Pogrom 1938: Gedenkfeiern:Knobloch: In Geschichte schlechte Noten

Charlotte Knobloch, Präsidentin des Zentralrats der Juden, kritisiert den laxen Umgang mit Rechten. Auch Angela Merkel und Gesine Schwan warnen.

Entschuldigt hat er sich inzwischen - und doch macht die Kritik des niedersächsischen Ministerpräsidenten Christian Wulff an der Thematisierung der hohen Managergehälter weiter die Runde. Der CDU-Politiker hatte von einer "Pogromstimmung" gesprochen - und das kurz vor dem 70. Jahrestag der Terrornacht der Nazis gegen Juden.

Pogrom 1938: Gedenkfeiern: Bundeskanzlerin Angela Merkel und Charlotte Knobloch bei der Gedenkveranstaltung der Pogromnacht in Berlin.

Bundeskanzlerin Angela Merkel und Charlotte Knobloch bei der Gedenkveranstaltung der Pogromnacht in Berlin.

(Foto: Foto: Reuters)

An diesem Sonntag hat Charlotte Knobloch, die Präsidentin des Zentralrates der Juden in Deutschland, explizit die Verwendung von Begriffen wie "Pogromstimmung" im Umgang mit der Finanzkrise scharf verurteilt: "Dieses mangelnde Geschichtsbewusstsein ist nicht hinzunehmen." Das war eine schallende Ohrfeige für Landeschef Wulff.

Die Zentralratspräsidentin Knobloch hat zu mehr Wachsamkeit gegen antisemitische Strömungen in der Bundesrepublik aufgerufen. Die demokratischen Parteien sollten mit mehr Selbstbewusstsein der rechtsextremen NPD entgegentreten, sagte sie auf der zentralen Gedenkveranstaltung zum 70. Jahrestag der Pogromnacht vom 9. November 1938 in Berlin. Dafür sei auch die Unterstützung der kleinen Initiativen gegen Rechtsextremismus notwendig.

Angela Merkel fürchtet Gleichgültigkeit

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) warnte ihrerseits vor Gleichgültigkeit gegenüber Rassismus und Antisemitismus. "Gleichgültigkeit ist der erste Schritt, unverzichtbare Werte aufs Spiel zu setzen", sagte sie. Deutschland brauche ein Klima, das Zivilcourage fördere, sagte die Kanzlerin.

Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Antisemitismus dürften in Europa "nie wieder einer Chance haben". Dies gelte auch für den arabischen Raum und andere Teile der Welt, sagte Merkel. Niemand dürfe schweigen, wenn etwa ein Rabbiner auf offener Straße angegriffen oder ein jüdischer Friedhof geschändet werde.

Zur NS-Zeit habe die Mehrheit der Deutschen nicht den Mut zum Protest gegen die Nazi-Barbarei gehabt. Es sei aber ein Irrglaube, sich nicht betroffen zu fühlen, wenn es um das Schicksal des Nachbarn gehe. "Dieser Irrglaube führt uns immer weiter ins Unheil", so Angela Merkel.

Gesine Schwan für mehr Zivilcourage

Die SPD-Kandidatin für das Bundespräsidentenamt, Gesine Schwan, rief die Deutschen zu mehr Zivilcourage auf. Eine Gesellschaft der Bürger mit Zivilcourage könne ein Bollwerk gegen Machtmissbrauch und Willkür errichten, sagte Schwan im voll besetzten Audimax der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität in einer Rede zum 70. Jahrestag der Pogromnacht: "Deshalb müssen wir gerade unter den vergleichsweise günstigen Bedingungen der Demokratie Zivilcourage einüben und praktizieren".

Ein Maß Skepsis gegenüber staatlichen Regeln tue allen gut, so Schwan, die in München eine Reihe von Reden im Wettbewerb um das Bundespräsidentenamt eröffnete. Sinn im Politischen wie im Persönlichen sei nur in einer freiheitlichen, gerechten und solidarischen Gesellschaft zu finden, sagte Schwan. Sie erinnerte auch an die historische Rolle Münchens in der NS- Diktatur.

In der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 hatten Nazis in ganz Deutschland Geschäfte und jüdische Gotteshäuser in Brand gesetzt, Wohnungen demoliert und Bewohner misshandelt. In der offiziellen Bilanz des Terrors waren 91 Tote, 267 zerstörte Gottes- und Gemeindehäuser sowie 7500 verwüstete Geschäfte verzeichnet.

Wulff hatte sich im Übrigen in der N24-Talkshow des Moderators Michel Friedman geäußert. Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung hielt es für nötig, in einem Artikel darauf hinzuweisen, dass Friedman ein "Jude" sei. Der wiederum sieht sich dadurch ausgegrenzt, wie er in Bild am Sonntag schrieb. Bei Artikeln über Wulff wird ja auch nicht auf seine Konfession verwiesen.

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