Polen:Entzweite Nachbarn

Beim Warschau-Besuch wird deutlich, wie weit Merkel und Polens starker Mann Kaczyński auseinander liegen. Trotzdem hofft der auf einen Wahlsieg der Kanzlerin.

Von Florian Hassel, Warschau

Einigkeit gab es nur über den Ablauf, als Bundeskanzlerin Angela Merkel am Dienstag nach Warschau kam. Auf das Treffen mit Polens Regierungschefin Beata Szydło und Präsident Andrzej Duda folgten kurze Gespräche mit den Chefs der wichtigsten Oppositionsparteien und Vertretern der deutschen Minderheit in Polen. Dann kam die Kanzlerin zum Kern des Besuches: einem Treffen mit Jarosław Kaczyński, dem Vorsitzenden der nationalkonservativen Regierungspartei "Recht und Gerechtigkeit", kurz Pis. Ein Mann, der in Polen heute "an allen Schnüren zieht und über Polens Haltung zu Änderungen in der EU entscheiden wird", wie die Zeitung Gazeta Wyborcza schreibt.

Kanzlerin und Parteichef trafen sich auf neutralem Boden, im Hotel Bristol. Es war das erste Gespräch zwischen Merkel und Kaczyński seit mehr als einem Jahrzehnt - und der Inhalt sollte vertraulich bleiben. Regierungsnahe Warschauer Medien stellten es so dar, als hätte die Kanzlerin Gesprächsbedarf gehabt. "Die Deutschen brauchen einen stabilen Partner in Europa", schrieb das Wochenmagazin Wprost. Die Pis wiederum könne den Besuch der Kanzlerin nutzen, um "Vorwürfe über die internationale Isolierung Polens" als grundlos darzustellen und dafür zu sorgen, dass "unser Land im europäischen Spiel eine bedeutend wichtigere Rolle spielt als bisher", hieß es da.

Berliner Regierungskreise dagegen betonen, vielmehr hätten Polens Regierung und Kaczyński um das Treffen mit der Kanzlerin gebeten. Merkel habe nicht nur bilaterale Fragen deutsch-polnischer Politik ansprechen wollen und europäische Fragen wie Flüchtlingskrise oder Brexit, sondern auch das Vorgehen gegen Polens Verfassungsgericht. Sie wolle herausfinden, ob Polen weiter auf der Basis "unserer gemeinsamen europäischen Wertegrundlage handeln will". Dies sei eine offene Frage - "es kann auch sein, dass die Polen über Bord gehen wollen", heißt es in Berlin.

Dass in Brüssel ein Rechtsstaatsverfahren gegen Warschau läuft, fiel in Polens regierungsnahen Presse unter den Tisch. Ebenso der Umstand, dass die Regierung der EU-Kommission bis zum 21. Februar antworten muss, wie sie die Rechtsverletzungen gegenüber dem Verfassungsgericht aufheben will. Hohe Regierungskreise machten zum Merkel-Besuch klar: gar nicht. "Es gibt heute keinerlei Probleme mit dem Verfassungsgericht mehr. Dieser Prozess ist beendet, die Frage ist abgeschlossen." In einem am Dienstag veröffentlichten Interview mit der FAZ sagte Kaczyński, Artikel 7 des EU-Vertrages, der die Grundlage des laufenden Rechtsstaatlichkeitsverfahren gegen Polen ist, müsse "radikal umformuliert werden. Unser Verfassungsgericht geht nur uns etwas an."

Beata Szydlo, Angela Merkel, Warsaw, Poland - 07 Feb 2017

Der eisigen Stimmung zwischen Polen und Deutschland folgt ein Treffen im Schneefall: Merkel wurde in Warschau von Premier Beata Szydło empfangen.

(Foto: Shutterstock)

Der Parteichef forderte zudem, die europäische Gesetzgebung müsse "auf ihren Kern reduziert werden: den gemeinsamen Markt, in gewissem Maße den Umweltschutz". Kaczyński und Ministerpräsidentin Szydło haben klare Vorstellungen: mehr Kontrolle nationaler Parlamente über Entscheidungen der EU, im Klartext also ein Vetorecht für die Kammern der Mitgliedstaaten. Zudem sollen "die Kompetenzen der EU-Kommission eingeschränkt werden", sagte eine polnische Regierungsquelle. Ohne solche Änderungen, die eine deutliche Schwächung der Union bedeuten würden, werde sich "die Krise in der EU vertiefen und weitere Länder werden die EU verlassen", so die Argumentation Kaczyńskis.

Die Flüchtlinge bleiben Reizthema: Kaczyński lehnt ihre Aufnahme weiterhin ab

Aus Sicht der Kanzlerin ist solch eine Aufweichung der EU indiskutabel. "Eine Diskussion über eine Änderung der EU-Verträge zu eröffnen, bedeutet, die Büchse der Pandora zu öffnen. Das wollen wir auf keinen Fall", so ein Regierungsvertreter.

Beim Gespräch zwischen Merkel und Kaczyński ging es auch um das Reizthema Flüchtlingskrise und um den Verteilungsschlüssel. Der Parteichef lehnt es ab, Flüchtlinge aus anderen EU-Ländern wie Deutschland aufzunehmen. Eine solche Lastenteilung sei "ein absurder Gedanke, total antipolnisch", sagte er der FAZ. Kaczyński kritisierte auch die deutsche Stellung in Europa: "Frau Merkel ist absolut die Nummer eins in der EU, und das ist keine gesunde Situation."

Gleichwohl sei ein Sieg der Kanzlerin bei der Bundestagswahl das Beste für Polen. "Vor allem jetzt, wo Herr Schulz gegen sie antritt." An ihm störe ihn dessen "Hang zu Russland". Er sei ein linker Ideologe, sagte Kaczyński. Den Wechsel im im Weißen Haus bgrüße er: Während Präsident Obama Polens demokratische Rückschritte im Sommer 2016 in Warschau öffentlich kritisiert hatte, interessiere sich Amerika unter Präsident Trump "nicht für die inneren Angelegenheiten unseres Landes, und das ist gut so".

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