Plagiatsvorwurf gegen Lammert:Jemand hat nicht seriös gearbeitet - aber wer?

Norbert Lammert

Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU): Er hält die Plagiatsvorwürfe gegen sich für unbegründet.

(Foto: dpa)

Bundestagspräsident Norbert Lammert wird vorgeworfen, in seiner Doktorarbeit geschlampt zu haben. Er hat seine Universität gebeten, den Fall zu prüfen. Gleichzeitig gibt es harte Kritik an der Arbeitsweise des Plagiatsuchers.

Von Roland Preuß und Ronen Steinke

Die Politiker und Referenten der Opposition müssen erst einen Blick ins Internet geworfen haben, ehe sie sich an ihre Statements machten. Und dort, unter http://lammertplag.wordpress.com, haben sie dann allerlei Fehler oder angebliche Fehler entdeckt in der 37 Jahre alten Doktorarbeit von Norbert Lammert. Auf Anhieb überzeugende Beweise für Plagiate fanden sie dort allerdings nicht. Scharfe Kritik, gar Rücktrittsforderungen sind denn auch nicht zu vernehmen, die SPD gibt früh den Ton vor.

Der SPD-Bildungsexperte Ernst Dieter Rossmann lobt Lammert am Morgen erst einmal dafür, dass er die Universität Bochum sofort um eine Prüfung der Vorwürfe bittet, SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück zollt Lammert seinen "vollen Respekt", und selbst Volker Beck von den Grünen betont, es gelte die Unschuldsvermutung. Im Wahlkampf könnte die Affäre des populären Bundestagspräsidenten von der CDU eine Steilvorlage sein für die Opposition, doch die nimmt den Ball nicht auf. Noch nicht zumindest.

Nach der Vorgeschichte mit den Rücktritten von Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU), Silvana Koch-Mehrin (FDP), Annette Schavan (CDU) und weiterer Politiker nach dem Entzug ihrer Titel ist dennoch klar: Wenn sich die Vorwürfe erhärten, dann dürfte Lammert kaum zu halten sein. Koch-Mehrin und Schavan klagen gegen den Entzug, ihre Ämter haben sie dennoch längst verloren. So würde es auch Lammert ergehen, erst recht kurz vor der Bundestagswahl, erst recht einem Honorarprofessor der Universität Bochum, also einem, der selbst wissenschaftliche Brillanz in Anspruch nimmt. Er habe die Arbeit nach bestem Wissen und Gewissen geschrieben, sagte er der Welt.

Die Vorwürfe gegen Schavan waren von Anfang an gravierender

Die entscheidende Frage aber lautet: Was ist dran an den Plagiatvorwürfen? Der anonyme Autor der Vorwürfe, der sich "Robert Schmidt" nennt, spricht von Unregelmäßigkeiten auf 42 Seiten. Dort fänden sich Passagen aus 21 Quellen, wo unsauber gearbeitet worden sei. "Hierbei handelt es sich vorwiegend, aber nicht ausschließlich um Plagiate."

Lammert hatte seine Arbeit mit dem sperrigen Titel "Lokale Organisationsstrukturen innerparteilicher Willensbildung" 1974 an der Ruhr-Universität Bochum vorgelegt. Sie beschäftigt sich anhand eines CDU-Kreisverbandes im Ruhrgebiet mit der Funktion und der Struktur der Partei, bis hinunter in die Ortsverbände. 1976 veröffentlichte sie dann die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung.

Der Anonymus Schmidt ist nicht irgendwer, er hat mit seinen Funden vergangenes Jahr die Plagiataffäre Schavan ins Rollen gebracht, welche die Bundesbildungsministerin schließlich aus dem Amt fegte. Doch diese Vorwürfe waren von Anfang an gravierender als die gegen Lammert. Auch in dessen Arbeit hat er einiges gefunden: Textpassagen, deren Inhalt dem von fremden Autoren gleicht, Fußnoten, die von diesen fremden Autoren samt Fehlern mitübernommen wurden, Begriffe, die Autoren gar nicht verwendet haben - und angeblich falsche Nachweise aus Büchern, die es gar nicht gebe.

Erste Zweifel an der Analyse kommen auf

Ein Beispiel: Lammert zitiert den Sozialwissenschaftler Roland Warren mit der sprachlichen Wendung "vertikale Integration", ohne jedoch in der Fußnote anzugeben, wo in dem mehr als 600-seitigen Werk Warrens er diesen Begriff gefunden habe. Tatsächlich findet er sich dort nirgends. Der Ursprung dieser sprachlichen Verwechslung findet sich schnell: Schon der Soziologe Peter Oel hat Warren falsch zitiert - Lammert zitiert Oel kurz darauf. Ein Fehler, der Lammert kaum passiert wäre, wenn er die Quelle selbst nachgeschlagen hätte.

Den Beleg für wörtlich abgeschriebene Passagen bleibt der anonyme Plagiatsucher allerdings schuldig. Es bleibt stets beim Kleinteiligen, Lammert hat umformuliert, neu geordnet, wie sich an der kritisierten Textstelle in der Grafik erkennen lässt. Zudem gibt es erste Zweifel an der Analyse. Der Politikwissenschaftler Wolfgang Jäger spricht von einem "Witz", nachdem er einen der kritischen Punkte geprüft hat. Angeblich hat Jäger, auf den sich Lammert in seiner Arbeit bezieht, aus einem Werk zitiert, das es gar nicht gibt, was Lammert dann offenbar ungeprüft übernommen hat.

Er zitiert aus einem Sammelband "W. Gagel (Hrsg.), Zur Rolle und Funktion der Parteien" von 1967. Es existiert allerdings nur ein von Gagel mitherausgegebener Band "Politische Parteien im parlamentarischen Regierungssystem". Nach kurzer Suche treibt es Jäger in seiner Bibliothek auf. Der langjährige Rektor der Universität Freiburg fällt denn auch ein hartes Urteil: Der Plagiatsucher habe "nicht seriös gearbeitet", sagte er der Süddeutschen Zeitung. Bei genauer Literaturrecherche hätte er das Werk durchaus auftreiben können. Den Fehler nimmt Jäger auf sich. Er habe den Titel des Werkes in seinem Band falsch wiedergegeben. Aber: "Es gibt das Buch."

Die Prüfung steht bislang erst am Anfang

Auch bei dem Politikwissenschaftler Hans-Otto Mühleisen soll sich Lammert im Theorieteil bedient haben. Doch Mühleisen, emeritierter Politikprofessor an der Uni Augsburg, fühlt sich "gar nicht als Plagiatopfer", wie er sagt.

Wie viel wissenschaftliche Eigenleistung müssen Autoren erbringen, wenn sie Theorien wiedergeben? Und wie viele Nachweise müssen sie beibringen, wenn sie sich bei fremden Autoren dem Sinn nach bedienen? Unstrittig ist, dass wörtliche Übernahmen gekennzeichnet werden müssen - doch Lammert hat in der Regel umformuliert. Und Mühleisen erwähnt er durchaus - was der Politologe für ausreichend hält. Das sieht der Plagiatexperte Volker Rieble ähnlich. "Das hier ist kein offenkundiges Textplagiat", sagt der Juraprofessor. Allerdings sei Schlamperei erkennbar. Und die übernommenen Fußnoten seien ein Indiz für mögliche Plagiate.

Die Unterstützung von den vermeintlichen Plagiatopfern ist ein Punkt für Lammert, die Rettung ist es allerdings nicht. Auch im Fall Schavan hatten sich Plagiatsopfer zugunsten der Ministerin zu Wort gemeldet. Die Entscheidung, den Titel abzuerkennen, hat dies allerdings nicht verhindert. Zudem steht die Prüfung erst am Anfang. Die Universität Bochum hat bereits damit begonnen, auch die Plagiatsucher im Netz werden weitermachen. Stoff gibt es noch genug: Der anonyme Blogger hat gerade einmal ein Drittel der Dissertation durchforstet.

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