Polen:Flucht nach vorn

Nach einem weiteren Abhörskandal entlässt Polens Regierungschefin mehrere Minister.

Von Florian Hassel, Warschau

Es sollte ein Befreiungsschlag werden. Ewa Kopacz, Ministerpräsidentin Polens und zuletzt wegen angeblicher Passivität kritisiert, feuerte Mitte der Woche gleich acht Minister und hohe Beamte ihrer Kanzlei. Alle waren mit zweifelhaften Aussagen in einem Abhörskandal aufgefallen oder hatten offenbar bei der Aufsicht über Ermittlung und Geheimdienstkoordination versagt. Auch Radosław Sikorski, nach seiner Ablösung als Außenminister seit dem vergangenen Herbst Parlamentspräsident, legte sein Amt nieder. Und danach entschuldigte sich Kopacz bei den Polen für einen neuerlichen Skandal, der das Land seit Anfang der Woche erschüttert. Am Montagabend veröffentlichte ein umstrittener Geschäftsmann einen Großteil der Ermittlungsakten über einen Skandal, der Polen seit dem Sommer 2014 beschäftigt. Am 13. Juni 2014 begann das Wochenmagazin Wprost, Abschriften abgehörter Gespräche zwischen führenden Ministern und Beamten in den Warschauer In-Restaurants "Sowa und Freunde" und "Amber Room" zu veröffentlichen. Die Gespräche schockierten die Polen wegen ihres oft vulgären Tons und innen- und außenpolitisch Wellen. Außenpolitisch, weil etwa der damalige Außenminister Radosław Sikorski sich abschätzig über Englands Premier David Cameron oder über die US-Regierung äußerte. Innenpolitisch, weil er seine Landsleute als "Einfaltspinsel" abqualifizierte oder weil Marek Belka, Direktor der laut Gesetz streng unpolitischen Nationalbank, mit zwei Ministern der damaligen Regierung Tusk darüber verhandelte, für welche Gegenleistung die Bank sie im nächsten Wahlkampf unterstützen werde.

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