Pflege:"Leider ein Witz"

Das Sofortprogramm der Bundesregierung erntet bei Experten Hohn und Spott. Im Fokus der Kritik: Gesundheitsminister Spahn. Doch über den wirklichen Bedarf an Pflegekräften gibt es sehr unterschiedliche Zahlen.

Das Pflege-Sofortprogramm der großen Koalition stößt auf scharfe Kritik bei Pflegeexperten und Sozialverbänden, aber auch auf Erleichterung. "Dieser Aktionsplan ist leider ein Witz", sagte der Präsident der Diakonie, Ulrich Lilie, den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. "Mit diesen 13 000 Symbolstellen gewinnen wir nichts in diesem Land." Spahn stehe vor einer Bewährungsprobe, sagte der Chef des evangelischen Wohlfahrtsverbands. Der Minister müsse nachhaltige Reformen durchsetzen. Ähnlich äußerte sich der Parteivorsitzende der Linken, Bernd Riexinger.

Über die Zahl der benötigten Stellen gehen die Vorstellungen sehr weit auseinander

Die Koalition will mit zusätzlichen Pflegekräften und mehr Geld den Anfang machen für eine Trendumkehr in der Alten- und Krankenpflege. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) kündigte einen Gesetzentwurf an und stellte Eckpunkte vor. Danach sollen 13 000 neue Stellen in Altenpflegeheimen geschaffen werden, mindestens eine halbe Stelle für kleine Heime und bis zu zwei Stellen in großen Einrichtungen. Krankenhäuser erhalten die Garantie, dass alle zusätzlichen Pflegestellen sowie Lohnerhöhungen künftig vollständig refinanziert werden. Linken-Parteichef Riexinger nannte das Programm ein "Dokument des Scheiterns und Versagens des Gesundheitsministers". Nach Auffassung der Linken fehlen in Krankenhäusern und Altenheimen bereits 140 000 Pflegekräfte. Der Sozialverband VdK geht von 60 000 fehlenden Personalstellen aus. VdK-Präsidentin Verena Bentele betonte im Bayerischen Rundfunk: "Da muss deutlich mehr passieren." 13 000 Stellen seien zu wenig. Auch die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi sprach von einem halbherzigen Vorgehen Spahns. "Die großen Probleme Personalmangel und Bezahlung in der Altenpflege werden nicht gelöst", erklärte Bundesvorstandsmitglied Sylvia Bühler. Außerdem plane Spahn kein Programm für die ambulante Pflege. In diesem Bereich seien die Beschäftigten jedoch genauso belastet.

Die pflegepolitische Sprecherin der FDP-Fraktion, Nicole Westig, sagte den Zeitungen der Funke-Mediengruppe, bereits heute könnten offene Stellen nicht besetzt werden: "Der Markt ist leergefegt." Laut Bundesregierung sind in Deutschland mehr als 35 000 offene Pflegestellen derzeit nicht besetzt. Die Präsidentin des Deutschen Berufsverbandes für Pflegeberufe (DBfK), Christel Bienstein, reagierte indessen erleichtert auf die Ankündigungen Spahns. Endlich werde der Fokus auf die "katastrophalen Arbeitsbedingungen" in der Pflege gelegt. Das Sofortprogramm sei gleichwohl unzureichend, weil es die kritische Situation in der ambulanten Pflege nicht verbessere. Der DBfK beziffert die Personallücke in der professionellen Pflege insgesamt auf 100 000 Vollzeitstellen. Der Pflegebeauftragte der Bundesregierung, Andreas Westerfellhaus, lobte die Eckpunkte als ersten Schritt. Der zweite müsse umgehend folgen.

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