Piratenangriffe:Taliban auf See

Die Piraten, die vor der Küste Somalias jeden Tag Schiffe überfallen, haben ganz eigene Motive. Aber der Kampf gegen die Seeräuber ist genauso kompliziert wie der gegen den Terror.

Nicolas Richter

Was ist nicht schon alles talibanisiert worden. Zuerst Afghanistan, wo die Fundamentalisten bis heute den Westen bekämpfen; auch Pakistan, wo sich die selbsternannten Gotteskrieger immer neuen Einfluss verschaffen. Inzwischen muss der Begriff für etliches herhalten, das an Chaos erinnert, irgendwo war sogar mal von der Talibanisierung der Energiepolitik die Rede. Im Kern aber meint Talibanisierung einen Zustand, in dem es keinen Staat mehr gibt, der Regeln durchsetzen könnte - und den selbst die Weltgemeinschaft nicht zu verbessern vermag, auch wenn sie noch so viel Geld oder Kriegsgerät aufbietet. So gesehen ist das, was sich vor der Küste Somalias abspielt, die Talibanisierung der See.

Piratenangriffe: Fast täglich überfallen Pirtaen vor Somalia Schiffe - und erpressen hohe Lösegelder.

Fast täglich überfallen Pirtaen vor Somalia Schiffe - und erpressen hohe Lösegelder.

(Foto: Foto: AP)

Die Piraten, die dort jeden Tag Schiffe überfallen, die Besatzungen wochenlang in Geiselhaft nehmen, die Millionen an Lösegeld erpressen - sie haben andere Motive als die Taliban. Ihnen geht es nicht um Religion, sie kämpfen nicht gegen ausländischen Einfluss - nein, sie gieren schlicht nach Geld. Insofern sind die Motive der Piraten banaler, wenn auch hochgradig kriminell.

Die Antwort der Weltgemeinschaft allerdings erinnert an die ersten Reaktionen auf den Taliban- und Al-Qaida-Terror der neunziger Jahre. Es fehlt im Angesicht moderner Gefahren immer wieder eine klare rechtliche Linie, es fehlt die internationale Abstimmung und - vor allem - der Wille, das Übel zu bekämpfen, wo es wurzelt: in gescheiterten, kaputten Staaten.

Kampf mit viel Verzögerung

Die Welt hat auch diesmal viel Zeit verloren. Die Piratenplage ist der breiten Öffentlichkeit seit mindestens einem Jahr bekannt, jetzt ruft US-Außenministerin Hillary Clinton eine neue Arbeitsgruppe zusammen und fordert wolkig, gegen ein "Verbrechen des 17. Jahrhunderts die Mittel des 21. Jahrhunderts einzusetzen". Clinton irrt: Weder Piraten - noch übrigens die Taliban - sind Phänomene der Vergangenheit, sie stehen für die asymmetrischen Konflikte von heute, mal befeuert von Fundamentalismus, mal von Bürgerkrieg und Armut.

Die Vereinten Nationen haben es in Afghanistan und Somalia zu lange toleriert, dass dort jede staatliche Autorität abhanden kam. In beiden Fällen war offensichtlich, dass das Chaos über die Landesgrenzen schwappen würde. Die Taliban boten der al-Qaida einen sicheren Hafen, bis diese das World Trade Center in Trümmer legte. Jetzt attackieren Somalias Seeräuber eine Schifffahrtsstraße, die für die Weltwirtschaft unerlässlich ist. Es ist rührend, dass Clinton jetzt einen Gesandten zur Geberkonferenz für Somalia schicken wird. Wenn es nur dabei bleibt, werden die Piraten noch lange in See stechen.

Solange die UN nicht die Konsequenz aufbringen, Somalia wieder aufzubauen, bleibt als Mittel gegen die Piraten nur mehr Entschlossenheit in der Auseinandersetzung auf See. Es darf gar nicht dazu kommen, dass Reedereien aus Angst um ihre Besatzung immer mehr Lösegeld schicken. Gefährdete Schiffe müssen verpflichtet werden, sich militärisch geschützten Konvois anzuschließen. Viele Reedereien vermeiden dies bislang, weil die Konvois zu spärlich und langsam sind. Die EU-Mission Atalanta mag sich brüsten, in einem halben Jahr 112 Schiffe eskortiert zu haben. Das ist leider eine winzige Zahl in einem Gebiet, das jährlich Tausende Schiffe durchfahren.

Die Versuchung ist zu groß

Überdies muss die Welt die Piraten dazu zwingen, höhere Risiken einzugehen. Mit den Mitteln des Strafrechts allein wird das nicht gelingen. Dafür ist die Versuchung, Millionen Dollar zu verdienen, einfach zu groß - für jene vor allem, die mit der Kalaschnikow aufgewachsen sind und nichts zu verlieren haben. Ein internationaler Gerichtshof für Piraterie in der Region wäre gleichwohl ein starkes Signal, weit abschreckender jedenfalls als die Politik der Bundesregierung, die jeden Strafprozess gegen Piraten panikartig an Kenia delegiert.

Viel abschreckender freilich wäre es, wenn die Piraten um ihr Leben fürchten müssten. Anders als die Selbstmordattentäter des 11. September sehnen Piraten nicht den Tod herbei. Je öfter Eliteeinheiten der Franzosen oder Amerikaner eingreifen, und dabei zur Rettung der Geiseln als letztes Mittel die Entführer erschießen, desto eher werden Piraten die Risiken abwägen. Meist aber wird es die Lage in den verschachtelten Schiffskörpern nicht erlauben, solche Einsätze zu führen, ohne das Leben der Geiseln zu gefährden.

Ebenso schwierig dürfte es sein, Mutterschiffe oder Stützpunkte an Land anzugreifen. Wenn dabei Unschuldige sterben, werden sich nicht nur etliche Somalier mit den Kriminellen solidarisieren; es könnte auch anderswo neuer Widerstand gegen den Westen gedeihen. Auch darin ähnelt der Kampf gegen Piraten dem gegen die afghanischen Taliban. Den Einsatzkräften auf See bleiben damit nur mühsame Einzelfallentscheidungen, in denen im Zweifel das Leben der Geiseln Vorrang hat.

Wie auch im Kampf gegen den Terror verbieten sich bei der Piratenverfolgung Konzepte mit dem Holzhammer, das macht beides so kompliziert. Immerhin haben die USA diesmal davon abgesehen, zweifelhafte Tätergruppen zu erfinden - wie etwa "feindliche Kämpfer", die in Guantanamo enden. Eine solche Talibaniserung des Rechtsstaats muss auch auf See weiterhin unterbleiben.

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