Polen:Der Feind sitzt in Brüssel

Polen: Hunderttausende Polen protestierten Anfang Mai gegen die Politik der Regierungspartei.

Hunderttausende Polen protestierten Anfang Mai gegen die Politik der Regierungspartei.

(Foto: Wojtek Radwanski/AFP)

Im Streit mit der Kommission um den Abbau der Rechtsstaatlichkeit bleibt die nationalpopulistische Pis-Regierung hart: Man werde sich keinerlei Ultimatum beugen, die EU spiele ein übles Spiel. An diesem Montag endet eine entscheidende Frist.

Von Florian Hassel, Warschau

Es ist ein besonderes Angebot, das Polens Landwirtschaftsminister Krzysztof Jurgiel für ausgewählte Bauernkinder bereithält. Der Minister ist bereit, Gruppen von je 150 Kindern im Juli und August den Sommerurlaub zu bezahlen. Einzige Bedingung: Die Kinder müssen sich während des Urlaubs ausführlich mit der Geschichte polnischer Partisanen beschäftigen, die im und nach dem Zweiten Weltkrieg gegen die Sowjets und das von ihnen errichtete kommunistische Regime kämpften.

Der Patrioten-Urlaub ist nicht die einzige Initiative, mit der die von der nationalpopulistischen Partei "Recht und Gerechtigkeit" (Pis) gestellte Regierung das Andenken an die zu kommunistischer Zeit verfemten Partisanen fördern will. In Warschau soll ein neues Museum die Partisanen ehren und, so schilderte es der künftige Direktor, jungen Polen ein zur Nachahmung empfohlenes Ideal vor Augen halten: "bis zum Ende kämpfende" Männer, die "ihr Leben dem Vaterland widmeten und sich zu keinerlei Kompromissen mit dem Feind hingaben".

Und geht es so weiter wie in den vergangenen Monaten, rückt der Feind schon bald von Brüssel auf Warschau vor. Diesen Eindruck jedenfalls könnte bekommen, wer die jüngste Zuspitzung im Verhalten Warschaus gegenüber der EU-Kommission verfolgt. Die setzte der Regierung in Warschau in der vergangenen Woche eine Frist: Spätestens bis zu diesem Montag müsse die Regierung ein zu ihren Ungunsten ausgefallenes Urteil des polnischen Verfassungsgerichtes veröffentlichen, die Autorität des Gerichts anerkennen und verfassungswidrige Gesetze zurückziehen.

Andernfalls, warnte die Kommission am 18. Mai, werde ihr Vizepräsident Frans Timmermans am Montag einen bereits gebilligten Beschluss in Kraft setzen, der formell feststellt, dass der Rechtsstaat in Polen bedroht ist - und der Warschau dazu auffordert, Abhilfe zu schaffen.

Der Beschluss der EU-Kommission folgt monatelanger Verzögerungstaktik der polnischen Regierung: Die hat seit Beginn des im Januar von der EU eingeleiteten Rechtsstaatsverfahrens keines der kritisierten Gesetz zurückgezogen, sondern weitere erlassen. Legal gewählte Verfassungsrichter, die der Pis nicht passen, sind bis heute nicht vereidigt. Auch ein Urteil des Verfassungsgerichts vom 9. März, mit dem die Richter ein Gesetz zur Entmachtung des Gerichts für verfassungswidrig erklärten, ist bis heute nicht im Gesetzblatt veröffentlicht.

Polens Regierung macht keine Anstalten einzulenken. "Wenn es ein Urteil gibt, wird auch veröffentlicht; wenn es kein Urteil gibt, wird nicht veröffentlicht", beharrte Ministerpräsidentin Beata Szydło auf der von ihrer Regierung verbreiteten Version, es gebe derzeit kein legal beschlussfähiges Verfassungsgericht, sondern nur "Treffen von Richtern". Polen sei "ein souveräner Staat", die Regierung werde sich "keinerlei Ultimatum beugen".

Szydło lieferte am Freitag im polnischen Parlament einen denkwürdigen Auftritt. "Nicht Polen hat heute ein Problem mit seinem Ruf und seiner Autorität, sondern die Europäische Kommission", behauptete die Regierungschefin. Dort gebe es immer mehr Leute, denen mehr am Auseinanderbrechen der EU liege als an deren Entwicklung. Außenminister Witold Waszczykowski sekundierte, die EU spiele ein übles Spiel mit Polen. Bei EU-Kommissionsvize Timmermans wisse man nicht, "wann er die Wahrheit spricht". Polen habe es aufseiten der EU-Kommissionsführer "leider mit einem feindlichen Umgang, ja sogar mit Betrug" zu tun.

Polens Opposition reagierte schockiert. Erstmals seit 1989 müsse man einem polnischen Regierungschef sagen: "Polen schämt sich für Sie, für das, was Sie hier gesagt haben!", ließ Oppositionsführer Grzegorz Schetyna Szydło wissen. Deren Parteichef Jarosław Kaczyński, der eigentliche starke Mann im Land, befahl daraufhin der gesamten Regierung und allen Pis-Abgeordneten den Auszug aus dem polnischen Parlament.

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