Pläne für besseren Kinderschutz:Aus Akten werden Menschen

Justizministerin Zypries will das Vormundschaftsrecht verbessern - und jedem amtlichen Betreuer den persönlichen Kontakt zum Kind vorschreiben.

J. Osel

Union wie SPD wollen nach der Wahl einen neuen Anlauf für einen besseren Schutz von Kindern in Problemfamilien unternehmen. Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) und Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) stellten bei einer Kabinettssitzung am Mittwoch jeweils Berichte ihrer Häuser vor. Dabei forderten beide unter anderem, in der nächsten Legislaturperiode endlich ein Kinderschutzgesetz zu beschließen.

Pläne für besseren Kinderschutz: Bisher beziehen sich die gesetzlichen Bestimmungen nur auf das bereits geborene Kind. Nach den Plänen der Politik soll der Schutz jedoch auch auf ungeborene Kinder ausgeweitet werden.

Bisher beziehen sich die gesetzlichen Bestimmungen nur auf das bereits geborene Kind. Nach den Plänen der Politik soll der Schutz jedoch auch auf ungeborene Kinder ausgeweitet werden.

(Foto: Archiv-Foto: dpa)

Wegen des Widerstands der SPD sowie auf Abraten einer Expertengruppe bei der Anhörung im Bundestag war der Entwurf der Familienministerin für ein entsprechendes Gesetz unlängst gescheitert. Es hätte etwa die Lockerung der ärztlichen Schweigepflicht sowie verpflichtende Jugendamtsbesuche bei Hinweisen auf Kindeswohlgefährdung vorgesehen. Als "Blindflug", "Kontrollwut" und juristisch unpräzise hatten SPD-Politiker den CDU-Entwurf bezeichnet - und durchfallen lassen.

Der nun vorgestellte Bericht von der Leyens gibt einen Rückblick auf die Kinderschutzpolitik in dieser Legislaturperiode. Neben einem umfassenden Kinderschutzgesetz werden Einzelmaßnahmen in Aussicht gestellt, unter anderem bessere Rechtsgrundlagen für Familienhebammen.

Der Bericht aus dem Zypries-Ministerium ist das Ergebnis einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe, bestehend aus Experten von Familiengerichten und Jugendhilfe, die bereits zum zweiten Mal eingesetzt worden war. Ihr erster Bericht vor etwa zwei Jahren hatte eine Änderung im Bürgerlichen Gesetzbuch angestoßen: Der Tatbestand eines elterlichen Erziehungsversagens, um ein Familiengericht anrufen zu können, wurde gestrichen - und somit eine Hürde für den staatlichen Eingriff beseitigt.

Der neue Bericht, dessen Empfehlungen Zypries umsetzen möchte, behandelt einzelne gesetzliche Stellschrauben - teils nur juristische Präzisierungen - für die Arbeit von Vormundschaften und Jugendämtern.

Vormundschaften

Vor drei Jahren hatte der Fall des zweijährigen Kevin in Bremen die Öffentlichkeit erschüttert. Der Sohn eines Drogensüchtigen wurde tot im Kühlschrank versteckt, während er in den Akten seines amtlichen Vormunds als gesund geführt wurde. Hauptgrund für dieses Versagen: Der Amtsvormund hatte etwa 240 Mündel zu betreuen. Und den persönlichen Kontakt hatte er an Mitarbeiter von Sozialdiensten delegiert, die sich vom Vater belügen ließen. Das Justizministerium empfiehlt nun eine Obergrenze von 50 Kindern und Jugendlichen pro Vormund. Derzeit sind es meist deutlich mehr als 100. Um diese Schlüssel zu erreichen, könnte etwa ehrenamtliches Potential besser ausgeschöpft werden, heißt es. Vor allem soll der persönliche Kontakt zwischen Vormund und Mündel verbindlich per Gesetz geregelt werden. Das heißt: Kinder unter Vormundschaft könnten wieder als Menschen, nicht nur als Akten betreut werden.

Gericht und Jugendamt als Team

Die Teilnahme des Jugendamts an Terminen beim Familiengericht soll verbindlicher und konkreter geregelt werden. Dies könnte über eine Änderung im Sozialgesetzbuch VIII geschehen, die das Erscheinen eines Mitarbeiters bei Gericht vorschreibt. Bislang ist noch nicht geregelt, ob die gesetzlich aufgeführte Mitwirkung auch die persönliche Teilnahme an den Gerichtsverhandlungen mit einschließt.

Fortbildung wird Pflicht

Familienrichter werden aktuell zu Fortbildungen in Fragen des Kindeswohls nicht gerade angespornt - obwohl sie dort Dinge lernen könnten, die ihnen das Jurastudium in der Regel nicht vermittelt hat. Es gibt keinerlei Anreize dafür, gelegentlich müssten dem Bericht zufolge Richter sogar die Reisekosten für solche Fortbildungen aus eigener Tasche bezahlen. Eingeführt werden könnte eine gesetzlich verankerte Fortbildungspflicht für Richter. Gleiches könnte für die Teilnahme an interdisziplinären Arbeitskreisen mit den Jugendämtern gelten. Diese könnte sogar an die Beförderungsrichtlinien geknüpft werden. Die nötigen finanziellen Mittel für Fortbildungen sowie die zeitlichen Kapazitäten müssten geschaffen werden, betont der Bericht. Die Zuständigkeiten für die meisten Richter liegen allerdings bei den Ländern und nicht beim Bundesjustizministerium.

Ungeborenes Leben schützen

Im Bürgerlichen Gesetzbuch bezieht sich Kindeswohlgefährdung dem Wortlaut nach nur auf das bereits geborene Kind. Zu einer vermeidbaren Schädigung kann es aber auch bereits vor der Geburt kommen - etwa durch Drogenmissbrauch der Mutter in der Schwangerschaft. Der Begriff einer Kindeswohlgefährdung soll auch auf das ungeborene Kind ausgeweitet werden - jedoch nicht gesetzlich definiert, sondern durch zusätzliche Hilfsangebote. Da werdende Eltern eher bereit seien, ihren Lebensstil zu überdenken, könnten Beratungsangebote zu diesem Zeitpunkt besser greifen, heißt es.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: