Parteitag:Merkel erobert die CDU zurück

Sie beschreibt die Aufnahme von Flüchtlingen als historische Aufgabe - bloß zwei Delegierte stellen sich gegen sie.

Von Josef Kelnberger, Karlsruhe

Wochenlang war Angela Merkel in der CDU kritisiert worden wie noch nie, am Montag aber scheint sie wieder ihre Position als unumstrittene Anführerin eingenommen zu haben. Mit einer leidenschaftlichen Rede verteidigte sie auf dem Bundesparteitag der CDU in Karlsruhe ihre Flüchtlingspolitik nicht nur. Sondern sie tat das auf eine Weise, die den Delegierten minutenlangen Applaus abnötigte. Merkel beharrte erstens ausdrücklich auf ihrem umstrittenen Satz: "Wir schaffen das." Und sie reihte ihn zweitens in die großen Errungenschaften der CDU-Geschichte ein: die Westbindung unter Konrad Adenauer, das Wirtschaftswunder unter Ludwig Erhard und die deutsche Wiedervereinigung unter Helmut Kohl.

Angesichts schwankender Umfragewerte galt der Parteitag vorher als heikel - zu klären war, ob die Partei der Frau noch folgt, die seit mehr als 15 Jahren ihre Vorsitzende und im elften Jahr Kanzlerin ist. In dieser Lage entschied Merkel sich dafür, die Christdemokraten bei ihrer Ehre zu packen. Die vielen Flüchtlinge menschenfreundlich zu empfangen, entspreche zudem den christlichen Wurzeln der CDU, sagte sie. Diese verlangten es, die "von Gott gegebene Würde des Menschen" zu achten. Als sie Anfang September die Grenzen für syrische Flüchtlinge öffnete, sei sie einem "humanitären Imperativ" gefolgt. "Wir schaffen das, für Deutschland und Europa, ich bitte Sie um Ihre Unterstützung." Die Delegierten antworteten mit demonstrativem Beifall - fast zehn Minuten lang. Es folgte eine durchaus kontroverse Debatte über einen Leitantrag namens "Karlsruher Erklärung zu Terror und Sicherheit, Flucht und Integration". Er stützt Merkels Kurs im wesentlichen, und er formuliert harte Positionen für Integration und Innere Sicherheit. Von 976 Delegierten stimmten am Ende nur zwei mit Nein.

Aktuelles Lexikon: Leitantrag

Der Antrag des Bundesvorstands an den 28. Parteitag der CDU Deutschlands hat einen klingenden Beinamen: "Karlsruher Erklärung zu Terror und Sicherheit, Flucht und Integration" heißt das 23 Seiten und 730 Zeilen lange Papier. Dieser Titel zeichnet den Antrag als programmatischen aus, als das, was man gemeinhin Leitantrag nennt. "Mut zur Veränderung" hieß beispielsweise der Leitantrag, mit dem Gerhard Schröder einst seine Agenda 2010 begründete. Leitanträge sollen innerhalb einer Partei die Diskussion zu einem wichtigen Thema strukturieren. Bei der Asyl- und Flüchtlingspolitik ist der Diskussionsbedarf in der CDU besonders groß, wie ein Blick ins Antragsbuch beweist: Viele Parteigliederungen haben dazu Forderungen, vom Bundesvorstand der Jungen Union über den Bundesvorstand der Frauen Union bis hin zum Bezirksverband Nordwürttemberg und dem Kreisverband Rhein-Erft. Für all diese Anträge gilt der Antrag des Bundesvorstands als Richtlinie. Leitanträge dienen deshalb einerseits dazu, den Parteitagsablauf zu beschleunigen, weil nicht jeder Einzelantrag jedes Kreisverbandes separat diskutiert werden muss. Weil Leitanträge von der Parteispitze verfasst werden, sind sie häufig auch ein Gradmesser dafür, wie gut die Politik des Vorstands an der Parteibasis ankommt. Auch deshalb wurde um den Leitantrag zur Flüchtlingspolitik bis zuletzt hart gerungen. Annette Zoch

Vor dem Parteitag hatten Kritiker vor allem aus der Jungen Union und der Mittelstandsvereinigung ein "klares Signal der Begrenzung" gefordert. Der Streit war erst am Sonntag entschärft worden. Der Bundesvorstand erklärte sich bereit, zwei zusätzliche Passagen in die Erklärung aufzunehmen. Die CDU strebt demnach an, den Zuzug "durch wirksame Maßnahmen spürbar zu verringern" und Grenzkontrollen "gegebenenfalls zu intensivieren". Merkel machte sich die Änderungen zu eigen. Von Obergrenzen sprach sie aber nicht. Sie verwies auf die Verschärfung des Asylrechts, auf ihre Versuche, europäische Lösungen zu finden. "Abschottung im 21. Jahrhundert ist keine vernünftige Option", sagte sie.

Auch mit der CSU will Merkel in Frieden leben, "egal, was es mal für einen Parteitag gibt". Sie spielte darauf an, wie sie neulich vom Amtskollegen Seehofer düpiert worden war. "Langweilig war der letzte nicht", sagte sie über diesen Parteitag. Seehofer wird an diesem Dienstag als Gast erwartet.

In der Debatte über ein Einwanderungsgesetz zeigte sich die CDU erstaunlich offen. Die Delegierten stimmten auch hier mit großer Mehrheit für einen Leitantrag des Vorstandes. Darin wird gefordert, alle Regelungen zur Einwanderung besser zu verknüpfen und in einem Gesetz zusammenzuführen.

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