Plagiatsvorwurf gegen Schavan:Gutachten in eigener Sache

Die Vorwürfe gegen Annette Schavan sind hart. Sie soll wissentlich plagiiert haben. Die Bildungsministerin will sich nun umfassend verteidigen.

Roland Preuss

Kriminalisten kennen das. Wenn es einen Fall aufzuklären gibt, der Jahrzehnte zurückliegt, wird es mühsam: Der Tatort sieht heute ganz anders aus, manches Beweismittel ist aus der Asservatenkammer verschwunden, und die Zeugen quälen Erinnerungslücken. Annette Schavan geht es nun ähnlich, als Ermittlerin in eigener Sache. Sie hat ihre Doktorarbeit zu verteidigen, erstellt vor mehr als 32 Jahren, eingereicht 1980 an der Universität Düsseldorf - im Fach Erziehungswissenschaften, das dort seit zwei Jahren nicht mehr existiert. Den Zettelkasten, in dem sie die Notizen für das Schreiben der Dissertation sammelte, hat sie bereits vor Jahren weggeworfen, "bei einem meiner Umzüge", wie sie sagt. Nur von der verwendeten Literatur hat einiges überlebt. Bücher wirft man eben nicht so leicht weg, auch wenn sie schon 40 oder 50 Jahre alt sind.

Die Bundesbildungsministerin will sich mit einer längeren Stellungnahme vor dem zuständigen Promotionsausschuss der Universität verteidigen, etwas entgegensetzen dem Bericht des Prodekans der Philosophischen Fakultät, Stefan Rohrbacher, der am Wochenende bekannt geworden ist. Sie kennt das ja aus dem politischen Geschäft: Wenn es ein unangenehmes Gutachten gibt, dann muss schnellstmöglich ein Gegengutachten her, als Ministerin kann man das in Auftrag geben. Diesmal ist es anders: Schavan muss es selbst schreiben.

Das wird nicht einfach sein, denn Rohrbacher hat eine scharfe Analyse der Doktorarbeit vorgelegt. Man kann Rohrbacher nicht vorwerfen, sich oberflächlich mit dem Thema auseinandergesetzt zu haben - oder eine Wischiwaschi-Haltung einzunehmen. Die 75 Seiten Gutachten stecken voller Belege aus Originalquellen und der Dissertation, sie sind gespickt mit Wertungen, inwieweit Schavans Ausführungen den Leser weiterbringen. Oft wenig, findet der Düsseldorfer Professor für Jüdische Studien. Schon das Thema Schavans wirkt sperrig: "Person und Gewissen - Studien zu Voraussetzungen, Notwendigkeit und Erfordernissen heutiger Gewissensbildung", so der Titel.

Ganze Passagen hat Schavan einfach übernommen

Was wirft Rohrbacher Schavan genau vor? In fast allen Fällen geht es darum, dass Schavan Textpassagen anderer Autoren wörtlich oder etwas abgewandelt in die eigene Doktorarbeit übernommen habe, ohne sie als Zitat zu kennzeichnen. Entsprechende Fußnoten im Text finden sich dem Gutachten zufolge oft erst später. Oder es wurde, wie im oberen Beispiel der Grafik ersichtlich, der Autor Antoni Nowak zwar einmal auf der Seite korrekt zitiert. Im Folgenden aber hat sich Schavan weiterhin in ganzen Passagen bei ihm bedient, zum Teil mit leichten Änderungen (grau unterlegt), ohne dies zu kennzeichnen.

Es geht also darum, in welcher Form das sogenannte Paraphrasieren erlaubt ist, bei dem die Texte fremder Autoren sinngemäß wiedergegeben werden. Über die Grenzfälle, was dabei erlaubt ist, streiten die Experten, eine flächendeckende wörtliche Übernahme ohne Verweise auf den Urheber der Formulierung gilt jedoch als Verstoß gegen das wissenschaftliche Handwerk. Rohrbacher bemängelt, der Ausschnitt sei "über mehrere Absätze hinweg und im Umfang einer vollen Seite" weitgehend aus Formulierungen von Nowak "zusammengefügt". Besonders schwerwiegend ist der Vorwurf, dass Schavan sogar bei ihren eigenen Schlussfolgerungen am Ende der Arbeit wörtlich Passagen vom Fremdautor Alfons Auer ohne Verweis übernommen hat, also in einem Teil, der die eigene wissenschaftliche Leistung aufzeigen soll.

Die einzige gravierende Stelle, in der Schavan den wirklichen Autor, Ernst Stadter, gar nicht nennt, ist auf den Seiten 75/76 ihrer Arbeit zu finden. "Jeder Verweis auf Stadter unterbleibt; auch im Literaturverzeichnis wird er nicht aufgeführt", schreibt Rohrbacher.

Ein vernichtendes Urteil, wissenschaftlich verpackt

Das Gutachten versucht dennoch den Anschein der Schärfe zu vermeiden. Rohrbacher verweist darauf, dass vor gut 30 Jahren das Verständnis für unerlaubte Übernahmen noch nicht so entwickelt gewesen sei wie heute, Grenzfälle, über die sich zu Recht streiten lasse, habe er nicht berücksichtigt. Tatsächlich kommt Rohrbacher bei der 352-seitigen Doktorarbeit auf 60 fehlerhafte Seiten. Der anonyme Plagiateprüfer im Internet hat insgesamt 92 Seiten beanstandet. Dennoch kommt er am Ende zu einem klaren Ergebnis: Er schreibt vom "charakteristischen Bild einer plagiierenden Vorgehensweise", also von einem Plagiat und einer "leitenden Täuschungsabsicht", die "nicht nur angesichts der allgemeinen Muster des Gesamtbildes, sondern auch aufgrund der spezifischen Merkmale einer signifikanten Mehrzahl von Befunden" zu konstatieren sei. Es ist ein vernichtendes Urteil, in wissenschaftlichem Duktus verpackt.

Die Hauptbegründung: Schavan habe auf vielen Seiten ihrer Arbeit gezeigt, dass sie die wissenschaftlichen Methoden beherrsche, deshalb müsse sie an den mangelhaften Stellen bewusst dagegen verstoßen haben. Damit wäre eine Aberkennung des Doktortitels geboten, darüber entscheiden aber letztlich die Gremien der Universität. Das Gutachten ist die Grundlage für die Entscheidung. Schavan würde in diesem Fall ohne Studienabschluss dastehen, denn sie hatte ihr Studium ohne Magister oder Diplom mit der Doktorarbeit beendet.

Vor allem am Täuschungsvorwurf entzündet sich die Kritik von Wissenschaftlern. Der Plagiatsexperte und Bonner Juraprofessor Wolfgang Löwer sagt, es sei "problematisch", eine Täuschungsabsicht damit zu begründen, dass ansonsten großteils korrekt gearbeitet worden sei. Es sei auffällig, das Schavan offenbar besonders dort Fehler gemacht habe, wo sie ein fremdes Fach behandelte, nämlich Psychologie. Deutlich schärfer urteilt Wolfgang Frühwald, früher Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Er hält sowohl den Vorwurf des Plagiats als auch der Täuschung für abwegig. Er selbst würde seinen Doktoranden raten, "natürlich" nicht nur auf die Originalquellen zurückzugreifen, sondern auch die Sekundärliteratur zu verwenden. Dann aber reichten einige Fußnoten. Es gehe im Fall Schavan um handwerkliche Fehler, die jedoch nicht so ins Gewicht fielen. Die Dissertation habe neue Erkenntnisse geliefert. Der Literaturwissenschaftler und frühere Prorektor hat dabei einen Vorteil: Frühwald war von 1970 bis 2003 Professor, also auch schon in der Zeit, als Schavan einst promovierte.

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