Polen:Leise Töne in Warschau

Außenminister Frank-Walter Steinmeier besucht die neue polnische Regierung und verzichtet auf Kritik. Es liege an der EU zu prüfen, ob der Staatsumbau der Nationalkonservativen rechtens sei.

Von Florian Hassel, Warschau

Der Winter hat Warschau fest im Griff, und so fiel der Blick aus dem Łazienki-Palais der polnischen Könige auf zugefrorene Teiche, als Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier in Warschau seinen Kollegen Witold Waszczykowski traf. Der Bundesaußenminister bekräftigte Berlins offizielle Position: Alles soll weitergehen wie bisher zwischen Deutschland und Polen, Kritik an umstrittenen Gesetzen der von der nationalkonservativen Pis-Partei geführten Regierung überlassen wir offiziell der EU. In Jahrzehnten aufgebautes Vertrauen und die Freundschaft zwischen Berlin und Warschau seien "viel zu wertvoll, um sie jetzt zum Spielball der Tagespolitik werden zu lassen", sagte Steinmeier. Angesprochen auf mögliche Verstöße Polens gegen europäische Verpflichtungen nach seinem Vorgehen gegen das Verfassungsgericht und öffentlich-rechtliche Medien sagte Steinmeier: "Dazu gibt es Fragen der EU-Kommission, die Polen beantworten wird und die daher hier jetzt nicht zu kommentieren sind."

Das neue Überwachungsgesetz gibt umfangreichen Zugang zu Internetdaten der Bürger

Steinmeier traf auch Ministerpräsidentin Beata Szydło und Oppositionsführer Grzegorz Schetyna. Szydło beteuerte, erst bei der Polen-Debatte im Europäischen Parlament am Dienstag dieser Woche und danach in Warschau, ihre Regierung verletze das Recht nicht. "Es gibt in Polen keinen juristischen Streit, es gibt einen politischen Streit", sagte Szydło vor einem Treffen mit den Fraktionschefs im polnischen Parlament. Szydło sollte einen Vorschlag von Pis-Parteichef Jarosław Kaczyński diskutieren: Die Opposition solle acht der fünfzehn Verfassungsrichter bestimmen, seine eigene Partei sieben.

Oppositionspolitiker wie Schetyna und Ryszard Petru lehnten solche Gespräche ab. Denn das Verfassungsgericht wäre vollzählig, würde Polens ebenfalls von der Pis gestellter Präsident Andrzej Duda drei noch vom alten Parlament 2015 legal gewählte Verfassungsrichter vereidigen - dies verweigert Duda trotz eines rechtskräftigen Urteils des Verfassungsgerichtes. Zudem will die neue Regierung das Verfassungsgericht mit einem Ende 2015 verabschiedeten Gesetz entmachten: Der Verfassungsgerichtspräsident und sein Vize sollen nur noch kurz amtieren, das Gericht meist nur noch in voller Besetzung und mit Zweidrittelmehrheit entscheiden dürfen. Zudem sollen Klagen nur noch in Reihenfolge ihres Eingangs entschieden werden. All dies würde das Gericht lahmlegen. Das Verfassungsgericht wird Ende Februar entscheiden, ob dieses Gesetz verfassungswidrig ist. Die Pis-Regierung will den wohl gegen sie ausfallenden Richterspruch indes nicht im Gesetzesblatt veröffentlichen.

Die Venedig-Kommission des Europarates entscheidet voraussichtlich Ende Februar über die Rechtmäßigkeit umstrittener Warschauer Gesetze. In Straßburg wich Szydło der Frage aus, ob sie diese Entscheidung respektieren werde. Die Entscheidung der Kommission werde "sehr aufmerksam geprüft". Zur Frage der drei zu vereidigenden Verfassungsrichter sagte Szydło, das Thema sei abgeschlossen. Sprich: Die Richter würden nicht vereidigt.

Auch andere Initiativen sehen nicht nach Kompromiss aus. So verabschiedete das Parlament bereits ein Überwachungsgesetz, das Polizei, Geheimdiensten und anderen Behörden auch ohne Gerichtsbeschluss umfangreichen - Kritiker sagen: unbeschränkten - Zugang auf Internetdaten polnischer Bürger ermöglicht. Und schon liegt ein Gesetzentwurf vor, um die Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaften rückgängig zu machen. Erst 2010 wurden Polens Staatsanwaltschaften zu unabhängigen Behörden.

Diese Reform hatte einen Anlass: In der ersten Pis-Regierungszeit von 2005-2007 war Zbigniew Ziobro Justizminister und Generalstaatsanwalt in einer Person. Ziobro, enger Vertrauter von Parteichef Kaczyński, verstieß oft gegen rechtsstaatliche Grundsätze, bis hin zu illegalem Abhören politischer Gegner. Jetzt ist Ziobro wieder Justizminister. Und will wieder Generalstaatsanwalt werden. Seine Reform soll die unabhängige Generalstaatsanwalt wieder ins Justizministerium eingliedern. Nachgeordnete Staatsanwaltschaften würden ebenfalls dem neuen Generalstaatsanwalt unterstellt; Staatsanwälte könnten künftig einfach versetzt und entlassen werden. Dienstvergehen oder Verbrechen von Staatsanwälten sollen nicht mehr von Gerichten geklärt werden, sondern von einer internen Abteilung unter Ziobro. Die Reform soll den künftigen Generalstaatsanwalt laut Artikel 136 des Entwurfes auch frei von möglicher Strafverfolgung stellen, wenn er seinerseits "im gesellschaftlichen Interesse" gegen Gesetze verstößt. Der regierungsnahen Tageszeitung Rzeczpospolita zufolge soll das Gesetz möglicherweise noch im Januar beschlossen werden.

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