Polen:Kritik an Rede in Auschwitz

Regierungschefin Szydło provoziert bei Gedenkfeier mit Ansprache gegen Flüchtlinge.

Von Florian Hassel, Warschau

Der Jahrestag des ersten Transports polnischer Gefangener ins Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau am 14. Juni 1940 ist in Polen jedes Jahr ein Trauer- und Gedenktag, an dem führende Politiker des Landes teilnehmen. Am Mittwoch waren es Kulturminister Piotr Gliński und Ministerpräsidentin Beata Szydło. Die polnische Regierungschefin sagte, was ein Politiker an einem solchen Ort deutschen Massenmords und Grauens sagen kann: etwa, dass Politiker dafür sorgen müssten, "dass sich Ereignisse wie die von Auschwitz und anderen Orten der Hinrichtung nie mehr wiederholen".

Doch Polens Regierungschefin stellte auch einen Bezug zur Gegenwart her: "Auschwitz ist in den heutigen, unruhigen Zeiten eine bedeutende Lektion dafür, dass man alles tun muss, um Sicherheit und Leben seiner Staatsbürger zu beschützen." Ein Satz, den die Presseabteilung der rechtspopulistischen Regierungspartei "Recht und Gerechtigkeit" (Pis) sofort auf dem Twitter-Account der Partei veröffentlichte - und der vor allem bei polnischen Beobachtern wie eine Bombe einschlug.

Tusk: Solche Worte sollten an solchem Ort nicht aus dem Munde des polnischen Premiers kommen

Seit Beginn der Flüchtlingskrise in Europa 2015 stellt die Pis unter Parteichef Jarosław Kaczyński die Aufnahme muslimischer Flüchtlinge als tödliche Gefahr für Polen dar. Nach dem Terroranschlag beim Ariana-Grande-Konzert in Manchester bekräftige Szydło am 24. Mai im Parlament, Polen werde keine Flüchtlinge aufnehmen: "Wir werden es nicht zulassen, dass polnische Kinder nicht mehr sicher zum Verein oder in die Schule gehen können." Europa müsse von den Knien aufstehen - sonst werde es wegen der Muslime "täglich seine Kinder beweinen".

Die EU-Kommission eröffnete gegen Polen, Ungarn und Tschechien am Dienstag formell ein Vertragsverletzungsverfahren wegen der Weigerung, Flüchtlinge aus anderen EU-Ländern zu übernehmen. Einen Tag später folgte Szydłos Rede in Auschwitz - mit dem Satz, der Auschwitz offenbar als Rechtfertigung für Polens Anti-Flüchtlingspolitik nutzte. Donald Tusk, Präsident des Europäischen Rates und Ex-Ministerpräsident Polens, twitterte: "Solche Worte sollten an einem solchen Ort niemals aus dem Mund eines polnischen Ministerpräsidenten kommen." Noch schärfer urteilte die Gazeta Wyborcza. "Vor Beata Szydło hat sich niemand getraut, diesen Ort (Auschwitz) im politischen Kampf zu nutzen. Kein polnischer Politiker hat sich je auf den Holocaust berufen, um seine Handlungen zu rechtfertigen. Aber Beata Szydło hat es getan." Polen werde nun nicht nur als Land gelten, das sich seines Christentums brüste, doch Hilfe verweigere, sondern auch als Staat, dessen Regierung für seinen Nutzen mit politischer Propaganda "den größten europäischen Friedhof entweiht".

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