Polen:Die Phobien des polnischen Machthabers bedrohen Europa

6th Anniversary of Polish First Couple funeral at Wawel Catherdral Jaroslaw Kaczynski Marek Kuchci

Jarosław Kaczyński am sechsten Jahrestag der Beerdigung seines Zwillingsbruders Lech, der bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen war.

(Foto: imago/Eastnews)

Kaczyński will, dass die EU zum selbstsüchtigen Nationalismus zurückkehrt. Das ist eine Katastrophe.

Kommentar von Daniel Brössler, Brüssel

Fünfzig Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs sprach der damalige polnische Außenminister Władysław Bartoszewski vor dem Deutschen Bundestag. Bartoszewski, einst Häftling des deutschen Konzentrationslagers Auschwitz, würdigte damals, 1995, den deutschen Rechtsstaat, zu dem sich Deutschland nach dem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft entwickelt hatte, und die Rückkehr der Deutschen in die Gemeinschaft Europas. Europa dürfe nicht auf einen geografischen Terminus verengt werden, mahnte der Historiker Bartoszewski. Vielmehr sei es ein kollektives Symbol von fundamentalen Werten und Prinzipien, der Freiheit der Person also, der Menschenrechte, der Demokratie. Europa, sagte Bartoszewski, "das ist der Rechtsstaat."

Es ist wichtig, sich diese Worte in Erinnerung zu rufen, und das Glück, das sie be-deutet haben. Dank des Mutes und des Freiheitswillens allen voran der Polen hatten die Europäer nach Jahrzehnten die Chance erhalten, wieder zusammenzufinden. Sie taten das, wie sie damals glaubten, auf jenem sicheren Grund, den Bartoszewski im Bundestag beschrieben hatte. Der Sieg der Gewerkschaft Solidarność wies dabei weit über Polen hinaus.

Heute gilt: Wenn nun ausgerechnet in Warschau der Justizminister das Verfassungsgericht verächtlich macht und der Machthaber Jarosław Kaczyński sich belustigt zeigt über in Brüssel geäußerte Sorgen um den polnischen Rechtsstaat, dann ist das eine Katastrophe eben nicht nur für Polen, sondern auch für Europa.

Die rechtsnationale Regierung will ganz Europa deformieren

Wenn diese Katastrophe unerwartet eingetreten ist, dann auch deshalb, weil die europäische Einheit zwar begrüßt, aber zumindest auf westlicher Seite vielfach nicht wirklich gelebt worden ist. Wen hat es interessiert, dass es im Polen der nachkommunistischen Zeit nie wirklich gelungen ist, politische Gräben zu überwinden? Wo zeigte sich in Deutschland Neugier auf die Welt, die sich wieder geöffnet hatte? Den Polen blieb hingegen, oft auf der Suche nach Arbeit, gar nichts anderes übrig, als sich mit der Lebenswirklichkeit westlich ihrer Grenzen vertraut zu machen. Eine Gemeinschaft auf Gegenseitigkeit entstand so nicht. Das ist nicht der, aber doch einer der Gründe für die jetzt zu beklagende Fremdheit.

Die Polen enthebt das nicht der Verantwortung für die eigene Demokratie. Das gilt für die Liberalen, die positive wirt-schaftliche Kennziffern verwechselt hatten mit allgemeinem Wohlstand und es versäumt hatten zu erklären, dass Europa mehr ist als freies Reisen. Das gilt noch mehr für die National-Katholiken, die das Land mit ihrem hassgetränkten und rechtsstaatszerstörenden Machtwillen nun an den Abgrund treiben. In bedrückender Konsequenz wird alle Politik den Phobien von Jarosław Kaczyński untergeordnet, dem Vorsitzenden der Partei Recht und Gerechtigkeit (Pis). Das beeinträchtigt die Aussöhnung mit Deutschland, entfaltet sein Gift aber in viel stärkerem Maße im Land selbst. Kaczyński glaubt, dass sein beim Flugzeugabsturz in Smolensk ums Leben gekommener Zwillingsbruder einem russischen Mordkomplott zum Opfer gefallen ist. Unter Kaczyński wurde diese Verschwörungstheorie nun zur Staatsdoktrin.

Die Polen mit diesem Drama alleine zu lassen, hieße, die europäische Dimension zu verkennen. Kaczyński ist Teil einer illiberalen Internationalen, zu der etwa auch der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán zählt. Für die EU erwächst daraus eine gänzlich andere Herausforderung, als sie der Brexit, der angekündigte Austritt Großbritanniens, darstellt. Denn Kaczyński will gerade nicht, dass Polen aus der EU austritt. Er will, dass die EU sich selbst verlässt. Sie soll genau jenes Europa der Werte aufgeben, das Bartoszewski 1995 beschrieben hat.

Orbán könnte Polen beispringen

Übrig bliebe eine Union, deren Mitglieder den Rechtsstaat außer Kraft setzen könnten und von denen niemand verlangen würde, Flüchtlingen menschlich zu begegnen. Übrig blieben außerdem der Binnenmarkt und die Strukturfonds. In der Machtprobe mit der EU-Kommission könnte demnächst ein erster Punkt an Kaczyński gehen. Nur einstimmig nämlich könnten die anderen Mitgliedstaaten eine ernsthafte Verletzung der EU-Werte durch Polen feststellen. Das dürfte, schon dank des ungarischen Premiers Viktor Orbán, kaum passieren.

Bleibt Hoffnung? Er denke an ein "Europa ohne selbstsüchtige Nationalismen, in dem die Nationen als lebendige Zentren kulturellen Reichtums wahrgenommen werden, der es verdient, zum Vorteil aller geschützt und gefördert zu werden". Der Satz stammt von Johannes Paul II. Er sprach ihn bei Entgegennahme des Karlspreises 2004. Die Polen müssen zurückfinden zu ihrem Papst. Und nach Europa.

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