Polen:Raser vom Dienst

Polen: Bilder zeigen, dass der gewaltige Aufprall das Vorderteil von Ministerpräsidentin Szydłos gepanzertem Audi A8 regelrecht auffaltete.

Bilder zeigen, dass der gewaltige Aufprall das Vorderteil von Ministerpräsidentin Szydłos gepanzertem Audi A8 regelrecht auffaltete.

(Foto: AP)

Polnische Spitzenpolitiker haben verdächtig viele Verkehrsunfälle. Am Wochenende musste die Ministerpräsidentin ins Krankenhaus gebracht werden. Viele Polen misstrauen ihrer Version des Unfalls.

Von Florian Hassel

Die Einwohner des südpolnischen Städtchens Oświęcim (Auschwitz) wissen, dass sie am Wochenende aufpassen müssen: Dann wird Ministerpräsidentin Beata Szydło in ihr nahes Wochenendhaus gebracht oder von dort abgeholt. Und das im Harakiri-Eiltempo der Chauffeure des Wach-und Fahrdienstes der polnischen Regierung.

Offiziell war Szydłos Drei-Wagen-Kolonne brav mit gut 50 Kilometern pro Stunde unterwegs, als sie am Freitagabend durch Oświęcim kam. Offiziell hatten die Wagen auch rote Signallichter und Sirenen eingeschaltet, Kennzeichen einer "priviligierten Fahrt". Pech also, dass der Fahrer eines Fiat 600 dies missachtete - und Szydłos Wagen den Weg abschnitt. Ihr Fahrer wich aus und prallte gegen einen Baum. Zwei Leibwächter wurden verletzt, auch die Regierungschefin in eine Warschauer Militärklinik geflogen.

Tags darauf twitterte Szydlo, sie fühle sich gut, ihrem Vize zufolge leite sie schon am Dienstag wieder die Kabinettssitzung. Ein Polizeisprecher und der Sprecher der Krakauer Staatsanwaltschaft sagten, der 21 Jahre alte Fahrer des Fiat 600 habe seine Schuld zugegeben; er habe Musik gehört und die Warnsirene nicht gehört. Dafür drohten ihm "bis zu drei Jahre Haft", so Polizist und Staatsanwalt.

"Sie fahren wie die Irren und glauben, dass ihnen alles erlaubt ist"

Viele Polen misstrauen aber dieser Version - mit gutem Grund. "Sie fahren wie die Irren und glauben, dass ihnen alles erlaubt ist", beschrieb Gazeta Wyborcza eine Einwohnerin Oświęcims den Fahrstil der Regierungschauffeure. "Sie schalten nie die Sirenen an"; auch am Freitag nicht, so andere Einwohner im Infodienst Faktyoswiecim. Und: "Sie sind hier mit mindestens 100 Stundenkilometern durchgerast." Fernsehbilder zeigten, dass der gewaltige Aufprall auf den Baum das Vorderteil von Szydłos gepanzertem Audi A8 regelrecht auffaltete. Zudem sprachen zwei Oppositionspolitiker mit dem Fahrer des Fiat. Der sagte, er habe weder wegen seiner Musik Sirenen überhört, noch überhaupt irgendeine Schuld zugegeben.

Gleichwohl ist gut möglich, dass der junge Fiat-Fahrer offiziell zum Sündenbock gemacht wird - umso mehr, als die regierende rechtspopulistische Partei Recht und Gerechtigkeit (Pis) volksnäher als die Vorgängerregierung erscheinen will. Dass in Wahrheit auch Pis-Politiker Luxuslimousinen lieben und ihre Fahrer zum Rette-sich-wer-kann-Fahrstil ermuntern, machte schon Anfang März 2016 Präsident Andrzej Duda vor: An dessen gepanzertem, vier Tonnen schwerem BMW platzte beim Tempo von wohl mehr als 200 km/h ein dafür nicht zugelassener, schon sechs Jahre alter Winterreifen. Der Wagen rutschte von der Autobahn; Duda blieb unverletzt. Der Präsident hatte seinem Fahrer offenbar wegen einer Verspätung das Rasen befohlen.

Nächster prominenter Crashteilnehmer: Verteidigungsminister Antoni Macierewicz. Dessen Fahrer fuhren am 25. Januar an einer roten Ampel mit Karacho auf wartende Autos auf und verwandelten mehrere Limousinen der Regierung einschließlich des Ministerautos in Altmetall.

Der Innenminister merkte nun nach Szydłos Unfall an, in Polen seien Regierungslimousinen jedes Jahr in mindestens 24 Unfälle verwickelt. "Solche Zusammenstöße kommen vor - und werden es weiter tun", ergänzte der Minister lakonisch.

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