Polen:Opposition gegen sich selbst

Die Kaczynski-Brüder kritisieren EU-Beschlüsse, die sie einst mitausgehandelt haben, und werfen Regierungschef Tusk den "Ausverkauf polnischer Interessen" vor. Dahinter steckt innenpolitisches Kalkül.

Thomas Urban

Der polnische Präsident Lech Kaczynski möchte sein Land vor den europäischen Schwulen und vor Erika Steinbach schützen. Deshalb verlangt er im Einklang mit seinem Zwillingsbruder Jaroslaw, dem Führer der nationalkonservativen Oppositionspartei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS), beim Lissabonner Vertrag Ausnahmeregelungen für Polen.

Polen: Laute Töne der polnischen Politik: Die Brüder Lech Kaczynski (r.) und Jaroslaw Kaczynski (l.).

Laute Töne der polnischen Politik: Die Brüder Lech Kaczynski (r.) und Jaroslaw Kaczynski (l.).

(Foto: Foto: dpa)

Der Vertrag soll die gescheiterte Verfassung der Europäischen Union ersetzen und die Grundlage für wichtige Reformen in der 27 Länder zählenden Gemeinschaft bilden. Jedes EU-Land muss zustimmen, damit er in Kraft treten kann.

In diesen Tagen will der Sejm die Beratungen darüber wieder aufnehmen. In den anderen Mitgliedstaaten wird allerdings befürchtet, dass die neuen Forderungen der Kaczynski-Zwillinge das gesamte mühsam ausgehandelte Vertragswerk zu Fall bringen könnten.

In einer Fernsehansprache an seine Landsleute warnte Lech Kaczynski zu Beginn der Karwoche vor einer Annahme des Vertrages ohne weitere Garantien. In die Rede wurden kurze Filmsequenzen eingeblendet. Eine zeigte eine Eheschließung zweier Homosexueller, eine andere Bundeskanzlerin Angela Merkel gemeinsam mit der CDU-Abgeordneten Erika Steinbach, die den Bund der Vertriebenen (BdV) führt und seit Jahren Ziel hysterischer Attacken der polnischen Rechten ist.

Von dort wurde übergeleitet zu einer Deutschland-Karte mit den Vorkriegsgrenzen. Kaczynski erklärte dazu, dass das Problem des Lissabonner Vertrages die damit verbundene Charta für Bürgerrechte sei. Diese könne nämlich die Polen zwingen, Verstöße gegen die "hierzulande geltende Moralordnung" zuzulassen - er meinte damit die Homo-Ehe -, sowie den Eigentums- und Entschädigungsforderungen der Deutschen Tür und Tor öffnen.

Gespaltenes Bewusstsein

Regierungschef Donald Tusk hält diese Argumente für unsinnig und hat Kaczynski widersprochen: Die Charta für Bürgerrechte bringe keinerlei Nachteile für Polen, durch den Lissabonner Vertrag werde die EU handlungsfähig, was im vitalen Interesse Polens liege.

Vertreter der von Tusk geführten liberalkonservativen Bürgerplattform (PO) weisen unermüdlich darauf hin, dass der Vertrag von Polen im vergangenen Jahr in der jetzigen Form akzeptiert worden sei. Und damals sei Jaroslaw Kaczynski noch Regierungschef gewesen. Es grenze an Bewusstseinsspaltung, wenn er das von ihm selbst ausgehandelte Abkommen nun blockieren wolle.

Neben einer Blockierung der Charta für Polen fordert Kaczynski eine Aufnahme des sogenannten Ioannina-Mechanismus in den Vertragstext. Die 1994 beim EU-Gipfel in der griechischen Stadt Ioannina ausgehandelte Regelung erlaubt es einer größeren Gruppe von Mitgliedstaaten, das Inkrafttreten von mehrheitlich getroffenen Entscheidungen "um einen angemessenen Zeitraum" zu verzögern. Kaczynski meint, dies bedeute zwei bis drei Jahre.

Alle anderen EU-Regierungen meinen aber, dass "angemessen" nichts anderes bedeutet als bis zum nächsten EU-Gipfel, also nur wenige Monate. Nur muss sich Kaczynski auch bei diesem Punkt anhören, dass sein Bruder Lech, der Präsident, ja schon auf dem Brüsseler EU-Gipfel 2007 die vorherrschende Interpretation dieser Regelung akzeptiert habe. Es war jener Gipfel, als der polnische Präsident von den Führern aller anderen größeren EU-Staaten bedrängt wurde, von der Quadratwurzel als Maßstab für die Stimmgewichtung abzulassen, und er hilflos immer wieder zum Handy griff, um seinen in Warschau gebliebenen Bruder um Rat zu fragen.

Nun verkündet dieser, dass Tusk mit dem Versuch, den Vertrag möglichst rasch vom Parlament absegnen zu lassen, nur beweise, dass er "ein weiteres Mal vor den Deutschen einknickt". Der Regierungschef musste sich schon wiederholt von der PiS vorhalten lassen, dass er als Nachkomme von Danzigern, die noch deutsche Staatsbürger gewesen sind, eigentlich gar kein richtiger Pole sei. In gleichem Sinne versucht die PiS immer wieder, die Ängste und die Empörung über deutsche Eigentumsforderungen zu schüren.

Dass nicht nur Angela Merkel solche Forderungen gegen Warschau ablehnt, sondern dass dies auch die BdV-Vorsitzende Steinbach tut, ignorieren die Kaczynskis. Oder sie bezeichnen die Distanzierung der CDU von einer kleinen Gruppe Heimatvertriebener, die über die Rechtsberatungsfirma "Preußische Treuhand" vor europäischen Gerichten Eigentumstitel erstreiten wollen, als taktisches Manöver.

Da Tusk also nach den Worten der Kaczynski-Brüder den Ausverkauf der polnischen Interessen betreibt, gehöre er als Regierungschef abgelöst. Doch als Vertreter von Tusks PO Neuwahlen ins Gespräch brachten, winkte Jaroslaw Kaczynski schnell ab. Die PO liegt in allen Umfragen seit Wochen stabil über 50 Prozent, Kaczynskis PiS aber würde gegenüber den Sejm-Wahlen im vergangenen Herbst kräftig verlieren und nicht über 20 Prozent kommen.

Anti-Deutsch zieht nicht mehr

Auch beim Lissabonner Vertrag muss Tusk nicht die Erpressungsversuche der Zwillinge fürchten. Denn als Alternative bleibt noch der Weg eines Referendums. Die Umfragen zeichnen ein klares Bild: 60 bis 70 Prozent würden zustimmen. Ein Referendum dürfte also für die Kaczynskis eine krachende Niederlage mit sich bringen. Lech Kaczynski sieht aber noch einen weiteren Weg, den von ihm mit ausgehandelten Vertrag in seiner jetzigen Form zu blockieren: Er müsse ihn ja nicht unterschreiben. Dazu meinen aber polnische Verfassungsrechtler, dass er sehr wohl müsse, wenn das Parlament oder die Wähler ihn mehrheitlich annähmen. Denn laut Verfassung liegt die Gestaltung der Außenpolitik bei der Regierung, nicht beim Präsidenten.

Schließlich scheint auch die antideutsche Karte derzeit nicht recht zu ziehen. Nach einer Umfrage, die die Zeitschrift Wprost in Auftrag gegeben hat, ist Angela Merkel bei den Polen die beliebteste ausländische Politikerin. Nach anderen Erhebungen meinen nahezu zwei Drittel von ihnen, dass gute Beziehungen zu den Deutschen von Vorteil seien.

Warschauer Kommentatoren sehen die Auftritte Jaroslaw Kaczynskis denn auch gar nicht als ernsthaften Versuch, eine Art Nebenaußenpolitik zu betreiben. Vielmehr wolle er die eigenen Reihen geschlossen halten. Nach seiner Wahlniederlage im Oktober haben drei seiner bisherigen Stellvertreter die PiS verlassen. Ein Teil der ihm bisher wohlgesonnenen Medien diskutiert unverblümt, ob nicht der frühere Justizminister Zbigniew Ziobro, der bislang sein Kronprinz war, der bessere PiS-Chef wäre.

So gibt sich denn auch das Regierungslager eher gelassen. Dort ist man überzeugt, dass gerade unter den jungen PiS-Abgeordneten viele trotz der Warnungen Kaczynskis den Lissabonner Vertrag nicht blockieren wollen. Sie möchten Polen nicht innerhalb der EU isolieren, sondern möglichst viel Brüsseler Geld für ihr Land herausschlagen. Dasselbe möchte auch Tusk - so wie nahezu alle Regierungschefs in der EU. Deshalb meinen die meisten Warschauer Kommentatoren, dass der Vertrag letztlich doch noch durchgehen werde.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: