Peer Steinbrück: Neues Buch:Das Tagebuch des Krisenhelden

Der ehemalige Finanzminister bleibt dem Sparen treu: In seinem Buch geizt Peer Steinbrück mit Geschwurbel - aber auch mit Tiefgang. Deutlicher ist da schon seine Kritik am aktuellen Kurs der SPD.

Claus Hulverscheidt

Es ist kurz vor 15 Uhr am vorvergangenen Freitag, als sich Peer Steinbrück aus seinem Stuhl im "KruppZimmer" des Restaurants "Parkblick Hügel" erhebt, um die eineinhalbstündige Heimreise von Essen nach Bonn anzutreten. Beim Hinausgehen begegnet ihm ein älterer Herr, der auf der Terrasse einen Kaffee getrunken hat. "Guten Tag, Herr Minister", sagt der Mann und nickt mit dem Kopf. "Nee, nee, nicht mehr Minister", antwortet Steinbrück. "Ach ja - schade", seufzt der Rentner und schleicht von dannen.

Steinbrück

Buchautor Peer Steinbrück: 480 Seiten Zeitzeugenbericht der Finanzkrise - ohne Geschwurbel, aber auch ohne Tiefgang.

(Foto: dpa)

Fast ein Jahr nach seinem Ausscheiden aus dem Amt ist Peer Steinbrück im Volk beliebt wie eh und je, beliebter jedenfalls, als er es in seiner eigenen Partei, der SPD, wohl jemals war. Die Menschen haben den ehemaligen Bundesfinanzminister im Gedächtnis behalten, ihn, den scharfzüngigen Redner und Tabubrecher, von dem manch Konservativer sagt, er sei der richtige Mann in der falschen Partei. Seine beißende Selbstironie ist ebenso oft beschrieben worden wie seine schnoddrige Eitelkeit, und nie konnte man wissen, ob er seine Wortsalven am nächsten Tag in die gegnerischen oder aber in die eigenen Reihen abfeuern würde.

Kein Wunder also, dass die Buchverlage Schlange standen, als Steinbrück nach dem Ausscheiden aus dem Amt der Wunsch übermannte, seine Erfahrungen und Ansichten für die Nachwelt zusammenzufassen. Das Ergebnis ist 480 Seiten stark, bei Hoffmann und Campe erschienen und heißt "Unterm Strich". Das Magazin Spiegel sicherte sich das Recht, erste Auszüge exklusiv zu veröffentlichen.

Das Erstaunlichste an diesen Auszügen ist, dass sie so ganz und gar nicht steinbrückisch sind. Zwar verzichtet der Autor erfreulicherweise auf jegliches Politikergeschwurbel, den Tiefgang aber, den ein Zeitzeuge seines Kalibers hätte liefern können, sucht man vergebens.

Auf drei Magazinseiten schildert Steinbrück insgesamt zehn Tage zwischen Juli 2007 und November 2008, in denen die Finanzwelt erst von der US-Immobilienkrise und später von der Pleite der Investmentbank Lehman Brothers erschüttert wurde. Es sind jene zehn Tage, in denen die Regierung der USA ebenso zwischen Gesundbeten und hektischem Krisenmanagement schwankte wie die damalige große Koalition in Berlin und in denen die Welt Steinbrück zufolge "am Abgrund" stand.

Kritik an der Rente mit 67

Das Problem ist: Die Schilderung bietet keinerlei neue Einblicke, selbst die Details haben schon in der Zeitung gestanden. Dass Steinbrück seinen US-Kollegen Henry Paulson am Telefon bekniete, nach Lehman nicht auch noch den Versicherungsriesen AIG pleitegehen zu lassen. Dass er, sinngemäß formuliert, Georg Funke, den damaligen Chef der maroden Immobilienbank HRE, am liebsten gewürgt hätte, und dass er mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) kurze Zeit darum rangelte, wer den Bürgern die vereinbarte Staatsgarantie für alle deutschen Sparkonten verkünden darf.

Auffällig ist auch, dass Steinbrück zwar andeutet, wie sehr die amerikanische Regierung das Ausmaß der Finanzkrise aus seiner Sicht zunächst unterschätzte, zugleich aber verschweigt, dass er selbst noch am 16. September, also am Tag nach der Lehman-Pleite, im Bundestag eine Rede hielt, die bei vielen Zuhörern den Eindruck hinterließ, der deutsche Finanzminister halte die Turbulenzen vor allem für ein amerikanisches Problem. Es war jedoch die Bundesrepublik, die unter allen Industrieländern die später folgende Rezession am härtesten zu spüren bekam.

Etwas deutlicher als der Buchauszug ist das parallel abgedruckte Interview, das Steinbrück dem Spiegel gegeben hat - vor allem allerdings in jenen Passagen, die sich um die SPD drehen. Den Kurswechsel der Parteispitze bei der Rente mit 67 etwa hält er für ebenso "problematisch" wie symptomatisch: Schon wieder begehe die SPD den Fehler, dass sie in Oppositionszeiten Versprechen abgebe, die sie bei einer späteren Regierungsbeteiligung werde brechen müssen.

Das Gleiche gelte für Gerhard Schröders Agenda 2010, die einmal "als eine der größten politischen Leistungen der Nachkriegszeit in die Geschichtsbücher eingehen" werde. "Aber die SPD schämt sich dafür. Das ist nicht nur grotesk, es ist auch politisch dumm." Endlich klare Worte, wie man sie sich von Steinbrück erhofft hat. Neu allerdings sind auch sie nicht.

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