Pew-Studie:Anzahl der Muslime in Europa wird deutlich zunehmen

Jahreshauptversammlung Ahmadiyya Muslim Jamaat

Gläubige der Ahmadiyya-Muslim-Gemeinschaft (Ahmadiyya Muslim Jamaat) beim Gebet im baden-württembergischen Rheinstetten.

(Foto: dpa)
  • Die Zahl der Muslime in Europa wird zunehmen - selbst wenn die EU die Grenzen dichtmacht. Das sagt eine Studie des Pew-Forschungszentrums.
  • Wenn der Zuzug von Migranten vollständig gestoppt würde, würde der Anteil der Muslime an der europäischen Bevölkerung bis 2050 auf 7,4 Prozent wachsen.
  • Die drei Szenarien der Forscher sind nicht realistisch, da sie von extremen Bedingungen ausgehen. Informativ sind sie trotzdem.

Von Markus C. Schulte von Drach

Eines steht fest: Die Anzahl der Muslime in Europa und auch in Deutschland wird in absehbarer Zeit wachsen. Das hat zwei Ursachen: Zum einen bekommen Menschen muslimischen Glaubens gegenwärtig im Schnitt mehr Kinder als Nichtmuslime.

Zum anderen ist zu erwarten, dass unter den Zuwanderern und Schutzsuchenden, die nach Europa kommen, auch in Zukunft ein großer Anteil von Muslimen ist. Unklar ist allerdings, wie groß ihre Zahl tatsächlich sein wird. Um wenigstens eine Vorstellung von der Größenordnung zu bekommen, hat das amerikanische Pew Research Center in Washington versucht, entsprechende Szenarien bis zum Jahr 2050 entwerfen.

Vorweg muss dazu gesagt werden, dass alle drei Prognosen ausdrücklich von extremen - und deshalb äußerst unwahrscheinlichen - Voraussetzungen ausgehen. Vorhersagen zur Bevölkerungsentwicklung sind grundsätzlich schwierig, genau wie zu Flüchtlingsbewegungen und Migration. Jede der Prognosen ist für sich genommen deshalb nicht realistisch.

Die Szenarien, die die EU-Staaten, Norwegen und die Schweiz berücksichtigen, sollen lediglich den theoretischen Rahmen abstecken, innerhalb dessen sich die Veränderungen in der Zusammensetzung der europäischen Bevölkerung abspielen könnten.

Die Interpretation der Zahlen ist deshalb schwierig, wie die Pew-Forscher selbst betonen. Und Rückschlüsse wie solche, dass Deutschland sich abschaffe oder Europa islamisiert würde, lassen sich selbst durch jenes Szenario nicht rechtfertigen, in dem die Anzahl der Muslime in Europa am stärksten anwächst.

Auf der anderen Seite ist es wichtig, einschätzen zu können, wie die europäischen Gesellschaften sich entwickeln werden - denn dass eine zunehmende Anzahl von Muslimen sie verändern wird, lässt sich nicht leugnen. Die Frage ist nur, wie, und ob das ein Problem ist. Problematisch ist aber auf jeden Fall, dass Teile der Bevölkerungen in Europa mit Ablehnung auf zugezogene oder geflüchtete Muslime reagieren. Damit müssen Europas Gesellschaften umgehen.

Szenario 1: "Hohe Zuwanderung"

Für ihr erstes Szenario gehen die Pew-Forscher davon aus, dass sich der Zuzug von Muslimen so fortsetzen wird wie in der jüngsten Vergangenheit. In den Jahren 2010 bis 2016 sind ihnen zufolge etwa 3,7 Millionen Muslime nach Europa gekommen - darunter etwa 2,5 Millionen als Arbeitsmigranten oder Studierende. 1,3 Millionen wurden dagegen als schutzwürdig akzeptiert - oder können damit rechnen.

Der Anteil der Muslime an der europäischen Bevölkerung ist so auf 4,9 Prozent gewachsen. Würde sich dieser Trend fortsetzen, könnte er der Studie zufolge bis 2050 auf 14 Prozent zunehmen. In absoluten Zahlen wären das dann 75 Millionen Muslime.

In Deutschland, wo das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) 2015 die Anzahl der Muslime auf 5,4 bis 5,7 Prozent geschätzt hat, läge der Anteil unter diesen Bedingungen 2050 bei fast 20 Prozent. Etwas kleiner wäre der Anteil in Frankreich und Großbritannien. In Schweden wären es mehr als 30 Prozent.

Dass es tatsächlich dazu kommen wird, gilt aber als unwahrscheinlich. Die Anzahl der Flüchtlinge war in den vergangenen Jahren außergewöhnlich hoch, insbesondere bedingt durch den Bürgerkrieg in Syrien. Inzwischen sind die Zahlen der Muslime, die nach Europa kommen, wieder stark gesunken. Das liegt allerdings auch an dem Deal zwischen der EU und der Türkei, der verhindern soll, dass sich von dort aus Flüchtlinge in Richtung Europa aufmachen.

Eine Garantie dafür, dass in Zukunft nicht erneut viele Menschen vor Kriegen, Hungernot oder Umweltkatastrophen in den Westen fliehen wollen, gibt es nicht. Es ist nur so, dass die Mehrheit der bereits jetzt mehr als 65 Millionen Menschen auf der Flucht vor allem in benachbarte Regionen und Länder ausweichen, schon weil Europa viel zu weit weg ist für sie. Um die Anzahl derjenigen, die trotzdem nach Europa kommen, zu begrenzen, diskutieren die europäischen Länder darüber hinaus verschiedene Maßnahmen - wie in Deutschland etwa die von der CSU geforderte Obergrenze für Flüchtlinge.

Auch die Pew-Forscher räumen ein, es sei "unmöglich, die zukünftige Migration vorherzusagen", aufgrund der sich immer wieder verändernden politischen und ökonomischen Situation.

Szenario 2: "Mittlere Zuwanderung"

Das zweite Pew-Szenario geht davon aus, dass keine Flüchtlinge mehr nach Europa kommen, aber der reguläre Zuzug sich fortsetzt. In diesem Fall würde der Anteil der Muslime in Europa auf 11,2 Prozent steigen, sich also immer noch mehr als verdoppeln. In Deutschland würde der Anteil auf 10,8 Prozent anwachsen. In Schweden, so die Pew-Fachleute, würde bis 2050 der Anteil bei mehr als 20 Prozent liegen, in Großbritannien und Frankreich bei etwa 17 Prozent.

Ein vollständiger Stopp der Aufnahme von Flüchtlingen ist undenkbar. Das Recht auf Asyl wird in der EU ja nicht prinzipiell in Frage gestellt.

Deshalb bieten die Pew-Forscher hier ein alternatives Szenario an: Eine Fortsetzung des regulären Zuzugs und die Aufnahme wenigstens "von einigen Asylsuchenden, aber weniger als während der historisch außergewöhnlichen Zunahme von Flüchtlingen 2014 bis 2014". Dann würde der Anteil der Muslime bis 2050 auf 11,2 bis 14 Prozent steigen.

Szenario 3: "Null-Zuwanderung"

Würde dagegen der Zuzug von Muslimen vollständig gestoppt, wie es das dritte Szenario vorgibt, würde ihr Anteil in Europa trotzdem leicht zunehmen. Zum einen sind Muslime hier im Durchschnitt um 13 Jahre jünger als die übrige Bevölkerung; es ist deshalb damit zu rechnen, dass sie schon aus diesem Grunde im Verhältnis auch etwas mehr Kinder bekommen als die relativ alte Bevölkerungsmehrheit der Nichtmuslime.

Die für dieses Szenario berechnete Zunahme rührt aber auch von der Beobachtung der vergangenen Jahre her, dass muslimische Frauen im Durchschnitt mehr Kinder bekommen als andere Frauen in Europa. Das wird voraussichtlich auch bis 2020 so bleiben, vermuten die Forscher. Insgesamt kommen sie für dieses Szenario auf einen Bevölkerungsanteil der Muslime von 7,4 Prozent im Jahr 2050.

Es gäbe allerdings hier deutliche Unterschiede von Land zu Land. So wird etwa für Deutschland eine Geburtsrate von 1,9 Kindern pro Frau bei Muslimen und 1,4 Kindern bei nichtmuslimischen Frauen angenommen. Unter den Bedingungen einer "Null-Zuwanderung" würde der Anteil der Muslime deshalb auf 8,7 Prozent steigen. In Großbritannien zum Beispiel wird die Zahl der Kinder, die muslimische Frauen im Durchschnitt zur Welt bringen, auf 2,9 geschätzt. Dementsprechend wäre dann auch die Zunahme bis 2050 größer: 9,7 Prozent könnten es in diesem Szenario werden.

Schweden hat bereits jetzt einen muslimischen Bevölkerungsanteil von 8,1 Prozent, da es viele Flüchtlinge aufgenommen hat. Selbst bei einer "Null-Zuwanderung" könnte dieser Anteil auf mehr als elf Prozent zunehmen. In Frankreich ist der Anteil der Muslime an der Bevölkerung mit 8,8 Prozent derzeit am höchsten in Europa - weshalb die Forscher für 2050 auf einen theoretisch möglichen Bevölkerungsanteil von 12,7 Prozent kommen. In anderen Ländern wie Polen und Ungarn etwa, wo der Zuzug von Flüchtlingen extrem einschränkt ist, machen Muslime derzeit weniger als ein Prozent aus. Das würde sich unter den Bedingungen dieses Szenarios auch nicht ändern.

Schon weil es nicht denkbar ist, dass Europa seine Grenzen vollständig schließt und das Asylrecht abschafft, ist dieses Szenario völlig unrealistisch. Außerdem gibt es ein Interesse daran, das Schrumpfen der europäischen Bevölkerung zu bremsen. Insgesamt, so berichten die Pew-Experten, würde die europäische Bevölkerung ohne Immigranten bis 2050 von 521 Millionen Menschen auf 482 Millionen zurückgehen. Im zweiten Szenario bliebe die Einwohnerzahl etwa stabil, bei einem hohen Zuzug würde sie ein wenig zunehmen.

Damit müssen die Europäer umgehen

Die Tatsache, dass die Anzahl der Muslime in Europa wachsen wird, wird von Rechtsextremen und Rechtspopulisten missbraucht, um auf Kosten einer Minderheit für sich Stimmung zu machen. Selbst im völlig unrealistischen Fall, dass im Jahre 2050 bis zu 20 Prozent der Bevölkerung in Europa dem muslimischen Glauben anhängen würden, dürfte es sich dabei in der Mehrheit nicht um Strenggläubige oder gar Extremisten handeln, die die europäischen Gesellschaften "islamisieren" wollten - genauso wenig wie in der Gegenwart.

Europa wird sich aber darauf einstellen müssen, dass der Zuwachs auch zu zunehmenden Ansprüchen von Muslimen führen wird, den eigenen Glauben so leben zu können, wie es auch die Christen oder Vertreter anderer Religionen hier tun können. Es kommt deshalb darauf an, die Möglichkeiten zur Integration und Anteilhabe zu verbessern, und zugleich allen Zuwanderern klarzumachen, dass Europa tatsächlich für unverhandelbare Werte wie Gleichberechtigung, Meinungs- und Religionsfreiheit steht.

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