Polen:In der Patriotismus-Falle

Viele polnische Medien und Publizisten berichten so einseitig und verzerrend über Deutschland, als müssten sie ständig für die Ehre der Nation kämpfen.

Thomas Urban

Es war im vergangenen Sommer, auf einer Gedenkfeier der Veteranen der polnischen Untergrundarmee des Zweiten Weltkrieges. Als der greise Staatssekretär Wladyslaw Bartoszewski, Beauftragter Warschaus für die Beziehungen zu Deutschland und Israel, auftrat, ertönten Pfiffe. Es war so, als wollte ein Teil der alten Männer, die gegen die deutschen Besatzer gekämpft hatten, ausdrücken: "Das ist keiner von uns!"

Polen: Verdienter Außenminister unter Druck: Wladyslaw Bartoszewski glaubt, seinen Patriotismus unter Beweis stellen zu müssen. Das versucht er, indem er Erika Steinbach angreift.

Verdienter Außenminister unter Druck: Wladyslaw Bartoszewski glaubt, seinen Patriotismus unter Beweis stellen zu müssen. Das versucht er, indem er Erika Steinbach angreift.

(Foto: Foto: dpa)

Gegen Bartoszewski werden vielerlei Vorwürfe erhoben, zum Teil unbewiesene, zum Teil auch ungerechte. Immer wieder heißt es, er sei zu nachgiebig gegenüber den Deutschen, vor allem habe er zugelassen, dass Polen bei der Jedwabne-Debatte 2001 als Mittäter beim Holocaust angeprangert worden sei.

Bartoszewski hatte damals als Außenminister den Staatspräsidenten Aleksander Kwasniewski dazu bewogen, zum Jahrestag der Ermordung Hunderter jüdischer Einwohner des ostpolnischen Städtchens Jedwabne durch ihre katholischen Nachbarn im Namen des polnischen Volkes um Vergebung zu bitten.

Beiden wurde vorgeworfen, dass so das Verbrechen einer kleinen Gruppe von Polen mit der planmäßigen Judenvernichtung, wie sie der deutsche Staat unter Hitler betrieben habe, auf eine Stufe gestellt werde. Außerdem habe doch in Jedwabne ein SS-Einsatzkommando die Einwohner zu der Tat angestiftet.

Was Bartoszewski im Falle Jedwabne aus deutscher Sicht zur Ehre gereicht, kreidet ihm also das nationalpatriotischen Lager im eigenen Lande, dem er eigentlich nahesteht, erbittert an.

Überdies wird ihm vorgehalten, er habe in seinen Büchern für den deutschen Markt seine eigenen Kriegserlebnisse "dramatischer" dargestellt, als sie in Wirklichkeit gewesen seien. So sieht er sich offenbar unter Druck, seinen Patriotismus unter Beweis zu stellen.

Der Premier muss sich als energischer Patriot zeigen

Er versucht es ganz offensichtlich, indem er permanent die Vorsitzende des Bundes der Vertriebenen, die CDU-Abgeordnete Erika Steinbach, angreift. Unablässig hält er ihr Geschichtsfälschung vor, ein Vorwurf, der einer Überprüfung nicht standhält.

Denn Steinbach betont immer wieder, dass der Vertreibung der deutsche Angriffs- und Vernichtungskrieg in Osteuropa vorangegangen ist. Vor allem hat der BdV unter ihrer Führung seine revisionistischen Positionen aufgegeben, aus denen sich ja seine Existenz herleitete.

Der 87-Jährige hat somit erneut eine hitzige Diskussion ausgelöst, die vor allem seinen liberalkonservativen Ministerpräsidenten Donald Tusk erheblich unter Druck setzt. Denn dieser sitzt nun in Bartoszewskis "Patriotismus-Falle", wie es polnische Politologen nennen.

Auch Tusk muss nun seinen Patriotismus beweisen - und er muss dies besonders energisch tun. Denn er stammt aus Danzig, seine Vorfahren waren Bürger des Deutschen Reiches.

Wohl deshalb hatte er vor drei Jahren die Präsidentenwahlen verloren. Das Lager seines letztlich siegreichen Rivalen Lech Kaczynski hatte nämlich in der letzten Phase des Wahlkampfes mit der Information überrascht, dass Tusks Großvater in der Wehrmacht war. Die Aussage: Der ist kein richtiger Pole!

Lesen Sie auf Seite zwei, was den Polen Patriotismus bedeutet.

In der Patriotismus-Falle

Für die Mehrheit der Polen bedeutet Patriotismus heute Besinnung auf polnische Traditionen. Dazu gehört das Beschwören der Freiheitskämpfe gegen Deutsche und Russen.

Noch nach der politischen Wende vor zwei Jahrzehnten hatte es vor allem als patriotisch gegolten, das Erbe des Kommunismus abzuschütteln und das Land in den Westen zu führen.

Achse Warschau-Berlin in Misskredit

Als Mittel dazu war die enge Zusammenarbeit mit den Deutschen weitgehend unumstritten. Überraschend schritten hier die zu Sozialdemokraten gewendeten Kommunisten voran, ausgerechnet sie wurden die engsten Bündnispartner der Deutschen.

Doch gingen die Postkommunisten vor wenigen Jahren in einem Strudel aus Finanzskandalen und Korruptionsaffären unter - und brachten auf diese Weise auch die Achse Warschau-Berlin in Misskredit.

Es war gerade die moralisch durchaus gerechtfertigte Forderung nach einer Abrechnung mit den postkommunistischen Seilschaften, die die Kaczynski-Zwillinge an die Macht brachte.

Nun stellte sich als fatal heraus, dass der lebhafte deutsch-polnische Dialog der neunziger Jahre vor allem von Warschauer Publizisten geprägt worden war, die ihre Positionen bereits unter dem Parteiregime erlangt, ja sogar davon profitiert hatten. Sie sind heute in der innerpolnischen Debatte nahezu völlig verstummt.

Denn die nun den Ton angebende junge nationalkonservative Generation, die die versäumte Aufarbeitung des Parteiregimes als Hauptursache für die innenpolitische Instabilität Polens anprangert, wirft den früheren Protagonisten des deutsch-polnischen Dialogs vor, einst der Partei zu Diensten, somit also unpatriotisch gewesen zu sein.

Opfervolk und Tätervolk

Die Folge: Diese müssen ebenfalls ihren Patriotismus unter Beweis stellen. Sie schweigen entweder oder tun es wie Bartoszewski: Sie brandmarken Erika Steinbach als Grundübel der deutsch-polnischen Beziehungen.

Doch unternehmen sie keine Versuche, ihren Landsleuten zu erklären, warum Angela Merkel, Horst Köhler oder Kardinal Karl Lehmann im Handeln Steinbachs nichts Antipolnisches erkennen können. Der bekannteste Vertreter dieser Gruppe, die als beruhigendes Korrektiv in der überhitzten Debatte ausfällt, ist der Publizist Adam Krzeminski.

Unkorrigiert bleiben daher auch andere Dauerbrenner in den Medien, die zwar nichts mit der Wirklichkeit zu tun haben, aber die Volksseele regelmäßig zum Kochen bringen. Dazu gehört die angebliche Zwangsgermanisierung deutsch-polnischer Scheidungskinder durch die Jugendämter. Viele glauben auch, die Deutschen wollten den Polen die Verantwortung für die Konzentrationslager zuschreiben.

Als Beleg gilt die - in den deutschen Medien sehr selten gebrauchte - Formulierung "polnische Lager" für die von den Deutschen im besetzten Polen errichteten KZ. In Wahrheit gibt es kein Beispiel, dass die deutsche Täterschaft geleugnet würde. Auch glaubt die Mehrheit der Polen Medienberichten, nach denen die diskriminierenden Polenwitze flächendeckend ein arroganter Spaß der deutschen Elite seien. Dies wird als empörende Herabsetzung eines Opfervolkes durch das Tätervolk angesehen.

Die Ehre der Nation

In diese Patriotismus-Falle sind offenbar auch zwei der wichtigsten Blätter geraten: die linksliberale Gazeta Wyborcza und die katholische Tygodnik Powszechny. Beide leisteten in den neunziger Jahren einen wichtigen Beitrag zur deutsch-polnischen Verständigung und schreckten dabei auch nicht vor dem bis dahin tabuisierten Thema Vertreibung zurück. Heute aber scheint dieses Thema auch für sie wieder tabu zu sein, über die von Steinbach durchgesetzte Perestroika im BdV wurde nie berichtet.

Wie im Falle Bartoszewski spricht vieles dafür, dass dieser Schwenk in der Berichterstattung ebenfalls eine Folge der Jedwabne-Kontroverse ist. Denn auch diese beiden Redaktionen betonten den polnischen Abteil an dem Verbrechen und marginalisierten den deutschen, verhielten sich also nach Meinung der konkurrierenden Blätter in höchstem Maße unpatriotisch.

Offensichtlich sieht im Bezug auf die Deutschen die Mehrheit der polnischen Publizisten heute nicht eine differenzierte Berichterstattung als oberstes Gebot an, sondern die Verteidigung der Ehre der Nation.

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