Polen:Parolen von gestern

Die Regierung verunglimpft Demonstranten. Das ist kurzsichtig.

Von F. Hassel

Der 4. Juni ist ein Tag von hoher Symbolkraft in Polens jüngerer Geschichte: Die Kommunisten verloren am 4. Juni 1989 in den ersten freien Wahlen die Macht an die Solidarność-Bewegung. Auch Jarosław Kaczyński, Polens heutiger faktischer Herrscher, wurde damals für die Solidarność ins Parlament gewählt - ebenso wie viele Oppositionelle, die am Samstag in Warschau und anderen Städten zu Zehntausenden gegen Kaczyńskis Angriff auf den polnischen Rechtsstaat demonstrierten.

Kaczyńskis Reaktion auf die Kundgebungen, die nicht zum ersten Mal mit Witz und Verve arbeiteten: Es handele sich um eine quasi illegitime "Rebellion gegen die Regierung". Solche Verzerrung der Realität erinnert, wie manches seiner Manöver zum Machtausbau in Justiz oder Medien, fatal an Polens ehemalige kommunistische Machthaber. Sie versuchten ihre demokratischen Gegner zu diskreditieren. Kaczyński tut dies auch und nennt die Demonstranten "Rebellen" oder "Polen der schlechtesten Sorte".

Dem kommunistischen Regime haben derlei Diskreditierungen bekanntlich auf Dauer nichts genützt. Auch Kaczyński und seine Gefolgsleute werden mit dem Einsatz der rhetorischen Artillerie mit Munition aus dem historischen Mottenhaus den berechtigten Widerstand gegen ihr zunehmend autokratisches Regieren nicht diskreditieren, sondern im Gegenteil noch befeuern.

© SZ vom 06.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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