Parteitag in Augsburg:SPD beschwört das Wir-Gefühl

Mutlosigkeit und Resignation sind gefährlich für die SPD: 150 Jahre nach ihrer Gründung sollte die Partei mit Verve für ihre Ziele werben und einen anständigen Wahlkampf führen. Auf den haben die Bürger ein Anrecht. Doch erst einmal muss sich der Kandidat im Griff haben, dann wird es auch etwas mit der Geschlossenheit.

Ein Kommentar von Susanne Höll, Augsburg

Peer Steinbrück ist ein guter, manchmal sogar exzellenter Redner. Auch beim SPD-Parteitag erfüllte er die Erwartungen. Mit hohem intellektuellen Anspruch erläuterte er den Delegierten und Wählern, warum er als Chef einer rot-grünen Bundesregierung das Land besser regieren könnte als Angela Merkel mit Schwarz-Gelb. Der Mann, der sich gern seiner Angriffslust rühmt, attackierte zur Freude der Delegierten die Bundesregierung und ein wenig auch die Kanzlerin, die er bislang für Steinbrück'sche Verhältnisse eher pfleglich behandelt hatte. Die Delegierten schienen angetan zu sein, Steinbrück war erleichtert. Auch wenn das Treffen in Augsburg die aktuelle Malaise vor allem des Kandidaten, aber auch der SPD nicht beendet hat, fanden Steinbrück und die Partei ein weiteres neues Stück Gefallen aneinander. Wie lange das Wohlgefühl trägt, ist ungewiss.

Denn in der SPD gibt es inzwischen massive Bedenken, ob der Ex-Finanzminister der richtige Spitzenmann ist. Wie stark die Zweifel wuchern, zeigte eine kleine Szene. Gleich im zweiten Satz seiner Rede fühlt sich Steinbrück zu der Feststellung bemüht, er wolle Kanzler werden. Wolle - für einen Kandidaten eine pure Selbstverständlichkeit. Und was machen die Leute im Saal? Sie klatschen sich die Hände wund. Um die SPD kann es 160 Tage vor der Bundestagswahl nicht sonderlich gut bestellt sein.

SPD-Bundesparteitag in Augsburg, Peer Steinbrück

SPD-Bundesparteitag in Augsburg: Die Sozialdemokraten beschwören das Wir-Gefühl.

(Foto: dpa)

Steinbrück hat sich in den ersten Monaten als Herausforderer Tölpeleien geleistet, die nicht einmal Kritiker von dem erfahrenen, krisenerprobten Mann erwartet hätten. Inzwischen ist er disziplinierter geworden, hat verstanden, dass ein Kandidat mit anderen Maßstäben gemessen wird als ein Rhetorik-Supertalent von der letzten Bundestagsbank. Steinbrück hat inzwischen Respekt vor dem Spitzenamt, das er leichtherzig und leichtfertig angenommen hatte, so, als wäre es der Preis für sein politisches Gesamtwerk.

Geholfen hat ihm dieser Reifungsprozess bislang nicht. Im Gegenteil. Die Häme, ungerechtfertigte Häme wohlgemerkt, nimmt zu. An seinen Äußerungen zum Sportunterricht war nichts auszusetzen. Die von einigen Medien, der politischen Konkurrenz, aber erstaunlicherweise auch einzelnen Sozialdemokraten wollüstig zur Schau getragene Aufregung war hysterisch, vergleichbar allenfalls mit der beschämenden Debatte über Plastik-Autos im Garten von Ex-Präsident Christian Wulff. Das Zerrbild des tapsigen Polit-Tölpels verfestigt sich in den Köpfen, auch in denen von Sozialdemokraten.

Die Aussichten für einen Machtwechsel waren schon besser

Und vom Zweifel über Fatalismus hin zu Defätismus ist es in der Politik kein weiter Weg. Insbesondere dann, wenn selbst der Parteivorsitzende nervös wird und zumindest temporäre Mutlosigkeit erkennen lässt. Sigmar Gabriel darf sich nicht wundern, wenn seine schnippischen Warnungen vor einem schwarz-grünen Bündnis als Zeichen dafür gewertet werden, dass aus Rot-Grün wohl nichts wird. In Augsburg verzichtete er auf solche Eskapaden, präsentierte sich stattdessen als Co-Kandidat.

Stimmt. Die Aussichten für einen Machtwechsel waren schon besser. Und manches erinnert an den trübseligen Wahlkampf 2009, als die Sozialdemokraten ein übers andere Mal versicherten, ihre Themen hingen wie reife Äpfel in den Bäumen und müssten nur eingesammelt werden. Dabei wussten sie und die übrige deutsche Welt, dass es nie und nimmer eine rot-grüne Bundesregierung geben würde. Heute ist die Lage anders. Die Wahl am 22. September wird womöglich von zwei oder drei Prozent der Stimmen entschieden, das wird abhängen vom Abschneiden der Parteien, die nicht in den Bundestag kommen. Die neue "Alternative für Deutschland" könnte Union und FDP die zum Erfolg nötigen Stimmen rauben. Den Popularitätswettlauf mit Merkel wird Steinbrück nicht gewinnen. Aber er könnte trotzdem ihr Nachfolger werden.

Im 150. Jahr könnten ausgerechnet Mutlosigkeit und Resignation die größte Gefahr für die ihr Jubiläum feiernde SPD werden. Wer zagt und zögert, bekommt keinen anständigen Wahlkampf auf die Beine. Auf den aber haben die Bürger ein Anrecht, nachdem Merkel 2009 zuerst die SPD sedierte und dann das Land. Wer das Kaiserreich überstanden hat und die Verfolgungen im Nationalsozialismus, sollte 2013 mit Verve für die eigenen Ziele werben können.

Dazu zählt die SPD die Fesselung des Kapitalismus; daraus könnte etwas werden, jedenfalls dann, wenn sich erst einmal der Kandidat im Griff hat. Dann wird es auch etwas mit dem Wir-Gefühl, das in Augsburg beschworen wurde. Im Herbst wird die SPD Geschlossenheit brauchen, wenn sie den Kanzler stellen sollte. Sie braucht diese erst recht dann, wenn es nicht klappt und die Union einen neuen Juniorpartner suchen muss.

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