Polen:Protest in Splittern

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Polnische Oppositionsparteien geben das über Wochen blockierte Parlament wieder frei, versprechen aber eine Fortsetzung des Kampfes gegen die Regierung. Nur: Es fehlt an Gemeinsamkeiten.

Von Florian Hassel, Warschau

Drei Sicherheitsbeamte auf einen Demonstranten. Das ist die Faustregel polnischer Sicherheitsbeamter, wenn es darum geht, Teilnehmer einer Sitzblockade vom Ort des Protestes zu tragen. Der Ort des Protests war in diesem Fall der Plenarsaal des polnischen Parlaments, seit dem 16. Dezember besetzt von Abgeordneten der Opposition - aus Protest gegen den Ausschluss eines Abgeordneten, gegen die Einschränkung der Berichterstattung aus dem Parlament und vor allem aus Protest gegen die aus Sicht der Opposition rechtswidrige Verabschiedung des Haushalts 2017 durch die Regierung der Partei Recht und Gerechtigkeit (Pis).

Am Donnerstagmorgen sollte der Plenarsaal geräumt werden. Nachdem Polens Parlamentspräsident dem Personenschutz der Regierung eine weitreichende Vollmacht erteilt hatte, rechneten viele Beobachter damit, dass der parlamentseigene Sicherheitsdienst die Blockade des Rednerpultes durch die größte Oppositionspartei Bürgerplattform (PO) aufbrechen und bis zu 132 Abgeordnete einfach aus dem Saal tragen würde.

Doch es kam anders. Erst wurde die für zehn Uhr angesetzte Parlamentssitzung verschoben, dann beendete die Bürgerplattform selbst die Besetzung und gab den Plenarsaal frei. Polens Parlamentspräsident eröffnete danach nicht etwa die von ihm selbst angesetzte Parlamentssitzung - sondern suspendierte die Arbeit des Parlaments bis zum 25. Januar. Die Begründung: Es sei eine "tief greifende Analyse der Ereignisse notwendig, die sich in den vergangenen Wochen im Sejm ereignet haben". Dies könnte bedeuten, dass die Regierung nun auf die Opposition zugeht. Wahrscheinlicher aber ist, dass die Pis im Gegenteil die Regeln so verschärfen will, dass etwa eine neue Blockade des Plenarsaals erschwert wird. "Wir müssen (. . .) das Reglement des Sejm so umbauen, dass eine solche Entwicklung der Situation erschwert wird", sagte Pis-Parteichef Jarosław Kaczyński.

Und die Opposition? Das Räumen des Plenarsaales sei "nicht das Ende des Protestes", sagte PO-Chef Grzegorz Schetyna. Auch Ryszard Petru, Vorsitzender der ebenfalls an der Besetzung beteiligten liberalen Partei Nowoczesna ("Die Moderne"), kündigte "andere Formen des Protestes" an. Welche dies sein sollen, ob gemeinsam oder getrennt protestiert werden soll, ist angesichts der Spaltung der Opposition offen. Ihr fehlt eine gemeinsame Linie ebenso wie ein eindeutiger Anführer.

Das liegt zum einen an Ryszard Petru. Der Ökonom, der mit seiner Reformpartei im Herbst 2015 zum ersten Mal ins Parlament kam, galt lange als Hoffnungsträger und bezeichnete sich selbst vollmundig als Anführer der Opposition. Seitdem aber hat sein Ruf gelitten - nicht zuletzt wegen seines Zickzackkurses in der aktuellen Krise. Einerseits ließ Petru Nowoczesna-Abgeordnete über Wochen an der Plenarsaalbesetzung teilnehmen - ausdrücklich auch aus Protest gegen die Verabschiedung des Haushaltsgesetzes durch die Regierung: Die hatte den Haushalt in einem Nebensaal des Parlaments ohne die Opposition und offenbar unter Fälschung des Sitzungsprotokolls beschlossen.

Andererseits bot Petru der Regierung an, man könne die Krise auch lösen, indem der Senat, die höhere Parlamentskammer, Korrekturen zum Haushalt beschließe - gleichbedeutend mit einer Anerkennung der vorangegangenen Abstimmung. Noch dazu flog Petru über Silvester nach Portugal - eine Reise mit fataler symbolischer Wirkung: Schließlich harrten seine Fraktionskollegen auch zum Jahreswechsel im dunklen, kalten Plenarsaal aus.

Dem Bild der Opposition schaden auch Enthüllungen über Mateusz Kijowski, Gründer des regierungskritischen Komitees zur Verteidigung der Demokratie (KOD). Der Computertechniker mit Bart und farbiger Brille ist zum prominentesten Gesicht der Hunderttausende Polen umfassenden Opposition auf der Straße geworden - auch wegen seines rhetorischen Talents. Anfang Januar aber veröffentlichte die regierungsnahe Tageszeitung Rzeczpospolita einen Bericht, wonach die Kijowski und seiner Frau gehörende Firma MKM Studio vom Finanzkomitee des KOD insgesamt gut 20 000 Euro für die Pflege der KOD-Internetseite bekommen hatte.

Auch der Chef der Bürgerplattform wirkt nicht, als hätte er das Zeug zum Anführer

Das allein wäre wohl kein Problem gewesen, hätte Kijowski nicht gegenüber seinen Anhängern behauptet, er bekomme trotz seines Vollzeiteinsatzes kein Geld vom KOD, sondern werde "von seiner Familie unterstützt". Etliche KOD-Aktivisten sind enttäuscht von ihrem Anführer, Kijowski ist nun geschwächt - nur wenige Monate, bevor das KOD wohl auf einem nationalen Kongress über seine Führungsrolle und das weitere Vorgehen abstimmen wollte.

Bleibt Grzegorz Schetyna, Chef der bis Herbst 2015 regierenden Bürgerplattform. Schetyna ist ein erfahrener Veteran der polnischen Politik. Anders als Petru bewies er in der Parlamentskrise Konsequenz: Schetyna weigerte sich, an Gesprächen mit der Pis teilzunehmen, solange diese nicht zu echten Kompromissen - etwa einer neuen Abstimmung über den Haushalt - bereit sei. Inhaltlich freilich haben sich Schetyna und die Bürgerplattform seit ihrem Gang in die Opposition nicht erneuert. Und anders als etwa der langjährige Ministerpräsident Donald Tusk ist Schetyna auch kein Emotionen weckender, mitreißender Politiker.

"Leider haben wir keine andere Opposition als die heutige", kommentierte Jerzy Baczynski, Chefredakteur des liberalen Wochenmagazins Polityka. Das Wichtigste sei jetzt "der Erhalt einer grundlegenden Solidarität und gegenseitigen Loyalität" innerhalb der Opposition.

Nach Wochen der Besetzung gibt Polens Opposition das Parlament wieder frei - verlangt dafür aber "zehn Freiheiten" von der Regierungspartei. (Foto: Alik Keplicz/AP)
© SZ vom 13.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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