Polen:Kampf gegen den Verfassungsbruch

File photo of Rzeplinski, head of Poland's Constitutional Court, attending a session at the Constitutional Tribunal in Warsaw

Auf Konfrontationskurs mit der Regierung: Andrzej Rzepliński, Vorsitzender des polnischen Verfassungsgerichtes, kämpft für die Unabhängigkeit der Justiz.

(Foto: Kacper Pempel/Reuters)

Andrzej Rzepliński ist der Vorsitzende des polnischen Verfassungsgericht. Er duzt den PiS-Vorsitzenden Jarosław Kaczyński - und kämpft gegen seine Regierung. Doch wohl nicht mehr lange.

Ein Porträt von Florian Hassel, Warschau

In normalen Zeiten wäre es keine Erwähnung wert, dass Andrzej Rzepliński, Vorsitzender des polnischen Verfassungsgerichts, dem Gesetzgebungszentrum der Regierung (RCL) einen Brief schreibt. Das Zentrum ist zuständig für die Veröffentlichung von Gesetzen, Erlassen und Urteilen des Verfassungsgerichts - auch dem Urteil im Verfahren K 47/15. Mit einem Ende Dezember verabschiedeten Gesetz wollte Polens von der nationalkonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (Pis) gestellte Regierung die Vollmachten der Richter beschneiden und ihre Unabhängigkeit beseitigen. Die Verfassungsrichter erklärten das Gesetz unter Rzeplińskis Vorsitz am Mittwoch für verfassungswidrig. Entscheidungen des Verfassungsgerichts sind auch in Polen endgültig, treten mit ihrer Verkündung in Kraft und müssen umgehend veröffentlicht werden. Noch am Mittwoch schrieb Rzepliński einen Brief an das RCL, in dem er das Urteil übersandte.

Ministerpräsidentin Szydło sorgt dafür, dass ein Urteil nicht veröffentlicht wird

Doch das Gesetzgebungszentrum wird das Urteil kaum veröffentlichen. Seit Ende 2015 hat das RCL eine neue Chefin: Jolanta Rusiniak, zuvor Sekretärin des Kabinetts unter Ministerpräsidentin Beata Szydło. Kabinettssekretärin Rusiniak sorgte schon Anfang Dezember 2015 im Auftrag Szydłos dafür, dass das RCL ein Urteil der Verfassungsrichter erst einmal nicht veröffentlichte, demzufolge Polens Präsident umgehend drei noch unter der vorherigen Regierung rechtmäßig gewählte Verfassungsrichter vereidigen müsse.

Das ist bis heute nicht geschehen - Juristen zufolge ein Verfassungsbruch des Präsidenten. Gleiches gilt für die Unterdrückung von Urteilen der Verfassungsrichter. Die Verfassung erlaubt Regierung, Präsident oder Parlament nicht, Urteile des Verfassungsgerichtes zu missachten - geschweige denn, sie zu unterdrücken. Damit das Gesetzgebungszentrum gleichwohl nicht dem Gesetz folgt, sondern dem Willen der neuen Regierung, ernannte Regierungschefin Szydło am 16. Dezember die gefügige Kabinettssekretärin Rusiniak zur neuen Chefin des RCL. Noch vor dem Urteil vom Mittwoch verkündete Szydło, sie werde kein Urteil des Verfassungsgerichts in seiner heutigen Besetzung veröffentlichen.

Noch lieber wäre es der Regierung, sie wäre auch Verfassungsgerichtspräsident Rzepliński los - eben dies wollte sie auch in dem am Mittwoch für verfassungswidrig erklärten Gesetz durchsetzen. Rzepliński, seit 2010 Vorsitzender des höchsten polnischen Gerichts, teilt neben weiteren Vollmachten Verfahren einzelnen Richtern zu, entscheidet, wann über welche Klage entschieden wird und vertritt das Gericht auch nach außen. Was heute bedeutet: gegen die Pis. Damit ist Rzepliński zum "Feind Nummer eins" (so das Wochenmagazin Newsweek Polska) der Pis und ihres Chefs Jarosław Kaczyński geworden. Eine ironische Wendung der Geschichte: Ende der Sechzigerjahre studierte Rzepliński an der Warschauer Universität im gleichen Jahrgang Jura wie die Brüder Lech und Jarosław Kaczyński. 1971 machten sie zusammen ihr Examen. Bis heute ist Rzepliński mit Jarosław Kaczyński per Du - trotz erbitterter Gegnerschaft.

Im kommunistischen Polen war Rzepliński einige Jahre Mitglied der Kommunistischen Partei. Doch in den Achtzigerjahren beriet der Jurist Mitglieder der Solidarność-Bewegung, engagierte sich beim Helsinki-Komitee und nach dem Fall des kommunistischen Regimes bis 2007 in der Helsinki-Stiftung für Menschenrechte. Als Juraprofessor in Warschau, Reformer im Strafrecht und Mitdenker der polnischen Verfassung wurde Rzepliński zu einem der prominentesten Juristen Polens - und 2007 Richter am Verfassungsgericht. Im Dezember 2010 ernannte ihn Polens damaliger Präsident zum Vorsitzenden.

Rzepliński ist ein liberaler Katholik: gegen die Liberalisierung der Abtreibung oder gleichgeschlechtliche Ehen, doch auch gegen die Todesstrafe - und für das Recht von Schwulen und Lesben auf öffentliche Paraden. Ganz im Gegensatz zu den Kaczyński-Brüdern, von denen Lech als Bürgermeister von Warschau eine LGBT-Parade verbot. Bruder Jarosław, Anhänger autoritären Regierens, wollte schon 2007, in der ersten Regierungszeit der Pis, die Unabhängigkeit der Verfassungsrichter einschränken. Doch bevor ein entsprechender Gesetzentwurf beschlossen werden konnte, fiel Kaczyńskis damalige Koalitionsregierung auseinander. Vertrauten sagte Rzeplinski schon vor einem Jahr, Kaczyński werde im Fall der Rückkehr an die Macht gegen das Verfassungsgericht vorgehen, so das Magazin Polityka.

Unter seinen Kollegen genießt der oberste Richter größten Rückhalt

Seit es so kam, ist Rzepliński Zielscheibe der Pis. Meist überlässt Kaczyński es Vertrauten wie Justizminister Zbigniew Ziobro, den Verfassungsgerichtspräsidenten wegen angeblicher Machtgelüste als "Cäsar" oder "Pharao" zu bezeichnen. Nach außen hin lässt sich Rzepliński davon selten beeindrucken - und veröffentlicht etwa auch einen Brief an die Regierungschefin, demzufolge diese die Verfassung bricht, wenn sie Urteile der Verfassungsrichter nicht umgehend veröffentlicht.

Unter seinen Kollegen genießt Rzepliński großen Rückhalt. Beim Urteil vom Mittwoch stimmten von zwölf teilnehmenden Richtern neun mit Rzepliński. Die zwei Gegenstimmen kamen von zwei neuen, von der Pis gewählten Verfassungsrichtern. Diese fielen zuvor nicht als herausragende Juristen auf. Noch ist das Gewicht der von der Pis durchgesetzten Richter innerhalb des Verfassungsgerichts gering. Doch das ändert sich spätestens im Dezember 2016: Dann endet Rzepliński Amtszeit - und Kaczyński kann den obersten Richter Polens neu bestimmen.

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