Philippinen:Schwester Stella kämpft

Der Goldrausch drängt Einheimische in die Armut. Eine Nonne riskiert ihr Leben, um das zu ändern.

Von Tobias Matern

Sie war sich erst gar nicht sicher, ob das noch ein schlechter Traum war oder doch schon Teil der Realität. Drei Uhr morgens, acht Soldaten zertrümmern die Tür, stürmen ins Schlafzimmer und halten ihr ein Gewehr ins Gesicht. 40 weitere Uniformträger sind im Haus postiert. Kein Traum, Realität, stellt sie fest. "Sollen wir sie gefangen nehmen oder exekutieren", habe einer der Soldaten seinen Vorgesetzten per Funk gefragt.

Ordensschwester Stella Matutina hat diese Nacht überlebt. Die 47-Jährige erzählt die Ereignisse nun, einige Jahre später, eindrücklich und konzentriert, sie kennt noch alle Details: Die Männer trugen keine Namensschilder, wie es für einen Soldaten eigentlich üblich ist, sie verbargen ihre Gesichter hinter Masken. Stella Matutina bemüht sich um den nüchternen Ton der Berichterstatterin, es ist nicht das aufgewühlte Erzählen einer Kämpferin. Aber das gelingt ihr nicht immer: "Je mehr sie versuchen, mich zu bedrohen, desto leidenschaftlicher werde ich", sagt sie. Eine Ordensschwester als Revoluzzerin.

Die Geschichte der Stella Matutina ("Morgenstern") ist fast klassisch David gegen Goliath. Es stehen sich gegenüber: Eine Christin aus Mindanao, der zweitgrößten Insel der Philippinen. Auf der anderen Seite: Militär, Paramilitärs, internationale Unternehmen, die sich auf Deals berufen können, die sie mit der Regierung geschlossen haben. Die Philippinen sind ein ressourcenreiches Land. Experten gehen davon aus, dass unter neun von 30 Millionen Hektar Land Mineralvorkommen lagern, die Bodenschätze könnten bis zu 800 Milliarden Euro wert sein.

Allein in den Bergen Mindanaos lagern riesige Goldvorkommen, das weckt Begehrlichkeiten. Seit 1995 erlaubt ein Gesetz auf den Philippinen ausländischen Firmen, die Ressourcen auszubeuten. Die Regierung habe damit einen nationalen "Ausverkauf" betrieben, schimpft Schwester Stella. Sie haben den Konzernen quasi Blankoschecks ausgestellt, aber bei den Einheimischen komme von den Profiten nicht viel an. Die internationalen Firmen erhalten umfangreiche Bodenrechte, den heimischen Goldschürfern, die seit Generationen ihr karges, aber ausreichendes Einkommen damit erzielen konnten, sei nach und nach die Lebensgrundlage entzogen worden, sagt die Ordensschwester. Sie würden von ihrem Land verdrängt.

Pantukan gold mines

Die philippinische Landbevölkerung hat in Ordensschwester Stella Matutina eine engagierte Unterstützerin gefunden.

(Foto: Nana Buxani/Missio)

Die Benediktinerin erzählt von einem verlorenen Paradies, spricht von dem "Verbrechen", das sich auf Mindanao abspielt. Denn vor allem für die indigene Bevölkerung habe sich das Leben in den vergangenen Jahren dramatisch verschlechtert. Im Jahr 2008 wendet sich eine verzweifelte Dorfbewohnerin an die Ordensschwester, sie fleht um Hilfe: Bulldozer seien in ihr Dorf eingerückt und hätten begonnen, die Berge zu zerstören. Stella Matutina merkt schnell, dass ihre Mission darin liegt, diesen Menschen eine Stimme zu geben. Sie organisiert Bildungskampagnen, sie beginnt, den groß angelegten Bergbau zu bekämpfen, der aus ihrer Sicht auch eine Kampfansage an die Umwelt ist.

Es beginnt ein "Propaganda-Krieg" gegen sie, wie Schwester Stella es nennt. Sie wird als Kommunistin beschimpft, als Gestrige, die sich dem Fortschritt verweigert. Dabei hat die Katholikin nichts gegen den Fortschritt, aber sie wundert sich: Wer will schon ernsthaft von Fortschritt sprechen, wenn internationale Konzerne das Gold abbauen, ins Ausland verschiffen, den Reibach machen und den Bewohnern Mindanaos eine gigantische Umweltzerstörung hinterlassen?

Die Ordensschwester hat sich jedenfalls nicht einschüchtern lassen. Nach dem Militäreinsatz gegen sie tauchte sie für einige Monate in einem Kloster unter, um sich aus der Schusslinie zu nehmen. "Ich habe mich gefragt, ob ich meine Arbeit wirklich fortsetzen will, aber die Frage konnte ich mir schnell beantworten", sagt Stella Matutina. Seit dieser ersten großen Konfrontation mit dem Militär bangt sie nach wie vor um ihr Leben. Sie musste mit ansehen, wie andere Aktivisten, die sich gegen den großen Abbau ausgesprochen haben, ums Leben gekommen sind. Ein italienischer Missionar etwa, der von Unbekannten getötet worden ist. Mehr als 100 Menschen seien im Laufe von zwei Jahren umgekommen, berichtet sie.

800 Milliarden Euro

könnten die Bodenschätze wert sein, die Experten unter den 30 Millionen Hektar Land der Philippinen vermuten. In den Minen des Inselstaats werden neben Gold auch Silber, Kupfer, Zink und Nickel geschürft. Seit 1995 dürfen auch ausländische Firmen diese Ressourcen ausbeuten. Menschenrechtsorganisationen sprechen von Landraub: Multinationale Konzerne würden viele Philippiner aus rohstoffreichen Regionen vertreiben. SZ

Dennoch will die Ordensschwester weitermachen. Auf Reisen zu den Indigenen legt sie nun ihre Kutte ab, um nicht gleich erkannt zu werden. Sie wechselt die Reiserouten, sie plant ihre Schritte sorgfältig. Die Ordensschwester beklagt, dass die philippinische Politik die Belange der Armen vergessen hat. "Unsere Regierungsvertreter kommen nicht aus den armen Schichten, sie können die armen Menschen auch nicht vertreten", sagt sie.

Zwar haben sich die Philippinen im Korruptionsindex von Transparency International in den vergangenen Jahren verbessert, doch nach wie vor mache die politische Klasse vor allem Gesetze für ihren eigenen Nutzen: "Sie gehören selbst zu den Landbesitzern, die von ihrer eigenen Gesetzgebung profitieren."

Ihr Kampf für die Goldschürfer von Mindanao sorgt international für Aufsehen. In Weimar hat sie kürzlich den Menschenrechtspreis verliehen bekommen. Das Internationale Katholische Missionswerk Missio hatte sie vorgeschlagen, "weil Stella Matutina offen legt, wie sehr Ausbeutung und Ungerechtigkeit verbunden sind mit der Nachfrage nach Gold in der westlichen Welt", wie Missio-Präsident Klaus Krämer sagt. Den Preis begreift sie nicht als persönliche Auszeichnung. "Es ist ein Preis für die Leute, für die ich mich einsetze", sagt Matutina.

Ist es also unmoralisch, Gold zu verschenken, wenn nicht eindeutig zu erkennen ist, woher es kommt? Stella Matutina möchte darauf nicht eindeutig antworten. Aber sie hofft, dass langfristig faires Gold aus Mindanao exportiert wird. Gold, an dem auch die Einheimischen mitverdienen.

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