Gesundheitspolitik:In der Pflege braucht es Tarifverträge, die für alle gelten

Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU).

Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU).

(Foto: dpa)

Jens Spahn hat mit seinem Sofortprogramm gegen den Pflegenotstand vieles richtig gemacht. Aber sein Plan ist allenfalls als ein erster Schritt.

Von Detlef Esslinger

Politiker der Opposition, Lobbyisten sowie Gewerkschafter verstehen ihren Job nicht so, einem Minister zu sagen, dass er alles super gemacht und erledigt habe. Im Gegenteil, was einer wie Jens Spahn tut, muss falsch, mindestens aber zu wenig sein. Also kann der Gesundheitsminister nun überall lesen, was sein "Sofortprogramm" zur Pflege in Wahrheit sei: ein Witz, eine Nebelkerze, halbherzig.

Richtig an der Kritik ist, dass das Programm allenfalls ein erster Schritt sein kann. Richtig ist aber auch, dass noch nie ein über Jahre gewachsenes Problem - ob in der Pflege, bei der Bundeswehr oder beim Breitbandausbau - in einem einzigen Schritt behoben worden wäre. Um im Bild zu bleiben: Der erste Schritt ist daran zu messen, in welche Richtung er weist, und wie es weitergeht.

Gut an Spahns Programm ist, dass es sich mit der Pflege im Krankenhaus und im Heim befasst. Gut ist, dass er sich vor allem Gedanken über diejenigen macht, die die Arbeit zu leisten haben, die Pfleger. Gut ist, dass er deren Bezahlung verbessern will, aber auch deren Arbeitsbedingungen: Betreuung der Kinder am Wochenende, Gesundheitsförderung.

Der nächste Schritt: Arbeitsminister Heil von der SPD anrufen

Das wird nämlich leicht vergessen, wenn allgemein über Pfleger gesprochen wird: wie belastend dieser Beruf ist. Es arbeiten ja auch deshalb so viele von ihnen nur in Teilzeit, weil sie sich den Job in Vollzeit gar nicht zutrauen (mit der Folge, dass ihr Gehalt kaum zum Leben reicht). Es scheiden deshalb so viele früh aus dem Beruf, weil sie nicht mehr können. Dies ist kein Beruf, den man verrichtet wie ein Mechatroniker oder Redakteur; er ist voller physischer und psychischer Zumutungen.

Nun sollte niemand vermuten, ein Bundesgesundheitsminister könne die Ausstattung der Kliniken und Heime mit Personal sowie dessen Bezahlung per Sofortprogramm organisieren, noch dazu flächendeckend. Die Branche besteht aus Häusern, die unterschiedlichste Eigentümer haben: Kommunen, Wohlfahrtsverbände, Kirchen, kommerzielle Firmen. Manche Arbeitgeber verlangen ihren Pflegern 38,5 Wochenstunden ab, andere 40. Es gibt Häuser, in denen beträgt der Jahresurlaub nur 24 Tage. In manchen Gegenden erhalten Fachkräfte in der Altenpflege weniger als Helfer in der Krankenpflege. Nur wenige Beschäftigte gehören einer Gewerkschaft an, dieser wiederum fehlt ein zentraler Arbeitgeberverband als Verhandlungspartner. Und die Kirchen ziehen sich sowieso gern auf ihr verfassungsmäßiges Recht zurück, klassische Tarifverhandlungen gar nicht erst führen zu müssen.

Wenn Arbeitnehmern die Verhandlungsmacht fehlt, hat dies in jeder Branche die immer selbe Folge: dass Arbeitgeber knausern. In der Pflege sind die Arbeitsbedingungen am besten bei den Kommunen. Wenn der Gesundheitsminister Spahn von der CDU will, dass Menschen Pfleger von Beruf werden und die 30 000 offenen Stellen auf Dauer besetzt werden, gibt es einen sinnvollen nächsten Schritt: Arbeitsminister Heil von der SPD anrufen, damit dieser einen der bestehenden Tarifverträge (zum Beispiel den der Kommunen) für allgemein verbindlich erklärt. Die Häuser wären damit den Preiskampf los, sie könnten sich auf Qualitätswettbewerb konzentrieren.

Der nächste Schritt für Spahn und Heil wäre dann: der Gesellschaft zu erklären, dass Pflege ihr künftig ebenso viel wert sein muss wie Autos und Urlaub.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: