich der Bitte des Präsidenten annahm, sind erhalten. Doch habe Walesa dann nicht alle Dokumente zurückgegeben. Nach seiner Abwahl ermittelte die Staatsanwaltschaft sogar deshalb gegen ihn. Walesa sprach damals von einer "postkommunistischen Intrige" gegen ihn.

Eine Marionette namens Bolek

Die Frage ist allerdings, warum er diese Dokumente damals verlangt hat. Offenbar doch nur, so sagen seine Gegner, weil er etwas zu befürchten hatte. Gegen ihn wird auch angeführt, dass er zwar im Präsidentenwahlkampf 1990 eine Abrechnung mit den kommunistischen Kadern gefordert, später aber dieses Wahlversprechen nicht eingelöst habe. Dies war der Grund, warum sich die Kaczynski-Zwillinge, die zuvor Staatssekretäre im Präsidialamt und seine engsten politischen Berater waren, mit ihm überworfen haben.

Einige der den Zwillingen nahestehenden Publizisten meinen, das Regime sei pfleglich mit Walesa umgegangen, weil es ihn gebraucht habe: Er habe den Übergang von der Planwirtschaft mit ihren verheerenden Folgen zum Kapitalismus absichern sollen, wobei die Funktionäre auf der Gewinnerseite bleiben wollten. Völlig abwegig ist diese Theorie nicht: Mittlerweile ist ja bekannt, dass ähnliche Konzepte damals auch in der UdSSR und anderen Ostblockstaaten, darunter der DDR, entwickelt worden sind.

Ebenso wird um die Interpretation der SB-Akten aus den siebziger Jahren gestritten. Für die Kritiker Walesas steht fest, dass er damals Spitzelberichte über politisch unzuverlässige Kollegen auf der Danziger Leninwerft geliefert habe. Doch es fehlt nicht nur eine Verpflichtungserklärung, sondern auch ein Originalbericht. Vielmehr gibt es nur Aktennotizen über die Begegnung von SB-Offizieren mit "Bolek". Und aus diesen geht hervor, dass er zwar zunächst "wertvolle Informationen" geliefert, später aber die Mitarbeit sabotiert habe, sodass er 1976 als TW "abgeschaltet" wurde.

Gegenangriff des Attackierten

War Walesa nur abgeschöpft worden, und der SB hatte daraus Berichte konstruiert, wie es ja vorgekommen ist? Oder sind all diese Akten manipuliert oder gefälscht? Immerhin sind SB-Dokumente aufgetaucht, die belegen, dass der Arbeiterführer in Misskredit gebracht werden sollte, als sein Name auf der Liste für die Nobelpreiskandidaten kam.

Das war 1982, als in Polen Kriegsrecht herrschte und Walesa mit fast der gesamten Führungsspitze der Solidarnosc interniert war. Das Unterfangen, Walesa zu diskreditieren, aber scheiterte, weil die Materialien zu grob gestrickt waren. Weder ließ sich das Nobelkomitee beeindrucken, noch gelang es, die Führung der Solidarnosc im Untergrund zu spalten.

Der Attackierte selbst hat Gegenangriffe angekündigt. So will er den Präsidenten Lech Kaczynski verklagen, weil dieser gesagt hat, es sei klar, dass Walesa "Bolek" sei. Daran haben auch die beiden Historiker Cenckiewicz und Gontarski keine Zweifel. Dafür sprächen die fortlaufenden Registriernummern in den Dokumenten, die Tatsache, dass es viele Querverweise in Akten gäbe, die noch original versiegelt und seit den siebziger Jahren nicht angerührt worden seien. Walesas Verdienste bei der Überwindung des kommunistischen Regimes stellen sie nicht in Frage.

Ebenso wie die Kaczynskis erkennen sie an, dass der Arbeiterführer sich während des Kriegsrechts in den achtziger Jahren weder hat brechen noch korrumpieren lassen. Hinzu kommt, dass Walesa früher wiederholt zugegeben hat, dass SB-Offiziere ihn Anfang der siebziger Jahre befragt hätten. So spricht also manches dafür, dass er "Bolek" gewesen sein könnte. Nur hätte er in diesem Fall ganz offensichtlich den richtigen Zeitpunkt verpasst, diese Jugendsünde einzuräumen.

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