Pfingsten 2018:Geist und Ungeist

Die Freiheit steht im Mittelpunkt dieses Festes. Aber um die Freiheit zu verteidigen, muss man sich immer wieder aufs Neue von deren Geist erfrischen lassen.

Von Heribert Prantl

Man kennt beliebte und weniger beliebte christliche Feste. Pfingsten gehört zu den weniger beliebten. Das Geschenkefest Weihnachten ist Spitzenreiter; Ostern hat nachgelegt mit Ostermärkten. Und Pfingsten? Pfingsten ist nicht nur schwerer auszusprechen als Weihnachten und Ostern, es ist auch schwerer zu begreifen. Die eigentliche Hauptperson ist der Heilige Geist; er ist nicht greifbar; er liegt nicht in einer Krippe, hängt nicht am Kreuz, kommt nicht aus einem Grab heraus. Er lässt sich nicht festhalten, nicht beschwören, nicht digitalisieren. Der Geist weht, so wird es über ihn gesagt, wo er will. In der Bibel, in den Pfingstgeschichten, steht etwas von einem großen Brausen, von einem mächtigen Wind. Auf den Bildern der alten Meister sieht man den Geist in Gestalt einer Taube und von Feuerzungen. Die prägnanteste Beschreibung ist vom Apostel Paulus: "Wo Gottes Geist ist, da ist Freiheit."

Pfingsten als Fest für den Geist der Freiheit - wie passt das in eine Zeit und Gesellschaft, die mittlerweile von vorn und hinten, von unten und oben erfasst ist und überwacht wird? Der Weltgeist heißt nicht Heiliger Geist, er heißt Google, Amazon & Co.; er ist ein Ungeist, der alles ortet, in Algorithmen presst, speichert und berechnet. Er begeistert mit der grenzenlosen Freiheit, jederzeit alles sagen, alles tun, alles kaufen und alles wissen zu können. Doch entgeistert sehen viele, dass sie nicht frei werden, sondern bindungslos, gestresst und ängstlich. Pfingsten ist ein Fest, das daher Anlass ist, sich mit Geist, Zeitgeist und Ungeist zu beschäftigen.

Die Pfingstgeschichte geht so: Die Jünger des hingerichteten Jesus haben sich fünfzig Tage lang verkrochen. Sie hocken verschüchtert in ihrer Ich-Blase, als auf einmal der Pfingstgeist durchs Haus fegt und die Ängstlichen aufs Forum treibt - das damals nicht online war, sondern ein Platz in Jerusalem, auf dem Menschen aus aller Herren Länder versammelt sind. Dort erleben die Jünger, wie ihre Angst verschwindet. Freiweg reden sie vom Kreuz und der Auferstehung des Hingerichteten. Und es geschieht ein Kommunikationswunder: Menschen aller Sprachen verstehen sie. Das ist die Geburtsstunde der Kirche.

Der pfingstliche Geist bewirkt, dass die Furchtsamen von ihrer Furcht und Angst befreit werden. Das ist der gemeinsame Gehalt von Weihnachten, Ostern und Pfingsten; immer gilt der Satz: Fürchte dich nicht! Das heißt nicht, dass man keine Angst haben darf. Angst ist nicht nur schlecht, Angst ist auch lebenswichtig; wer Angst nicht zulässt, wer sie so verachtet, dass er immer den Helden spielen muss, bringt sich und andere in Gefahr. Man wünscht sich in der Politik derzeit etwas weniger Todesverachtung und mehr Angst vor Eskalation und Krieg.

Beim "Fürchte dich nicht" geht es um den Umgang mit der Angst. Sie darf nicht zum Geist werden, der das Leben durchdringt und die Gesellschaft durchtränkt. Die sogenannten sozialen Netzwerke sind nicht nur Gesprächs- und Informationsbeschleuniger, sie sind auch Angstbeschleuniger. Angst kann schüchtern machen. Angst kann aggressiv machen; ungut ist beides. Mit Angst hat in unheiligen Zeiten auch die Kirche gearbeitet, entgegen der Botschaft, die sie zu verkünden hat. Mit Angstmacherei hat sie die Menschen gelenkt, eingeschüchtert und missbraucht. Mit Angstmacherei hat sie in den alten Ablasszeiten ihr Geld verdient und ihre Macht gefestigt.

Das ist großenteils Geschichte (und diese Geschichte macht der Kirche heute selbst Angst, Ansehen und Glaubwürdigkeit zu verlieren). Aber generell ist Angstmacherei zu machtpolitischen Zwecken nicht Geschichte. Nicht nur die religiösen Fundamentalisten beherrschen das. Angst wird auch in den aufgeklärten Staaten gezüchtet; und der Geist der Furcht tut sein Werk: Die Angst vor dem Terror vergiftet Politik und tägliches Leben; Sicherheit wird vergöttlicht. Das sogenannte Recht auf Sicherheit überbietet die Menschenrechte. Im Namen der Sicherheit wird überwacht, was das Zeug hält; Flüchtlinge werden abgeschreckt, Grundrechte ausgeschaltet, Kriege angezettelt. Mit der Sicherheit ist es wie mit der Gesundheit: Übertriebene Kontrolle dient nicht der Heilung, sie nährt die Angst vor Krankheit. Je mehr die Sicherheit beschworen wird, desto furchtsamer werden die Menschen. Nicht die konkrete Angst, aber der Geist der Angst ist gefährlich. Er ist der böse Geist der globalisierten und digitalisierten Welt. Diese Welt wird, die Angst packt einen bisweilen bei den täglichen Nachrichten, gespenstisch. Der Glaube an die Stärke des Rechts schwindet.

Da ist es entängstigend, sich an die Zeit vor siebzig Jahren zu erinnern. Damals wurde das Grundgesetz geschrieben. Unter miserableren Voraussetzungen ist kaum je eine Verfassung entstanden. Die Fachleute, die aus den zerbombten Städten der Westzonen zum Verfassungskonvent nach Herrenchiemsee zusammenkamen, haben sich an Martin Luther gehalten: Sie haben befürchtet, dass die Welt untergeht - und trotzdem das Bäumchen gepflanzt. Sie arbeiteten mit der Kraft der Hoffnung.

Es war die erfolgreichste Pflanzaktion der deutschen Geschichte: Glaubens- und Gewissensfreiheit, Meinungs- und Pressefreiheit, Versammlungsfreiheit, Koalitionsfreiheit, Berufsfreiheit - Freiheit war das große Wort nach Jahren der Unfreiheit; es war eine pfingstliche Zeit. Die Freiheiten waren Garantie und Verheißung zugleich. Den Geist der Mütter und Väter des Grundgesetzes kann man heute wieder brauchen. Demokratie und Aufklärung, Rechtsstaatlichkeit, die Achtung von Minderheiten und der Respekt für Andersdenkende sind nicht ein für alle Mal da. Man muss sich davon begeistern lassen, immer wieder.

Es reicht also nicht, wenn der Geist der Freiheit irgendwann einmal geweht hat. Man muss sich von ihm in Bewegung setzen lassen, immer und immer wieder. Dann ist Pfingsten.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: