Peerblog ist Offline:Doppeltes Missverständnis

Die Posse um Peerblog offenbart ein Missverständnis: Anders als in den USA wird hierzulande noch lange Zeit kein Wahlkampf im Internet gewonnen werden. Viel wichtiger wäre, dass das politische Personal eine angemessene Sprache für die digitalen Medien findet.

Ein Kommentar von Jan Heidtmann

Merkels und Steinbrücks Berater

Klicken Sie sich in unserer interaktiven Grafik durch Steinbrücks und Merkels innere Zirkel.

Das "peerblog" ist abgeschaltet, es war höchste Zeit. Es überhaupt ins Leben zu rufen, war ein doppeltes Missverständnis. Besser gesagt, es ins Leben rufen zu lassen. Peer Steinbrück und sein sogenanntes Team haben geglaubt, sich von einer intransparenten Gruppierung billige Wahlkampfhilfe holen zu können. Und das in Zeiten, in denen die Transparenz politischer Prozesse ziemlich weit oben auf der Agenda steht.

Das zweite Missverständnis liegt tiefer. Es ist das Missverständnis, wie in Deutschland Wahlkampf gemacht werden kann. Um Steinbrücks Zustimmung zu bekommen, erklärte der Gründer von peerblog.de, habe er dem SPD-Wahlkampfteam ein Konzept präsentiert. Darüber, "wie in den USA politische Kommunikation betrieben werde". Die USA, das heißt in diesem Fall Obama - und Obama war der nahezu unbekannte Senator, der mithilfe des Internets zum ersten schwarzen Präsidenten gewählt wurde.

Zu Gast im Wahlkampf 2008 war auch Hubertus Heil, damals Generalsekretär der Sozialdemokraten. Seine Begeisterung für den Kandidaten Obama twitterte er stetig in die Welt; im Willy-Brandt-Haus fragte man sich daraufhin: Ist der durchgedreht? Oder ist das die Zukunft? Am Ende entschied man sich für Zukunft. Seitdem hält sich die Mär, auch in Deutschland werde irgendwann einmal der nächste Wahlkampf im Internet gewonnen.

Obama hat 27 Millionen Twitteranhänger, Steinbrück 14.000

Der Gedanke ist durchaus verführerisch, bei Obama wurden 2008 Millionen Helfer über das Internet geworben und organisierten sich mit digitaler Hilfe. Blogs spielten dabei eine zentrale Rolle - und was tat später der Präsident Obama, als er um die Zustimmung für seine umkämpfte Gesundheitsreform fürchten musste? Er lud zu einer Konferenz der Blogger.

In Deutschland entstünde schon da das erste Problem: wen einladen? Dass ein Blog einen Wahlkampf in Deutschland maßgeblich beeinflusst hätte, kam bislang nur einmal vor. Mutmaßlich ausgerechnet mit den Autoren, die das peerblog betrieben. Unter dem Titel "Wir in NRW" veröffentlichten sie 2010 interne Mails aus der Landes-CDU, die den Verdacht nahelegten, Gespräche mit dem damaligen Ministerpräsident Jürgen Rüttgers seien käuflich.

Die CDU verlor die Wahl.

Darüber hinaus gab es noch einige weitere Versuche, mit Blogs Wahlkampf zu machen. In Erinnerung geblieben sind nur wenige. Zum Beispiel das Unterfangen der Autoren Sten Nadolny und Tilman Spengler, den SPD-Kandidaten von 2009, Frank-Walter Steinmeier, zum Kanzler hochzuschreiben. Wie bekannt, ohne Erfolg.

Hierzulande wird noch lange Zeit kein Wahlkampf im Internet gewonnen werden. "Politische Kommunikation wie in den USA" - dazu sind weder die Politik noch die Wähler bereit, und es ist auch nicht notwendig. Notwendig aber wäre, dass das politische Personal eine angemessene Sprache für die digitalen Medien findet. Dazu vielleicht zwei Zahlen: Obama hat derzeit knapp 27 Millionen Anhänger auf Twitter. Steinbrück: 14.000.

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