Polen:Gefürchteter Brief

Die Frist der EU im Konflikt um die umtrittene polnische Verfassungsreform ist verstrichen, doch Warschau zeigt sich kämpferisch. Brüssel verhandelt bis zur letzten Minute, um eine gemeinsame Lösung zu finden.

Von Daniel Brössler, Brüssel

Wenn es eine Botschaft war, die Polens Außenminister Witold Waszczykowski verkünden wollte, dann war es eine widersprüchliche. Im Konflikt um das polnische Verfassungsgericht habe man der EU-Kommission "sehr weitgehende Kompromissvorschläge" unterbreitet, verkündete er am Rande des Treffens der EU-Außenminister am Montag in Brüssel. Die Vorschläge seien vom Vizepräsidenten der EU-Kommission, Frans Timmermans, zunächst sehr positiv aufgenommen und von der Kommission dann aus unbekannten Gründen verworfen waren. Das klang ganz so, als wolle Polen eine Lösung. Direkt danach aber sagte Waszczykowski, das von der EU-Kommission eingeleitete Rechtsstaats-Prüfverfahren gehe "weit über den europäischen Vertrag hinaus". Mehr noch: "Nicht auf eine solche Europäische Union haben wir uns verständigt, nicht dem Beitritt zu so einer Union haben die Polen in einem Referendum zugestimmt."

In Brüssel wurde gerätselt, ob Polens nationalkonservative Regierung und die EU-Kommission ihren Konflikt gerade ver- oder entschärfen. Am Montag lief eine Frist aus, die zumindest in Warschau als Ultimatum aufgefasst worden war, wenngleich ein Sprecher der Kommission diesen Begriff empört zurückwies. "Wir haben nie das Wort Ultimatum benutzt. Nie", sagte er. Tatsächlich hatte die EU-Kommission Vizepräsident Frans Timmermans am vergangenen Mittwoch ermächtigt, von Montag an eine schriftliche Meinung zur Rechtsstaatlichkeit in Polen abzugeben. In dem im Januar erstmals gegen einen Mitgliedstaat eingeleiteten Prüfverfahren würde dadurch die nächste Stufe gezündet. Die Hoffnung der EU-Kommission war aber, dass es vor diesem nächsten Schritt doch noch ein Einlenken Warschaus geben könnte.

Im äußersten Fall drohen laut EU-Vertrag Strafen bis hin zum Stimmrechtsentzug

Beide Seiten bestätigten, dass auch am Montag noch intensive Gespräche liefen. "Ich kann heute nur sagen, dass die Kommission immer noch konstruktiv mit der polnischen Regierung spricht und dass wir hoffen, Lösungen zu finden", sagte der Kommissionssprecher. Unklar war, ob und wann Timmermans den gefürchteten Brief nach Warschau schickt. Nach der Ermächtigung durch das Kollegium liegt die Entscheidung über das weitere Verfahren nun bei Timmermans. Die Kommission will zwar einerseits den Konflikt nicht eskalieren lassen, andererseits aber auch nicht passiv wirken, wenn die Rechtsstaatlichkeit ausgehöhlt wird. Aus Brüsseler Sicht müsste eine Lösung dafür sorgen, dass Entscheidungen des polnischen Verfassungsgerichts von der Regierung in Warschau wieder respektiert werden. Diese ignoriert eine Entscheidung des Gerichts gegen vom Parlament beschlossene weitreichende Änderungen in Zusammensetzung und Arbeitsweise des Gerichts.

In ihrem Vorgehen stützt sich die EU-Kommission auf ein 2014 eingeführtes Prüfverfahren für den Fall, dass Zweifel an der Rechtsstaatlichkeit in einem Mitgliedstaat aufkommen. In dem dreistufigen Verfahren gibt die Kommission zunächst eine Einschätzung ab, ob sie "systemische Gefahren" für die Rechtsstaatlichkeit sieht. Dann kann sie eine Empfehlung abgeben und in der dritten Stufe die Umsetzung überprüfen. Im äußersten Fall könnte eine Prozedur nach Artikel 7 des EU-Vertrags mit Strafen bis zum Stimmrechtsentzug in Gang gesetzt werden.

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