Polen:Amtliche Verunglimpfung

Polens Regierungspartei Pis mit ihrem Vorsitzenden Jarosław Kaczyński wettert zur Zeit verstärkt gegen Deutschland - eine kalkulierte Kampagne.

Von Florian Hassel, Warschau

Hunderte italienischer Mafiosi. Flüchtlinge mit tödlichen Krankheiten. Angebliche Schließungen polnischer Kirchengemeinden im Ruhrgebiet, die zu Flüchtlingsheimen werden sollen. Wer in diese Tagen Polens Staatsfernsehen und andere regierungsnahe Medien verfolgt, kann aus solchen Meldungen leicht den Eindruck gewinnen, Deutschland stehe vor dem Untergang. Damit nicht genug. So wettern der Staatssender TVP und einige Politiker bis hinauf zu Jarosław Kaczyński, dem Chef der nationalpopulistischen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (Pis), dass die Deutschen sich auch noch weigern, endlich eine angemessene Entschädigung für den Tod und die Zerstörung zu zahlen, die sie im Zweiten Weltkrieg in Polen hinterließen.

Bei der Pis haben solche antideutschen Ressentiments Tradition. Seit sie 2015 die Regierung stellt, verunglimpfte sie etwa die Aufnahmeverpflichtung von Flüchtlingen durch die EU als angeblich deutsches Diktat. Oder sah, dass das Land von deutschen Firmen ausgebeutet werde. Im Parteimagazin Gazeta Polska behauptete Kaczyński im April 2016 gar, in Deutschland sei die Demokratie abgeschafft. Und den mittlerweile zum Präsidenten des Europäischen Rats aufgestiegenen - und mit Ausnahme der Warschauer Stimme einstimmig wiedergewählten - Donald Tusk diffamierte Kaczyński im März als angeblich deutschen Kandidaten.

Eine so konzentrierte Anti-Deutschland-Kampagne wie seit Ende Juli aber ist neu. Einerseits soll sie offenbar von innenpolitischen Schwierigkeiten ablenken. Andererseits aber auch vom Vorgehen der EU gegen Warschaus rechtswidrige Justizreformen. Dafür spricht, dass die Kampagne kurz nach den Massenprotesten der Bevölkerung gegen die Regierung wegen rechtswidriger Gesetze zur Abschaffung richterlicher Unabhängigkeit begann. Und damit zwei Tage, nachdem EU-Kommissionsvizepräsident Frans Timmermans bekräftigt hatte, die EU werde ein Rechtsstaatsverfahren gegen Polen einleiten. Zudem verklagte Brüssel Polen vor dem Europäischen Gerichtshof wegen des rechtswidrigen Abholzens von Bäumen im geschützten Białowieza-Wald, dem letzten Urwald Europas.

People gather in front of the Supreme Court during a protest against the Supreme Court legislation in Warsaw

Proteste wurden als deutscher „Putschversuch“ dargestellt.

(Foto: Reuters)

"Ein deutscher Minister finanzierte den Putsch", so stellte Gazeta Polska - wie zuvor auch bereits Kaczyński - Anti-Regierungsdemonstrationen als vom Ausland beeinflussten Umsturzversuch dar. Der angebliche Beleg: Caio Koch-Weser, bis 2005 Staatssekretär im Finanzministerium und heute Chef der Europäischen Klimastiftung, habe die Bürgerinitiative "Aktion Demokratie" unterstützt. Die Gruppe war ein Mitorganisator der Proteste gegen die rechtswidrige Justizreform. Auch TVP schloss sich an und behauptete, Polens führende Oppositionspartei Bürgerplattform sei von Deutschland abhängig. Und in den Abendnachrichten durfte Pis-Europaparlamentarier Karol Karski behaupten, dass die Kritik an Warschau durch EU-Vize Timmermans sei "mit den näherkommenden Wahlen in Deutschland verbunden" sei.

Darüber hinaus kündigte Parteichef Kaczyński am 27. Juli eine "historische Gegenoffensive" gegen Berlin an. Die Deutschen wiesen "seit mehreren Jahren ihre Verantwortung für den Zweiten Weltkrieg zurück". Außerdem wolle Polen endlich gerechte Entschädigungen für den millionenfachen Tod und die milliardenschweren Zerstörungen Polens im Zweiten Weltkrieg. Bereits am 1. Juli, auf einem Parteikongress, hatte Kaczyński behauptet, "Polen hat niemals auf solche Entschädigungen verzichtet".

Und auch TVP, für Millionen Polen die einzige Informationsquelle, startete eine bis heute andauernde Kampagne. In einem Spot zeigte der Sender erst Hitler, dann Zerstörungen in Polen und mahnte: "Deutsche! Ihr habt Adolf Hitler und die NSDAP in demokratischen Wahlen gewählt! Deutsche! Mit euren Steuern hat Adolf Hitler Verbrechen und Morde finanziert! Deutsche! Eure Unternehmen sind durch die Ausplünderung und Ermordung polnischer und anderer Staatsbürger reich geworden! Deutsche! Ihr habt Polen, die Juden gerettet haben, mit dem Tode bestraft! Deutsche! Ihr habt die Vernichtungslager im besetzten Europa erbaut! Deutsche! Hört auf, die Geschichte zu verfälschen und entschuldigt euch". Diese Reparations-Kampagne wird seither durch die Regierung fortgeführt. Am 14. August bekräftigte TVP nochmals, Polen habe "nie auf Entschädigungen verzichtet".

Jarosław Kaczyński, Chef der Pis

"Die Deutschen weisen schon seit mehreren Jahren ihre Verantwortung für den Zweiten Weltkrieg zurück."

Tatsächlich aber bestimmte schon der Potsdamer Vertrag von 1945, dass Polen im Rahmen von Reparaturzahlungen für die Sowjetunion entschädigt würde. Am 24. August 1953 erklärte die polnische Regierung, sie habe beschlossen, "mit Wirkung vom 1. Januar 1954 auf die Zahlung von Reparationen an Polen zu verzichten". Der Verzicht wurde im Deutsch-Polnischen Nachbarschaftsvertrag von 1991 und 2004 durch eine Erklärung Warschaus abermals niedergeschrieben. Abseits der jetzigen Propaganda hielt Polens Vize-Außenminister in einem Brief vom 8. August ans Parlament fest, an dieser Lage habe sich nichts geändert.

Polnische Analysten glauben, dass die Kampagne nicht auf tatsächliche Entschädigungen zielt, die ohnehin aussichtslos sind, sondern andere Initiativen rechtfertigen soll. Das liberale Magazin Polityka befürchtet gar Polens Austritt aus der EU. Ein anderes Ziel aber liegt wohl näher: Kaczyński und andere Pis-Politiker haben bereits für die Zeit nach der Sommerpause ein Gesetz zur "Repolonisierung" polnischer Medien angekündigt. Das federführende Kulturministerium wolle den Anteil von Ausländern an polnischen Verlagen oder Fernsehsendern auf maximal 20 Prozent beschränken. Sollte das umgesetzt werden, müsste etwa der Verlag der Passauer Neuen Presse seine Kontrolle über etliche Regionalzeitungen ebenso abgeben wie das deutsch-schweizerische Gemeinschaftsunternehmen Axel Springer-Ringier Polens größte Tageszeitung Fakt und die einflussreiche polnische Newsweek-Ausgabe. Und auch der US-Amerikanern gehörende Fernsehsender TVN könnte dann unter polnische Kontrolle kommen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: