NSU-Prozess:Eine Anklage gegen die Ankläger

331 Verhandlungstag im NSU Prozess Die Angeklagte Beate Zschaepe steht am Montag 20 12 2016 im La

Beate Zschäpe zwischen ihren Anwälten Hermann Borchert (l.) und Mathias Grasel.

(Foto: imago/Sebastian Widmann)
  • Die Verteidigung im NSU-Prozess hat mit den Plädoyers begonnen.
  • Beate Zschäpes Wahlverteidiger Hermann Borchert wirft der Anklage vor, Entlastendes zu ignorieren.
  • Zschäpe sei keine Mittäterin der Morde, so der Anwalt.

Aus dem Gericht von Wiebke Ramm

Im NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht München haben am Dienstag die Plädoyers der Verteidigung begonnen. Beate Zschäpes Wahlverteidiger Hermann Borchert macht mit seinem Schlussvortrag den Anfang.

Nach fast fünf Jahren Prozess, am 419. Verhandlungstag, erhebt sich Borchert um kurz vor 13 Uhr von seinem Platz und beginnt zu sprechen. Es ist eine Anklage gegen die Ankläger, die Borchert vorträgt. Die Vertreter der Bundesanwaltschaft verwechselten Spekulationen mit Beweisen, sie ignorierten Entlastendes und seien quasi getrieben von einem Verurteilungswillen.

"Die Beweiswürdigung der Bundesanwaltschaft ist äußerst einseitig. Sie ist getragen von der offensichtlichen Absicht, sämtliche Indizien so auszulegen, dass sie in das erstrebte Beweisergebnis passen", trägt Borchert vor. "Eine Mittäterschaft an den Mordtaten und Bombenanschlägen lässt sich weder aus den Tätigkeiten noch aus den Untätigkeiten meiner Mandantin ableiten." Er kündigt an, dass er in seinem Schlussvortrag erneut ein "vollkommen anderes Bild" von Zschäpe zeichnen werde, als es die Vertreter der Bundesanwaltschaft und der Nebenklage taten.

Die Bundesanwaltschaft tue so, sagt Borchert weiter, als wäre Zschäpe "quasi die Chefin", denen sich Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt unterworfen hätten. "Das stellt die Fakten auf den Kopf", sagt er. "Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt waren Persönlichkeiten, die in der Lage waren, wildfremden Menschen ins Gesicht zu schießen. Dass diese Menschen vor meiner Mandantin gekuscht hätten, ist eine geradezu absurde Vorstellung."

Während Borchert stehend spricht, sitzt Beate Zschäpe links neben ihm. Mit ihren langen schwarzen Haaren verbirgt sie wie so oft ihr Gesicht vor den Nebenklagevertretern und den Medienvertretern.

Nach Borchert soll Zschäpes zweiter Vertrauensverteidiger sprechen, Mathias Grasel. Im Anschluss sind Zschäpes langjährige Verteidiger, Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm, an der Reihe. Die drei haben bereits angekündigt, dass sie nach den Plädoyers von Borchert und Grasel wohl eine mehrwöchige Unterbrechung benötigen, um in ihren eigenen Schlussvorträgen gegebenenfalls darauf eingehen zu können.

Zschäpes Verteidigung ist sich nicht einig

Denn Zschäpes Verteidigung ist gespalten. Auf der einen Seite Borchert und Grasel, die gut zwei Jahre Beweisaufnahme und die meisten Zeugenaussagen im NSU-Prozess verpasst haben, aber das Vertrauen ihrer Mandantin genießen. Auf der anderen Seite Heer, Stahl und Sturm, die von Beginn an dabei sind, aber von Zschäpe seit bald drei Jahren mit konsequenter Missachtung gestraft werden. Die einen wissen nicht, was die anderen in ihrem Plädoyer vortragen werden.

Dabei verfolgen beide Anwaltsteams durchaus dasselbe Ziel: Alle fünf Verteidiger wollen verhindern, dass Zschäpe wegen Beteiligung an den überwiegend rassistisch motivierten Morden und Bombenanschlägen verurteilt wird. Doch während Heer, Stahl und Sturm ihrer Mandantin dringend zum Schweigen rieten, feilten Borchert und Grasel mit Zschäpe an einer umfangreichen Aussage. Die beiden Anwälte haben versucht, der Anklageschrift eine eigene Erzählung entgegensetzen.

Zschäpes Version geht so: Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt haben alle bislang bekannt gewordenen Verbrechen des NSU begangen, Zschäpe selbst aber will immer erst hinterher von den Morden und Anschlägen erfahren haben. Sie sei nach jeder Tat furchtbar entsetzt gewesen, habe sich von Mundlos und Böhnhardt aber nicht lösen können - aus Liebe, aus emotionaler und finanzieller Abhängigkeit. Und aus Angst davor, dass die beiden sich selbst töteten.

Überzeugt hat Zschäpe mit ihrer Geschichte nicht. Nicht den Gerichtspsychiater, der sie für dominant und weiter gefährlich hält. Nicht die Bundesanwaltschaft, die Zschäpe als NSU-Mitglied und Mittäterin an allen Verbrechen zu lebenslanger Freiheitsstrafe mit Feststellung der besonderen Schwere der Schuld verurteilt sehen will und darüber hinaus noch die Anordnung der Sicherungsverwahrung für notwendig hält. Käme es so, würde Zschäpe möglicherweise den Rest ihres Lebens hinter Gittern verbringen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: