Pflegeberufe:"Das wird kein Kaffeekränzchen"

Am Dienstag startet die Bundesregierung ihre "konzertierte Aktion" gegen den Notstand in Pflegeheimen. Sie will rasch Ergebnisse: bei Gehältern, Ausbildung und Ausstattung. So soll der Beruf attraktiver werden.

Von Michael Bauchmüller, Berlin

Altenpflege in Niedersachsen

Die Zahl der Pflegebedürftigen steigt rasant: 2007 waren es 2,2 Millionen in Deutschland, 2017 bereits 3,4 Millionen.

(Foto: Holger Hollemann/dpa)

Das Bild allein soll alles sagen. Franziska Giffey (SPD) ist darauf zu sehen, die Familienministerin. Ihr Parteifreund Hubertus Heil, Arbeitsminister. Und der CDU-Minister für Gesundheit, Jens Spahn. Über den Tisch eines Pflegeheims hinweg reichen sich die drei lachend die Hände. "Das ist der Pflegepakt hier", sagt Heil. Am Sonntag, drei Tage vor Beginn ihrer "Konzertierten Aktion", ziert das Foto ein Interview, das die drei der Bild am Sonntag gegeben haben. Die beabsichtigte Botschaft ist klar: Von jetzt an wird nicht mehr geredet, von jetzt an wird gehandelt. "Das wird kein Kaffeekränzchen", sagt Spahn.

Unverhofft war der "Pflegenotstand" im vorigen Herbst zum großen Wahlkampfthema geworden - auch durch die kritischen Nachfragen eines Krankenpflegers in einer der Wahlarenen. Folgerichtig findet sich auch im Koalitionsvertrag von Union und SPD ein langer Passus zur Pflege, samt "Sofortprogramm" und der "Konzertierten Aktion Pflege". "Auch in den kommenden Jahren werden wir nicht nachlassen, die Pflege und die häusliche Versorgung zu verbessern", versprach die Koalition in ihrem Vertrag.

Ein großes Versprechen: Die Löhne der Pfleger sollen spürbar steigen

Was das konkret bedeutet, machen die drei Minister in dem Interview deutlich. So verlangt Arbeitsminister Heil einen Branchentarifvertrag für die Pflege. Es sei beschämend, dass für Altenpfleger ein Mindestlohn von 10,55 Euro im Westen und 10,05 Euro im Osten nötig sei. Stattdessen brauche es nun binnen eines Jahres einen Branchentarifvertrag, den sein Ministerium dann für allgemeinverbindlich erkläre werde. "Das wird die Löhne spürbar verbessern." Fast alle Parteien hatten einen solchen Tarifvertrag für die 1,2 Millionen Beschäftigten der Pflegebranche gefordert.

Allerdings ist das leichter gesagt als getan. Just am Sonntag wird ein Brief bekannt, mit dem sich der einstige Wirtschaftsminister Rainer Brüderle an Abgeordnete und Ministerien gewandt hat. Brüderle ist Chef des Arbeitgeberverbands der privaten Anbieter sozialer Dienste - und plädiert in dem Brief für "Arbeitsvertragsrichtlinien". Sie könnten zwar auch Standards vorgeben, wären aber weniger verbindlich. "Wir sehen die Versuche, allgemeinverbindliche Tarifverträge in der Pflege zu erleichtern, als schwerwiegenden Eingriff in die Tarifautonomie", sagt Brüderle. Obendrein entschieden sich die Mitarbeiter "in erdrückender Mehrheit" gegen die Mitgliedschaft in Gewerkschaften. "Somit fallen diese als Tarifpartner aus."

Giffey wiederum setzt auf Ausbildung und ein besseres Image der Pflegeberufe. "Es muss cool sein, Pflegefachkraft zu sein", sagt sie. "Wir müssen alles dafür tun, dass es mehr Pflegerinnen und Pfleger gibt." Erst am Donnerstag hatte der Bundestag eine Reform der Pflegeausbildung verabschiedet, mit der Alten-, Kranken- und Kinderkrankenpfleger von 2020 an in weiten Teilen gemeinsam ausgebildet werden. Das soll es leichter machen, zwischen verschiedenen Pflegetätigkeiten zu wechseln. Das mancherorts immer noch verlangte Schulgeld wird abgeschafft, stattdessen erhalten Pflegeschüler eine Ausbildungsvergütung.

50 000 Pflegekräfte fehlen. Man wird sie auch im Ausland suchen müssen

In der "Konzertierten Aktion" sollen von Dienstag an Experten über die Zukunft der Pflege beraten. Neben den drei Ministerien sind 43 Verbände und Institutionen vertreten, darunter Gewerkschaften und Arbeitgeber, Kirchen und Wohlfahrtsverbände. In fünf Arbeitsgruppen werde "nicht gequatscht, sondern hart gearbeitet", sagt Giffey. Nach höchstens einem Jahr sollen konkrete Resultate vorliegen.

Eines allerdings ist jetzt schon klar: Ohne weitere Pflegerinnen und Pfleger aus dem Ausland wird es nicht gehen. "Es ist kaum mehr möglich, in Deutschland ein Krankenhaus oder eine Pflegeeinrichtung ohne ausländische Pflegekräfte zu betreiben", sagt Gesundheitsminister Spahn. Um insgesamt 50 000 neue Pflegekräfte zu finden, werde man auch im Ausland suchen müssen. Konkret nannte er Albanien und Kosovo, Dort sei die Bevölkerung vergleichsweise jung und deshalb selbst weniger auf diese Kräfte angewiesen, sagt Spahn. "Und dort ist die Pflegeausbildung häufig besser, als wir denken." Spahn selbst will mit einem Gesetz dafür sorgen, dass zunächst 13 000 neue Pflegerstellen in Altenheimen entstehen. Allerdings macht die Bürokratie es nicht leicht, die Stellen mit Pflegern aus dem Ausland zu besetzen. Spahn beklagt lange Prozeduren bei der Vergabe von Visa - oft vergingen dafür zehn Monate. Heil wiederum kritisiert, dass einzelne Bundesländer junge Leute abschöben, die kurz vor der Unterzeichnung eines Ausbildungsvertrages stünden. Er plädiert für eine Art "Schnupper-Aufenthalt" für Pflegekräfte. Sie könnten für ein halbes Jahr nach Deutschland kommen und eine feste Stelle suchen. Sollten sie die nicht finden, müssten sie wieder gehen.

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