Pfahls-Prozess:Abgeschmiert ins Nirgendwo

Ein Mann von Welt, der tief gefallen ist: In Augsburg hat heute der Prozess gegen den früheren Rüstungsstaatssekretär Ludwig-Holger Pfahls begonnen. Eine Spurensuche im Dickicht von Politik und Korruption.

Von Hans Leyendecker

Wenn Ludwig-Holger Pfahls unter Druck steht, sagen Freunde von ihm, könnten das seine Gesprächspartner sofort erkennen. Die Augenbrauen seien dann über der Nase zusammengezogen, und er presse die Lippen ganz fest zusammen.

Pfahls, AP

Ludwig-Holger Pfahls vor dem Landgericht Augsburg.

(Foto: Foto: AP)

Als der 62 Jahre alte Pfahls am 28. April und am 21. Juni im Beisein seiner Rechtsbeistände von den Augsburger Staatsanwälten Christoph Wiesner und Ulrich Staudigl vernommen wurde, soll er Lippen wie ein Strich gehabt haben: "Ich stehe vor dem Nichts", sagte er.

Sein Haus am Tegernsee sei verkauft worden, und das Geld habe sich das Finanzamt geholt. Seine Ansprüche gegen das Rechtsanwaltsversorgungswerk seien gepfändet worden. Das letzte Ersparte sei beim Bankrott einer taiwanesischen Firma draufgegangen, die von ihm ein Darlehen bekommen habe.

Verheerende Lebensbilanz

Seit Monaten verbringt Pfahls seine langen Tage auf der Krankenstation der Haftanstalt Augsburg und studiert Ermittlungsakten, die ihm auch nicht weiterhelfen. Fünf Jahre Flucht rund um die Welt waren verschenkte Jahre.

Seine Frau will sich von ihm scheiden lassen. Berufsaussichten hat der Einser-Jurist keine mehr. Dabei war er mal Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), Staatssekretär im Verteidigungsministerium und Manager bei DaimlerChrysler.

Nun steht er vor einer verheerenden Lebensbilanz. Er wisse nicht, welche seiner falschen Entscheidungen am dümmsten gewesen sei, resümierte Pfahls in den stundenlangen Gesprächen mit den Strafverfolgern.

Sieht so die Schlüsselfigur einer der größten Affären der Republik aus? Auf einer Web-Seite charakterisierte ihn einst das Bundeskriminalamt (BKA), das ihn auf die Fahndungsliste gesetzt hatte, als "oftmals überheblichen beziehungsweise arroganten Einzelgänger", der "Sportwagen der gehobenen Klasse" fahre, Davidoffs oder Cohiba rauche, Maßanzüge trage und Designerbrillen bevorzuge.

Macht ohne Mandat

Der einstige Mann von Welt wird am heutigen Dienstagmorgen die Krankenstation verlassen und sich als Angeklagter vor der 10. Strafkammer des Landgerichts Augsburg einfinden. Er will reden, und sein Auftritt könnte für das Publikum zu einer ungewöhnlichen Lektion in Staatsbürgerkunde werden: Pfahls kann en detail beschreiben, wie Lobbyisten mit Barem versuchen, wirtschaftliche Macht ohne Mandat in politischen Einfluss zu verwandeln.

Er kann aus eigenem Erleben berichten, wie sich Beamte schmieren lassen, und seine Aussagen könnten auch eine Antwort auf die Frage liefern, ob ein Teil der Regierung in der Ära des Dr. Helmut Kohl käuflich war.

Abgeschmiert ins Nirgendwo

Die Augsburger Staatsanwaltschaft wirft Pfahls Bestechlichkeit und Steuerhinterziehung vor. Er soll als Staatssekretär im Verteidigungsministerium von dem nach Kanada geflüchteten Waffenlobbyisten Karlheinz Schreiber 3,8 Millionen Mark Schmiergeld kassiert und nicht versteuert haben.

Beim Verkauf von 36 Fuchs-Panzerfahrzeugen nach Saudi-Arabien soll er die Widerstände beim Militär ausgeräumt haben und dafür von Schreiber belohnt worden sein. Die Verhandlung, die der Vorsitzende Richter Maximilian Hofmeister leitet, ist bislang auf zwölf Tage angesetzt. 33 Zeugen sind geladen.

33 Zeugen geladen

Richter Hofmeister und seine Kollegen sind mit dem Stoff vertraut. In zwei Verfahren haben sie zwei ehemalige Thyssen-Manager und Max Strauß zu Haftstrafen verurteilt. Die Urteile sind nicht rechtskräftig. Im Fall der Thyssen-Manager hat der Bundesgerichtshof (BGH) in wichtigen Punkten Zweifel an der Beweisführung des Gerichts geäußert. Die Revision im Fall Strauß wird vom BGH noch geprüft. Wird Pfahls jetzt die Wunden der Augsburger Justiz salben?

Zunächst erinnert sein Prozess noch einmal daran, dass es erst vor wenigen Jahren eine ganz große Affäre gab, die das Land und vor allem die CDU in ihren Grundfesten zu erschüttern schien und die doch in diesen aufgeregten Berliner Tagen schon fast wieder vergessen ist. Die Panzer-Affäre um Schreiber und Pfahls war der Auslöser für den Parteispenden-Skandal der CDU unter Helmut Kohl.

Ohne diesen Skandal und die folgenden Turbulenzen in der Union, die von November 1999 bis April 2000 währten, wäre vermutlich Wolfgang Schäuble CDU-Parteivorsitzender geblieben und hätte es möglicherweise 2002 zum Kanzler gebracht - Angela Merkel müsste ihm heute assistieren.

Helmut Kohl wäre auch offiziell noch Ehrenvorsitzender der Partei. Die CDU hätte vermutlich schon im Frühjahr 2000 die Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen gewonnen. Vor Beginn der Affäre jedenfalls lagen die Christdemokraten in den Prognosen vorn.

Mr. Wichtig

Viel Stoff für Zeitgeschichtler also. Auch die Figur des Ludwig-Holger Pfahls liefert reichlich Material, denn er war im doppelten Wortsinn Zögling von Franz Josef Strauß. Den Strafverfolgern hat der Jurist seinen Berufsweg geschildert.

Er sei auch mal Staatsanwalt gewesen, doch der Job habe ihm nicht gefallen. Mitte der siebziger Jahre sei er mit dem CSU-Parteibuch in die bayerische Staatskanzlei gekommen und habe gleich die erste Regierungserklärung des bayerischen Ministerpräsidenten konzipiert.

Er sei erst persönlicher Referent von Strauß geworden, dann Büroleiter, dann Abteilungsleiter, und weil es innerhalb des Personals der Bundesregierung "eine Rochade" gegeben habe, sei er eben 1985 Präsident des Verfassungsschutzes geworden.

Die älteren Mitarbeiter beim Verfassungsschutz in Köln können sich noch gut an ihn erinnern. Pfahls sei oft erst am Dienstag angereist und am Donnerstag wieder nach München zurückgekehrt. Als Dienstwagen fuhr der Nachrichtendienstler einen Porsche. Mr. Wichtig von Straußens Gnaden.

Abgeschmiert ins Nirgendwo

"Pfahls war in seiner Amtszeit ausreichend damit beschäftigt, mit Hilfe seiner Partei, die für ihn Maßstab und Grundlage aller Entscheidungen war, seine Karriere zu pflegen. Seine Amtsführung war vor allem geprägt von seiner Entschlossenheit, seine kurze Amtszeit unbeschadet zu überstehen und seinen Willen durchzusetzen", steht ungewöhnlich ehrlich in einem Buch des Bundesverfassungsschutzes, in dem alle bisherigen Amtsleiter gewürdigt werden.

"Hab dich nicht so"

Das Gefühl für Größenordnungen und Machbarkeit, für die Unterscheidung von richtig und falsch, muss Pfahls also früh verloren haben. Seinen Vernehmungen ist zu entnehmen, dass ihn Strauß 1987 als eine Art Perspektivagenten für künftige Rüstungsgeschäfte als Staatssekretär ins Verteidigungsministerium bugsiert hat.

Bekanntlich habe Franz Josef Strauß "sehr viele rüstungswirtschaftliche Firmen" nach Bayern geholt, und deren Wohl habe FJS stets am Herzen gelegen. Er, Pfahls, habe für die Unternehmen eine "gewisse Planungssicherheit" bieten sollen. Nur Kohl mochte ihn nicht und hat ihn das auch spüren lassen.

Nun gibt es viele kluge Aufsätze über Regierungen und den Bundestag im Gefüge organisierter Interessen. An Mutmaßungen über Lobbykratie und dunkle Geschäfte hat es nie gefehlt, aber die Wirklichkeit scheint sehr gewöhnlich zu sein. Manchmal werden von ganz oben die eingesetzt, die dann mit den "lichtscheuen Gnomen", wie der Politikwissenschaftler Martin Sebaldt Lobbyisten einmal nannte, nutzbringend zusammenarbeiten sollen. Eine Hand wäscht die andere zuungunsten eines Dritten - in der Regel meist zuungunsten des Bürgers und Steuerzahlers.

Im Leben eines jeden Menschen gibt es einen Augenblick, der sich im Nachhinein von allen anderen als Augenblick der Entscheidung abhebt, von wo aus Umkehr nur noch schwer möglich ist. Das soll im Leben von Pfahls der Augenblick gewesen sein, als er sich mit Schreiber ernsthaft einließ. Pfahls schilderte bei seiner ersten Vernehmung sehr eindringlich, wie er den Lobbyisten Schreiber kennen gelernt habe und was er von ihm halte.

Der Geschäftemacher sei ihm aus dem Dunstkreis von Strauß bekannt gewesen. Er habe ihn zunächst nur als einen der vielen Helfer aus dem Personal des CSU-Vorsitzenden betrachtet. Ungefähr 1988 habe ihn dann Max Strauß, einer der beiden Söhne des verstorbenen CSU-Vorsitzenden, bei einer Begegnung im Hause Strauß näher mit Schreiber ins Gespräch gebracht.

Der Lobbyist habe sich plötzlich für ihn interessiert, weil er Staatssekretär gewesen sei. Nach Darstellung von Pfahls hat ihn Schreiber fortan auffällig umworben und ihm im Zusammenhang mit drei Rüstungsprojekten geradezu Geld aufgedrängt. Unterstützungsgelder gewissermaßen.

"Hab dich nicht so", soll Schreiber gesagt haben. Andere kassierten auch, und Pfahls sei für ihn nur ein "kleiner Fisch".

"Rattenahafte Wut"

Pfahls beschreibt den Lobbyisten als Mann ohne Skrupel, der eine "rattenhafte Wut" an den Tag lege, wenn er in die Ecke getrieben werde. Schreiber habe ihm klargemacht, dass er Zauderer ohne Rücksicht vernichten könne.

In den Jahren 1991 und 1992 will Pfahls rund 873.000 Mark in drei Tranchen von Schreiber bekommen haben. Der Kaufmann habe zwar von insgesamt 3,8 Millionen Mark gesprochen, die er für Pfahls in der Schweiz gebunkert habe, doch was mit den restlichen drei Millionen passiert sei, wisse er nicht.

Recht geschickt versucht der Jurist, den Vorwurf der Staatsanwaltschaft zu entkräften, er sei bestochen worden. Pfahls will Holzer nicht konkret beim Fuchs-Projekt, sondern nur allgemein geholfen haben. Sollte das Gericht seiner Darstellung folgen, hätte er sich nicht wegen Bestechlichkeit, sondern wegen Vorteilsannahme schuldig gemacht, was ihm Straferleichterung verschaffen könnte.

Der Geschmierte als das verführte Opfer- oder läuft da doch nur eine von Rechtsanwälten konzipierte Operation Mohrenwäsche? Pfahls macht sich auffällig klein, und das Gericht muss herausfinden, was seine Darstellung mit der Wirklichkeit gemein hat.

Abgeschmiert ins Nirgendwo

Wer ihm bei seiner Flucht geholfen hat, die immerhin fünf Jahre dauerte, mag Pfahls immer noch nicht sagen. Dabei war sein perfekter Abgang im Herbst 1999 wirklich eine spannende Geschichte. Immer wieder mal verschwinden Männer, die vorgeben, nur mal schnell Zigaretten zu holen, heimlich vom Erdboden.

Mittlerweile gibt es sogar Literatur über den fälligen Identitätswechsel. Interessierten ist das Standardwerk "Heavy Duty New Identity" von John Q. Newman zu empfehlen, der über das meisterhafte Verschwinden Anleitungen verfasst hat. Natürlich heißt Newman eigentlich anders.

Das letzte Versteck

Aber auch die Leser, die Newmans Faustregeln des spurlosen Verschwindens beherzigen würden, hätten kaum eine Chance, unerkannt zu bleiben, wenn sie, wie Pfahls, von wirklich ausgekochten Spezialisten gejagt würden.

Jahrelang war der Ex-Staatssekretär von einigen der besten deutschen Zielfahnder weltweit gesucht worden. Doch selbst sie hatten lange keine Spur gefunden. Nur durch Zufall - oder weil Pfahls müde oder leichtsinnig geworden war - , spürten sie ihn dann endlich im Juli 2004 in seinem letzten Versteck in Paris auf.

Klar ist, dass ihm, zeitweise zumindest, Dieter Holzer bei der Flucht behilflich war. Verglichen mit Holzer ist Schreiber ein großsprecherischer Provinzler. Der vielsprachige Saarländer pflegt beste Verbindungen zu diversen Nachrichtendiensten und unterhält in Ländern wie dem Libanon oder China Beziehungen zu den wirklich Einflussreichen.

Ein Pariser Gericht hat ihn im Frühjahr dieses Jahres zu 15 Monaten Haft wegen Beihilfe zur Veruntreuung von Vermögen des französischen Ölkonzerns Elf Aquitaine verurteilt. Zweistellige Millionensummen hatte Holzer für seine Hilfe bei dem Kauf der ostdeutschen Raffinerie Leuna in den neunziger Jahren bekommen.

Holzers Freund Pfahls war übrigens Komparse bei der Leuna-Transaktion. Das BKA geht fest davon aus, dass Holzer zumindest das Untertauchen von Pfahls 1999 in Hongkong und später auch dessen Aufenthalt in Paris organisiert habe. Holzer sagt der SZ, er habe während der Flucht mehrmals mit Pfahls darüber gesprochen, ob der sich nicht stellen wolle, aber der Ex-Staatssekretär sei "zu feige gewesen".

Im Pfahls-Prozess soll Holzer als Zeuge aussagen. Mit einem Beamten, der Geld genommen habe, will Holzer nach eigenem Bekunden nichts zu tun haben. Er sei ein "deutscher Patriot". Das hat Pfahls früher auch von sich gesagt.

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