Piratenpartei scheitert in Niedersachsen:Quittung für das Chaos

Mieser Start ins Wahlkampf-Jahr: Die Piraten verpassen den Einzug in den niedersächsischen Landtag. Viele enttäuschte Mitglieder wittern eine Anti-Piraten-Kampagne der Medien. Doch sie machen es sich zu leicht. Die Gründe für den Absturz der Partei sind hausgemacht.

Eine Analyse von Hannah Beitzer

Landtagswahl Niedersachsen

Enttäuschung bei den Piraten: Spitzenkandidat Meinhart Ramaswamy und seine Frau Annette auf der Wahlparty der Partei in Hannover.

(Foto: dpa)

Es hat also alles nichts gebracht: Die typisch piratigen Plakate, auf denen die Piraten mit abgeänderten Markenlogos um die Wählergunst warben, das Anrücken der gesamten Bundesspitze vor der Landtagswahl, die bei der Basis beliebten Spitzenkandidaten Meinhart Ramaswamy und Katharina Nocun, das Rundumprogramm, das neben den Kernthemen auch Fragen wie Atompolitik behandelt.

Die Niedersachsen wollten die Piraten nicht im Landtag haben, nur etwa zwei Prozent der Wähler stimmten ersten Hochrechnungen zufolge für die Partei, die im vergangenen Jahr quasi aus dem Nichts heraus den Einzug in vier Länderparlamente schaffte, die zwischenzeitlich in bundesweiten Umfragen zweistellige Werte erreichte und sogar die Grünen hinter sich ließ. Und nun also zwei Prozent in Niedersachsen - ein Ergebnis, das Schlimmes für die Bundestagswahl ahnen lässt.

Sicher, einige Probleme in Niedersachsen sind landesspezifisch. Erst nach endlosem Hin und Her gelang es den Piraten, eine Landesliste zu wählen. Innerparteiliche Querulanten hatten die Wahlen mehrmals angefochten und schließlich sogar bei der Landeswahlleitung dafür plädiert, die entstandene Liste mit Spitzenkandidat Ramaswamy nicht zuzulassen.

Zuvor hatten die niedersächsischen Piraten schon für Schlagzeilen gesorgt, weil die eigentlich so transparenzversessene Partei bei ihrem Landesparteitag medienfreie Zonen eingerichtet und sich dafür eine Rüge des Journalisten-Verbands eingefangen hatte.

An der Grenze zur Selbstzerfleischung

Doch schwerer noch als die niedersächsischen Sperenzchen wiegt das schlechte Bild, das die Piraten auf Bundesebene derzeit abgeben. Es grenzt an Selbstzerfleischung, was die Partei in den vergangenen Monaten geliefert hat. Im Herbst traten zwei Vorstände zurück: Beisitzerin Julia Schramm nach harscher innerparteilicher Kritik an ihrer Buchveröffentlichung, für die sie gerüchtehalber einen hohen Vorschuss bekommen haben soll. Beisitzer Matthias Schrade wegen der anhaltenden Scherereien um den politischen Geschäftsführer Johannes Ponader, der die Wut vieler Parteifreunde auf sich zog, weil er die piratige Hartz-IV-Kritik allzu sehr mit seinem persönlichen Schicksal verband.

Dazu kommen in regelmäßigen Abständen jene Ausfälle, an die man sich bei den Piraten schon fast gewöhnt hat: Ein Abgeordneter, der den Holocaust mit dem Nahost-Konflikt in Verbindung bringt. Die viel kritisierte Unterstützung eines Antrags der NPD in Schleswig-Holstein. Ein Parteitag, auf dem zwar einige Lücken im Programm geschlossen werden konnten, aber sich die Piraten auch wieder in den berüchtigten Endlos-Debatten verloren. Und immer wieder zermürbende Diskussionen über das Verhältnis von Basis und Vorstand.

Eine Woche vor der Niedersachsen-Wahl war es dann ein ebenso persönlicher wie erschütternder Essay der Spiegel-Online-Journalistin Annett Meiritz, der die Piraten schlecht aussehen ließ. Meiritz schildert unter der Überschrift "Wie ich die Frauenfeindlichkeit der Piratenpartei kennenlernte", dass aus der Partei über Monate das Gerücht gestreut wurde, sie schlafe mit einem Piratenabgeordneten, um an Informationen zu kommen. Wie Kollegen auf ihr vermeintliches Verhältnis angesprochen wurden und wie sie schließlich ein Pirat auf Twitter als Prostituierte beschimpfte.

Wer wundert sich da noch über sinkende Umfragewerte? Wäre nächste Woche Bundestagswahl, die Piraten hätten verständlicherweise keine Chance auf den Einzug ins Parlament. Sie dümpeln in aktuellen Befragungen bei zwei bis vier Prozent herum, von den einstigen zweistelligen Zustimmungswerten ist nichts mehr übrig.

Jammern wird den Piraten nicht helfen

Die Piraten selbst haben durchaus Erklärungen parat für ihr schlechtes Abschneiden. Tatsache ist, dass sie im vergangenen Jahr Protestwähler jeglicher Couleur angezogen haben, die sich auf die neue Partei gestürzt haben, ganz egal, ob sie tatsächlich zu ihr passen oder nicht. Viele davon sind jetzt wieder verschwunden - und das ist für die Piraten in der Tat eher gut als schlecht. Denn für ein stringentes Parteiprogramm braucht es halt doch Anhänger, die in wesentlichen Punkten ähnliche Interessen verfolgen, ein gemeinsames Wertegerüst haben.

Dann gibt es auch viele Piraten, die die Medien für den Absturz verantwortlich machen, von einer "Kampagne" gegen ihre Partei sprechen. Zahlreiche Mitglieder beklagen auf Twitter, dass über die Piraten nur noch schlecht berichtet werde, dass ihr - wie zuletzt vom NDR, der in einem Beitrag zur Internetkompetenz nur die bisher im Landtag vertretenen Parteien berücksichtigte - schlicht nicht die Möglichkeit gegeben werde, sich zu präsentieren. Die Verschwörungstheorien gehen so weit, dass kurzzeitig eine anonyme Seite im Netz stand, die Medienvertretern wütend Konsequenzen androhte, sollte sich die Berichterstattung nicht ändern.

Doch das Gejammer wird der Partei auch nicht helfen, wenn es um den Einzug in den Bundestag geht. Das weiß auch Piratenchef Bernd Schlömer, der ebenso wie andere führende Piraten nicht müde zu betonen wird, dass die Probleme der Partei hausgemacht und Theorien über eine "Kampagne" Schwachsinn sind.

Wenn ein Piraten-Abgeordneter schräge Holocaust-Analogien zieht, dann sind daran nicht die Medien schuld. Sondern eben jener Pirat, der in seiner Tätigkeit als Abgeordneter für die Partei spricht. Wenn ein Pirat eine Journalistin als Prostituierte beschimpft, ist das nun einmal ein Problem der Partei. Und nicht das der Journalistin. Die Tendenz, die Schuld für das schlechte Abschneiden der Partei bei anderen zu suchen, wird die Piraten deshalb womöglich weitere Sympathiepunkte kosten.

Die Sympathie entscheidet

Dabei ist gerade Sympathie für die Piraten mehr noch als für andere Parteien essentiell. Denn platt gesagt: Chaotisch waren sie auch schon vor einem Jahr, die inhaltlichen Lücken in manchen Politikfeldern wären für viele Anhänger auch noch zu verkraften. Doch sie hatten immerhin das Image, einen komplett anderen Typus Politik zu verkörpern. Irgendwie normaler, irgendwie netter. Typen halt, mit denen man auch mal ein Bier trinken gehen würde. In Zeiten, in denen die bekanntesten Jung-Politiker Philipp Rösler und Kristina Schröder heißen, ist ein solches Image nicht zu unterschätzen.

Und auch für ihren selbstproklamierten Anspruch einer Mitmach-Partei ist der Sympathiefaktor wichtig. Wer will, dass andere mit ihm tagelang in stickigen Mehrzweckhallen über die politische Zukunft Deutschlands diskutieren, der sollte sich nicht sozial inkompetent aufführen. Sonst vertreiben sich die vielen potenziellen Mitmacher aus guten Gründen lieber anderswo die Zeit.

Doch "sozial inkompetent" ist genau der richtige Ausdruck für das Verhalten vieler Piraten in den vergangenen Monaten. Die Streitereien im Bundesvorstand, die vielen persönlichen Beleidigungen, die offen ausgetragenen Grabenkämpfe - all das ist für den Wähler viel abschreckender als das zuweilen glattgebügelte Politik-Blabla der Konkurrenz.

Schweres Jahr für die Piratenspitze

Wer heute an einen Piraten denkt, der hat viel eher den schimpfenden und schmollenden Online-Troll im Kopf als den netten Kerl von nebenan. Wer heute an die Piraten denkt, erinnert sich mit Schaudern an die vielen unbedachten Äußerungen, die gegenseitigen Kränkungen namhafter und weniger namhafter Piraten und findet professionelle Politiker womöglich gar nicht mehr so schlimm. Denn wer will schon irgendeinen Pöbler im Bundestag sehen?

Für die Piratenspitze um Bernd Schlömer wird 2013 deswegen ein schweres Jahr - auch wenn die Piratenchefs selbst sich seit den Grabenkämpfen vom Herbst zusammengerissen haben und auf Geschlossenheit bedacht sind. Doch in einer Partei, die das Wort der Basis so hoch und die Macht des Vorstands so gering schätzt wie die Piraten, reicht es nicht, wenn Vorstand und Bundestagskandidaten sich freundlich und professionell verhalten.

Es muss auch noch bis zum letzten Piraten durchsickern, dass die Partei ihr Geschick selbst in der Hand hält. Dass nicht nur im Wahlkampf öffentliche Beschimpfungen und andere Ausfälle tabu sind. Und dass Verschwörungstheorien gegen die bösen Medien, die von eben solchen Ausfällen ablenken sollen, die Umfragewerte weiter sinken lassen werden.

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